Sind Hausärzte vom Aussterben bedroht? Eine Gemeinde nahe Tübingen wollte das nicht hinnehmen. Sie förderte die Ansiedlung einer Praxis.

Bempflingen - Eine Stellung auf Lebenszeit, unkündbar und mit Gebietsschutz, also ohne lästige Konkurrenz. Dazu ein garantierter Kundenstamm sowie geregelte Arbeitszeiten. Und die Verdienstmöglichkeiten sind auch nicht ganz schlecht: 181 000 Euro Reinertrag im Durchschnitt, Steuern und private Vorsorgeabgaben gehen noch runter. Und den Job will keiner machen? So sieht es aus.

 

Trotz der verlockenden Stellenbeschreibung – der Hausarzt ist eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Aus Altersgründen suchen in Baden-Württemberg aktuell 88 Praxen eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger. 19 Kommunen halten ebenfalls Ausschau nach Medizinern, die sich als Hausarzt niederlassen möchten. Die Zahlen sind der Online-Praxisbörse des Hausärzteverbands im Land zu entnehmen. Viele der dort eingestellten Niederlassungen sind seit mehr als einem Jahr im Angebot. Und das, obwohl die Übernahmepreise für Praxen einen Tiefpunkt erreicht haben. Was man heute für 20 000 Euro bekommen kann, hätte vor zehn Jahren noch 150 000 Euro gebracht, sagen Insider.

Mark Flad ist einer von denen, die auf der Roten Liste stehen. Der Internist und Kardiologe, der in Tübingen Medizin studierte, ist noch dazu ein besonders wertvolles Exemplar. Er ist nämlich erst 40 Jahre alt und hat sich gerade niedergelassen. Seit Mai praktiziert er als Hausarzt in Bempflingen, einer Gemeinde im Landkreis Esslingen mit knapp 3500 Einwohnern. Dort sind alle heilfroh, dass Flad sich für sie entschieden hat. Fürs nächste Vierteljahrhundert scheint die medizinische Grundversorgung gesichert.

Viel Erfahrung in der Notfallmedizin

Flad ist in Pliezhausen aufgewachsen, quasi in der Nachbarschaft. Er ist ein freundlich-zurückhaltender Mensch mit wachen Augen und spricht mit viel Bedacht, das strahlt Ruhe aus. Zwölf Jahre hat er als Arzt in der Klinik in Kirchheim unter Teck gearbeitet. Er sammelte viel Erfahrung in der Intensiv- und Notfallmedizin, betreute als Kardiologe unter anderem die Schrittmacherambulanz. Eine Niederlassung war in all den Jahren nicht wirklich eine Option für ihn. „Ich war in Kirchheim gut aufgehoben, die Klinik ist keine Fabrik und dabei hoch spezialisiert. Ich hatte nicht das Gefühl, nur ein Rädchen im Getriebe zu sein“, sagt er.

Der Hausarzt kam eher zufällig zu ihm. Das heißt, eigentlich kam er zum Hausarzt. In Bempflingen, wo er schon wohnte. „Ich brauchte eine Impfung, wir kamen ins kollegiale Gespräch, da hat er mir seine Praxis angeboten“, erinnert sich Flad. Immer mehr habe er sich dann mit der Idee angefreundet, Hausarzt zu werden.

Als wichtigstes Motiv nennt er die familienunfreundlichen Klinikarbeitszeiten mit vielen Schicht- und Wochenenddiensten. Flad hat gemeinsam mit seiner Frau, einer gelernten Erzieherin, vier Kinder im Alter zwischen vier und elf Jahren. „Ich wollte einfach mehr Zeit mit ihnen verbringen.“ Zwar komme er in der Praxis auch auf mindestens 50 Stunden, doch seine Arbeitszeit sei jetzt geregelt, auch deshalb, weil die früher für Landärzte übliche Rufbereitschaft nach Feierabend und am Wochenende der Vergangenheit angehöre. Dafür gebe es nun die zentrale hausärztliche Notfallambulanz in der Regie der Kassenärztlichen Vereinigung.

Aus der Praxisübernahme übrigens wurde am Ende nichts. Flad konnte sich mit seinem Alt-Kollegen nicht einigen, aber das ist eine andere Geschichte. Dass er nun trotzdem der neue Doktor in Bempflingen ist, weil er einfach seine eigene Praxis aufmachte, hat nicht zuletzt mit der Hartnäckigkeit von Bernd Welser zu tun. Wenn Ärztefunktionäre und Krankenkassen schimpfen, die Kommunen hätten den Warnschuss in Sachen Ärztemangel nicht gehört – den Bempflinger Schultes können sie nicht gemeint haben. Welser hatte früh das Gespräch mit Flads Vorgänger gesucht und später die Verhandlungen zwischen beiden Medizinern moderiert. Als die Übernahme scheiterte und Flad ohne Praxisräume dastand, stellte Welser unbürokratisch Mieträume im Rathaus bereit. Frei wurden sie sowieso, weil das örtliche Grundbuchamt aufgehoben wurde. Die Akten mussten nur etwas schneller nach Böblingen umziehen als geplant.

