Mehr als Streetart: Mit „Show II“ gibt der Künstler abcdef seinen abstrakten geometrischen Visionen in der Lotte ein temporäres Zuhause. Erkannt werden möchte er nicht - das hat verschiedene Gründe.

Stuttgart - Land of temporary Eternity. Land der vorübergehenden Ewigkeit. Den Lotte-Menschen war kaum bewusst, welch treffenden Namen ihr Projektraum einmal tragen würde. Nicht nur für den ewigen Zweikampf zwischen Erschaffen und Zerstören, dem sich die eigenwilligen Macher seit Tag eins unterworfen haben. Sondern auch aufgrund der direkten Umgebung. Wie ein berühmtes gallisches Dorf ist die Lotte derzeit eingekesselt von Baugruben, metallenen Zäunen, tonnenschwerem Gerät, einer vollkommen entvölkerten und zugesperrten Stadtbahnhaltestelle... ganz allgemein einer Zerstörungswut also, die eine tiefe Wunde in die Stadt geschlagen hat. So temporär die Baustelle hier mitten im Stuttgarter Zentrum auch sein soll, so ewig wirkt sie auf seine Bewohner. Eine bleierne Betonwüste, die allerhöchstens im Sonnenuntergang einen ganz eigenwilligen Charme entfaltet.

 

Konkret unkonkret

Dem ewigen Hin und Her zwischen Erschaffung und Zerstörung hat sich auch der Künstler abcdef verschrieben. Ein schmaler junger Mann mit wachen Augen, der lieber unerkannt bleiben möchte und seine Wurzeln in der Graffiti-Szene hat. 2000 fing er klassisch mit großen bunten Buchstaben an, mittlerweile hat sich der 32-Jährige einem ureigenen Stil verschrieben. Ovale, Quadrate und andere geometrische Formen vereinigen sich in seinen Bildern zu bewusst reduzierten Flächen, deren Anziehung in der absichtlichen Limitierung liegt. „Es gefällt mir, mich auf ein Element zu limitieren und damit zu arbeiten. Ohne Grenzen“, findet er, „wird Kunst schnell beliebig. