Wenn der Fernbus schaukelt, wird es manchem schlecht. Neue Forschungen zeigen einen möglicherweise neuen Weg der Hilfe auf: Bestimmte Formen der Gehirnstimulation könnten die Übelkeit unterdrücken. Der Weg in die Apotheke wird aber noch dauern.

Stuttgart - Es kann jeden treffen: kalter Schweiß, Übelkeit und sogar Erbrechen. Und das alles nur, weil der Fernbus wackelt oder das Segelboot schaukelt. Die Reisekrankheit ist weit verbreitet. Wissenschaftler wissen bis jetzt nicht so ganz genau, was alles dahintersteckt.

 

Eine weit verbreitete Erklärung ist, dass bei einer Reise die Sinne durcheinandergewirbelt werden. Bewegt sich ein Mensch, so registriert das Gehirn Muskelkontraktionen sowie über das Gleichgewichtsorgan im Ohr Erschütterungen, Geschwindigkeit und die Orientierung im Raum. Auch die Augen nehmen Bewegungen wahr. Alle Informationen laufen im Gehirn zusammen, werden verrechnet und ergeben ein, im Normalfall, sinnvolles Bild. Sitzt ein Mensch in einem Fernbus, verursacht das jedoch im Körper Verwirrung. Die Muskulatur ruht, trotzdem zieht die Umwelt sichtbar schnell vorüber. Und Richtungswechsel durch Kurven wie auch Erschütterungen sowie Vibrationen täuschen ebenfalls Bewegung vor. Diese Eindrücke muss der Körper verarbeiten. Lässt sich daraus kein sinnvolles Bild zusammensetzen, kommt es zu einer Stressreaktion. Dabei werden Histamine freigesetzt, sie führen zu Schwindel und Übelkeit.

Müdigkeit statt Reisekrankheit?

Die in der Apotheke erhältlichen Medikamente gegen die Reisekrankheit, sogenannte Antihistaminika, bekämpfen eben diese Symptome. Nach der Einnahme setzen die Histaminspeicher des Körpers weniger Histamin frei. Mit manchmal unerwünschten Nebenwirkungen – denn rezeptfreie Schlafmittel enthalten ähnliche Wirkstoffe. Den Betroffenen ist nach der Einnahme zwar weniger übel, doch sie werden oft schläfrig. So manch einer hat deshalb möglicherweise schon einmal den Segelturn oder die Kreuzfahrt verschlafen.

Ein Mittel gegen Reisekrankheit, das nicht müde macht, glauben nun Forscher vom Imperial College London gefunden zu haben. Für die in dem Fachmagazin „Neurology“ veröffentlichte Studie bastelten die Wissenschaftler einen beweglichen Stuhl, der die typischen Bewegungen imitiert, die zur Reisekrankheit führen. Sie stimulierten für zehn Minuten die Gehirne von Freiwilligen mit einem schwachen elektrischen Strom. So gelang es ihnen, die Gehirnantwort der Versuchspersonen auf Bewegungssignale zu dämpfen.

Schnallten sie dann die Probanden von Kopf bis Fuß auf dem beweglichen Stuhl fest, klagten diese weniger über Übelkeit und Schwindel als vor der Stimulation. Eine mögliche Erklärung: durch die verminderte Reaktion des Gehirns wird auch weniger Histamin infolge einer Stressreaktion freigesetzt.

Hilft eine Gehirnstimulation?

„Wir sind zuversichtlich, dass es in fünf Jahren ein Antireisekrankheit-Set in den Apotheken zu kaufen gibt“, sagt Qadeer Arshad, ein beteiligter Forscher. Das Set könne aus einer für den Kopf bestimmten Elektrode bestehen, die über ein Mobiltelefon angeschlossen und mit Strom versorgt wird. Kurz vor einer Reise könne sich so jeder selbst das Gehirn elektrisch stimulieren. „Der benötigte elektrische Impuls ist sehr schwach, und von einer kurzzeitigen Anwendung sind keinerlei Nebenwirkungen zu erwarten“, sagt er. Wie es um Langzeitfolgen steht, ist allerdings unklar.

Noch steht die Entwicklung erst am Anfang. Reisekranken bleiben deshalb die gängigen Tabletten, Kaugummis oder Pflaster aus der Apotheke. Auch kleine Tricks helfen: Im Bus am Fenster sitzen, der Bewegung mit den Augen folgen, den ruhigen Horizont fixieren und Lesen während der Fahrt vermeiden.