Der Bürgermeister legte sich mächtig ins Zeug

„Ich bin glücklich, dass Herr Flad bei der Stange geblieben ist“, sagt Welser. Der Hausarzt im Dorf sei ein Standortvorteil. Und der Bürgermeister legt sich weiter ins Zeug. Geht es nach ihm, soll Flad schon 2018 in ein neues Ärztehaus in der Ortsmitte umziehen. Derzeit liefen Gespräche mit einem Investor, man sei in der Detailplanung, auch Räume für eine Zahnarztpraxis seien geplant. „Ein Modell könnte sein: Die Gemeinde erwirbt die Praxisräume und vermietet sie zu einem akzeptablen Preis an Herrn Flad“, so der Bürgermeister. Er meint es ernst: springt der Investor ab, wird die Gemeinde Bauherr.

Einstweilen praktiziert Flad im Rathaus. Mehr als 100 000 Euro hat er allein in seine medizinische Ausstattung gesteckt. Darunter ist ein modernes Ultraschallgerät, mit dem sich so gut arbeiten lasse wie in der Klinik, sagt Flad. Stemmen konnte er die stolze Investition auch Dank der Förderung durch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Im Rahmen ihres Programms „Ziel und Zukunft“ unterstützt sie angehende Hausärzte mit bis zu 60 000 Euro.

Rein fachlich sei ihm die Umstellung nicht schwergefallen, sagt Flad. „Ich war schon im Krankenhaus viel in der Notaufnahme, als hinzugezogener Arzt. Das war eine gute Vorbereitung.“ Ein wesentlicher Unterschied sei aber die Patientenbindung – in der Hausarztpraxis gebe es ja fast immer ein Wiedersehen. Das sei aber kein Problem für ihn, sagt Flad und schmunzelt. „Ich habe meine Patienten schon im Krankenhaus so behandelt, dass es ihnen möglichst lange gut geht.“

Der Doktor lobt seine Mitarbeiterinnen

Neu ist für Flad, wie er nun arbeitet. „Im Krankenhaus gibt es ein Nebeneinander von Ärzten und Pflegekräften, man spielt sich die Patienten zu. In der Praxis ist alles auf mich zugeschnitten – eine positive Umstellung für mich“, sagt Flad. Und lobt seine vier Mitarbeiterinnen überschwänglich. Sie sorgen dafür, dass er sich auf seine Kernaufgabe konzentrieren könne – die Medizin. Zwei Helferinnen arbeiteten schon für seinen Vorgänger am Ort. Ohne sie hätte er den Schritt in die Niederlassung wohl nicht gewagt, meint Flad. „Vom Abrechnungswesen hatte ich ja keine Ahnung, ich wusste auch nicht, welche Materialien man braucht und wie man sie bestellt.“

In die Feinheiten der Honorarabrechnung hat sich der Neu-Freiberufler inzwischen hineingefuchst. Natürlich weiß er längst, dass auch er künftig unter dem Honorardeckel praktiziert, wie alle niedergelassenen Mediziner. „Mir ist bewusst, dass manche Kollegen ihre Praxis kurz vor Quartalsende schließen, weil ihr Praxisbudget verbraucht ist“, so Flad. Sein Praxisbudget müsse erst noch berechnet werden. Einstweilen versuche er, das Thema auszublenden und sich auf die Medizin zu fokussieren, sobald der Patient eintritt. Es komme dann vor, dass er einen Herzultraschall macht, obwohl er das für Kassenpatienten gar nicht abrechnen darf. Seine Kassenzulassung definiert ihn als hausärztlichen Internisten, nicht als Kardiologen.

Der letzte Patient an diesem Tag ist gegangen. Auf Flads Schreibtisch wartet noch etwas Bürokratie, aber er ist guter Dinge. Die Praxis läuft, sie hat jetzt mehr als 1800 Patienten, täglich kommen neue dazu. Eine letzte Frage noch: Was macht einen guten Hausarzt aus? „Man muss den Leuten zuhören und nicht gleich eine vorschnelle Diagnose stellen“, antwortet Flad.

Es scheint, Bempflingen hat Glück gehabt

Neulich beispielsweise fürchtete ein Patient, er habe eine Blasenentzündung, weil er nachts häufig auf die Toilette musste. „Das war aber nicht die Ursache, sondern eine Herzschwäche. Als guter Hausarzt müssen sie das herausfinden. Ein Antibiotikum ist schnell verschrieben. Sie müssen nachfragen und den Patienten anschauen. Sonst sehen sie seine geschwollenen Füße aufgrund der Wassereinlagerung nicht.“

Wie Bürgermeister Welser schon sagte: Es scheint, Bempflingen hat Glück gehabt.