Was tun, wenn Medikamente nicht helfen, um die Anfälle unter Kontrolle zu bringen? Freiburger Mediziner erläutern die Chancen und Risiken einer Operation im Gehirn.

Stuttgart - In Deutschland leiden rund 600 000 Menschen an Epilepsie. Bei manchen leichteren Formen kann eine gesunde Lebensführung bereits reichen, um Anfälle zu vermeiden: Die Betroffenen vermeiden möglichst die Auslöser wie Stress, Schlafmangel, Flackerlicht in Diskotheken und hektische Computerspiele. In den anderen Fällen können – sofern keine Grunderkrankung vorliegt – Medikamente helfen. Sie werden von 60 bis 70 Prozent der Patienten relativ gut vertragen. „Schlägt eine Therapie mit zwei Medikamenten nicht an, sinken die Chancen auf Anfallskontrolle durch weitere Einnahme von Medikamenten erheblich“, sagt der Freiburger Epilepsieexperte Andreas Schulze-Bonhage.

 

In diesen Fällen sollte ein chirurgischer Eingriff erwogen werden. „Aber es gibt Ärzte, die experimentieren zu lange mit Medikamenten herum statt den Patienten zu sagen, dass es auch die Möglichkeit eines chirurgischen Eingriffs gibt“, sagt Schulz-Bonhage. Allerdings könnten auch nicht alle Patienten operiert werden, sagt er, weil mitunter mehrere Erkrankungsherde auftreten und diffus verteilt sind, das ganze Gehirn betreffen oder in einem unverzichtbaren Gehirnareal wie etwa dem Sprachzentrum liegen. Doch schätzungsweise jeder Zehnte hat nur einen Erkrankungsherd im Gehirn und leidet damit an einer chirurgisch heilbaren Form der Epilepsie.

Dabei handelt es sich um kleine Fehlbildungen in der Großhirnrinde, welche die Neurologen als epileptogene Läsionen bezeichnen. Sie entstehen oft bereits im Mutterleib. Ein solcher operabler Erkrankungsherd wird allerdings leicht übersehen, weil die herkömmlichen bildgebenden Verfahren wie eine „normale“ Kernspintomografie (MRT) ihn häufig nicht entdecken können. „Epileptogene Läsionen sind meist klein, sie verändern sich im Laufe des Lebens nicht und sie sind angesichts der komplexen Faltung der Großhirnrinde nur schwer erkennbar“, erläutert Horst Urbach, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Freiburg in einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR).

Die Risiken unterscheiden sich von Patient zu Patient

Ob eine epileptogene Läsion entdeckt wird, hängt nach seiner Aussage deshalb oft davon ab, welche Untersuchungstechniken verwendet werden und wie erfahren der Untersucher ist. Anders liegen die Dinge, wenn erweiterte bildgebende Techniken wie die computerisierte Nachbearbeitung von Kernspinaufnahmen verwendet werden – wozu die Neuroradiologen raten. Eine Studie der Universität Bonn an 91 Patienten ergab, dass mit Hilfe dieses Verfahrens 98 Prozent der Erkrankungsherde entdeckt werden könnten. Bei Standard-MRT-Untersuchungen wurden, abhängig vom Typ des Erkrankungsherdes, teilweise jedoch nur 65 Prozent der Fehlbildungen erkannt. „98 Prozent halte ich für zu optimistisch, aber die Sensitivität lässt sich tatsächlich deutlich erhöhen“, kommentiert Schulze-Bonhage.

Der Aufwand einer genauen Untersuchung lohnt sich. „Bei richtiger Indikationsstellung liegt der Anteil der operierten Patienten, die anfallsfrei werden, zwischen 60 und 80 Prozent“, berichtet Schulze-Bonhage. Der Eingriff selbst ist mit Risiken verbunden. Wie hoch diese sind, hängt von der Ursache der epileptischen Anfälle und der Lage des Erkrankungsherdes ab. „Wenn es sich um einen Hirntumor oder eine Gefäßmissbildung handelt, dann ist der Eingriff nicht so riskant, als wenn sich der Erkrankungsherd in Gehirngewebe mit spezieller Funktion befindet. Dann muss vorab mit funktioneller Bildgebung genau untersucht werden, welche Folgen ein Eingriff haben wird“, sagt Schulze-Bonhage.

Nicht jeder epileptische Anfall ist eine Epilepsie

Wenn Patienten nicht auf Medikamente ansprechen, sollte aber zunächst die Diagnose nochmals überprüft werden, bevor man eine Operation in Erwägung zieht. Bei 15 bis 20 Prozent der Patienten, die nicht auf Medikamente ansprechen, wurde Schulze-Bonhage zufolge Epilepsie zu Unrecht diagnostiziert. Statistisch gesehen erleiden etwa fünf Prozent der Bevölkerung irgendwann in ihrem Leben einen epileptischen Anfall, aber „nur“ 0,5 bis 1 Prozent der Deutschen leiden an Epilepsie.

