Kraken haben blaues Blut – nicht, weil sie adlig sind, sondern ihre Sauerstoffversorgung etwas anders funktioniert. Im eisigen Wasser des Südpolarmeers verschafft es dort lebenden Kraken Überlebensvorteile – aber nur, weil sie speziell angepasst sind.

Stuttgart - Sein blaues Blut weist einen Kraken natürlich nicht als Mitglied des Hochadels aus. Schließlich kommt die Tönung vom blauen Blutfarbstoff Hämocyanin. Der kreist an Stelle des roten Hämoglobins der Wirbeltiere in den Adern dieser Kopffüßer wie in den Blutgefäßen anderer Weichtiere, Spinnen und Insekten. In der Kälte bindet das blaue Blut Sauerstoff viel stärker. Deshalb könnten Kraken im kalten Wasser des Südpolarmeers einen Vorteil gegenüber Tieren aus wärmeren Gewässern haben. „Aber nur, wenn sie ihr Hämocyanin an die eisigen Temperaturen knapp unter null Grad gut angepasst haben“, sagt Michael Oellermann vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

 

Im Zentrum des Hämoglobins sitzen Eisenatome, die Sauerstoff festhalten können. Diesen Job erledigt im Hämocyanin das Kupfer. Allerdings hat dieses Pigment rund die fünfzigfache Masse. Ein Gramm Hämocyanin transportiert daher weniger Sauerstoff als die gleiche Masse Hämoglobin. Da der Stoffwechsel der Tiere vom Sauerstoff abhängt, schränkt dieses geringere Angebot die Aktivitäten der Tiere stark ein. Vielleicht zählen ja deshalb viele blaublütige Organismen wie zum Beispiel Schnecken zu den behäbigeren Typen?

Im Gegenzug enthält kaltes Wasser mehr Sauerstoff als warmes. Ein Krake im eisigen Südpolarmeer sollte also weniger Probleme mit dem Sauerstoff haben als ein Kopffüßer im warmen Wasser der Subtropen. Da Sauerstoff in der Kälte sehr gut an Hämocyanin bindet, ist sein Transport von den Kiemen ins Gewebe gesichert. Obendrein haben die in der Antarktis lebenden Kraken der Art Pareledone charcoti neben ihrem normalen Herzen noch zwei kleinere Pumpen, die das Blut durch die Kiemen drücken und so den Sauerstofftransport weiter verbessern.

Viel Sauerstoff im Blut, und trotzdem ersticken

Leider hat das Ganze einen Haken: Je besser ein Blutpigment Sauerstoff festhält, umso schlechter gibt es ihn wieder ab. Wenn also normales Hämocyanin bei antarktischen Wassertemperaturen, die wegen des Salzes im Meerwasser bei minus 1,9 Grad liegen, Sauerstoff besonders gut bindet, ist das für die Kopffüßer sogar schlecht. „Tatsächlich würde das blaue Blut eines im warmen Mittelmeerwasser lebenden Kraken bei den Temperaturen der Antarktis den einmal gebundenen Sauerstoff im Gewebe praktisch gar nicht mehr abgeben“, hat Michael Oellermann herausgefunden. Solche Kraken hätten zwar reichlich Sauerstoff in ihrem blauen Blut, würden aber trotzdem im Südpolarmeer ersticken.

Dort leben aber sehr viele Kraken und halten das Ökosystem auf Trab: Sie fressen Unmengen kleiner Krebstiere und enden oft genug im Maul größerer Räuber wie den Robben. Diese Kraken müssen also einen Trick kennen, mit dem sie in der Kälte überleben. Um den Kopffüßern auf die Schliche zu kommen, fuhr Michael Oellermann mit dem deutschen Forschungseisbrecher Polarstern vom Süden Chiles aus in die Antarktis, fischte dort Kraken aus dem Südpolarmeer und brachte die gerade einmal faustgroßen Kopffüßer in gut gekühlten Aquarien nach Europa.

Dort schaute sich Oellermann das Blut der Tiere genauer an. „Anscheinend hat das Hämocyanin des Kraken Pareledone charcoti an seiner Oberfläche eine andere Aminosäurezusammensetzung“, lautet eines seiner vorläufigen Ergebnisse. Gemeinsam mit seinen Kollegen berichtet Oellermann im Fachmagazin „Frontiers in Zoology“, dass bei null Grad das Hämocyanin der Antarktis-Krake immerhin rund zwanzig Prozent des gebundenen Sauerstoffs wieder abgibt. Das ist natürlich ein Überlebensvorteil gegenüber Mittelmeer-Kraken, deren Hämocyanin gar keinen Sauerstoff zur Verfügung stellen würde.

Offensichtlich reicht diese Sauerstoffabgabe aber noch nicht aus. „Zusätzlich haben die untersuchten Kraken aus der Antarktis 40 Prozent mehr Hämocyanin im Blut als ihre Verwandtschaft in wärmeren Gewässern“, sagt Michael Oellermann. Und wenn es wärmer wird, weil die Tiere zum Beispiel in einem von der Sonne aufgewärmten Gezeitentümpel landen, wird der größte Teil des gebundenen Restsauerstoffs frei. Steigen im Klimawandel die Temperaturen, sollten die Kraken damit also gut zurecht kommen.