Ein Problem ist die fehlerhafte Interpretation der Elektroenzephalogramme, die eine grafische Darstellung der Hirnströme sind. Sie sind diagnostisch wichtig, aber nicht einfach zu lesen. Manchmal sind bis zu fünf Enzephalografien (EEG) in mehrwöchigem Abstand nötig, um krankhafte Veränderungen aufzuzeichnen, die für die Diagnose relevant sind. Epileptische Anfälle können ganz unterschiedlich aussehen. Manchmal äußern sie sich nur als leichtes Muskelzucken, Kribbeln auf einer Körperseite, die Wahrnehmung eines seltsamen Geruchs, ein Déja-vu-Erlebnis oder kurze Bewusstseinspausen. Heftigere Anfälle dauern etwa ein bis drei Minuten und gehen häufig mit Zuckungen und Krämpfen sowie Bewusstseinsverlust einher. In extremen Fällen dauern Anfälle länger. Diese Anfälle können eine Folge unterschiedlicher Hirnerkrankungen, etwa von Gefäßmissbildungen und Tumoren sein und auf diese hinweisen. Zugleich können dies jedoch auch die Ursachen einer Epilepsie sein – das macht es so kompliziert. Allerdings findet man auf diese Weise nur in 30 bis 40 Prozent aller Fälle die Ursache.

Manche Menschen haben auch anlagebedingt eine erhöhte Neigung zu epileptischen Anfällen. „Schlafmangel, Alkoholentzug, Fieber oder Flimmerlicht lösen bei ihnen schneller einen epileptischen Anfall aus, als bei Personen ohne diese Anlage. Das heißt nun nicht zwangsläufig, dass die Betroffenen an Epilepsie leiden“, sagt der Neurologe Walter Paulus, Direktor der Klinischen Neurophysiologie der Universitätsmedizin Göttingen. Bei einem epileptischen Anfall ohne Epilepsie reiche das Vermeiden der Auslöser.

Ohnmachten zum Beispiel infolge Herzrhythmusstörungen oder eines kurzzeitig verminderten venösen Blutrückflusses zum Herzen und einer dadurch bedingten Minderversorgung des Gehirns mit Sauerstoff können laut Paulus als epileptische Anfälle verkannt werden. Das würde auch für Stoffwechselstörungen wie Unterzuckerungen gelten, wobei letztere jedoch auch einen „echten“ epileptischen Anfall verursachen können.

Therapien bei Epilepsie

Krankheit
Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Ursache epileptischer Anfälle sind Nervenzellen in einem Gehirnbereich oder auch in mehreren Regionen, die sich gleichzeitig entladen. Je nachdem, welche Funktion die betroffenen Gehirnareale haben, können sich die Anfälle in Form von Bewegungen, Sprech- und Sehstörungen äußern oder auch in Angstzuständen und Unwohlsein. Auch die Psyche kann sich vorrübergehend verändern.

Behandlung
Neben Medikamenten könnte auch ein chirurgischer Eingriff helfen. Der Operation sind allerdings dort Grenzen gesetzt, wo die epileptischen Anfälle in mehreren Bereichen des Gehirns auftreten. In diesen Fällen stellen Stimulationsverfahren eine mögliche Alternative dar.

Vagusnerv Der Vagusnerv ist an der Regulation nahezu aller inneren Organe beteiligt und beeinflusst Hirnareale, die bei der Entstehung, dem Verlauf und der Therapie verschiedener neurologischer Erkrankungen eine Rolle spielen. Bei der Vagusnervstimulation werden die Elektroden neben der Halsschlagader um den Vagusnerv geschlungen. Sie sind mit einem Pulsgenerator verbunden, der im Brustbereich unter der Haut implantiert wird. Diese Therapie wird seit fast 20 Jahren eingesetzt und verbessert die Anfallskontrolle bei etwa einem Drittel der Patienten. Bei der neueren transkutanen Stimulation werden die elektrischen Impulse durch einen Stimulator erzeugt, der mit einer speziellen Ohrelektrode verbunden ist. Es gibt noch keine wirklich aussagekräftigen Daten hierzu.

Tiefenhirnstimulation Seit etwa drei Jahren können manche Patienten auch von der Tiefenhirnstimulation profitieren. Hierbei werden Elektroden beidseits in eine der Schaltstellen des Gehirns, den Thalamus, eingesetzt. Die Reizungen verhindern die Ausbreitung epileptischer Aktivität – Anfallsschwere und Anfallskontrolle lassen sich günstig beeinflussen.

Trigeminus Diese nichtinvasive Stimulation ist seit 2012 zugelassen und wird in Deutschland bislang nur in Freiburg durchgeführt. Elektroden werden nachts auf die Kopfhaut aufgelegt, und der Trigeminusnerv wird während dieser Zeit gereizt. Laut einer Studie wurde bei 40 Prozent der Patienten die Häufigkeit von Anfällen halbiert.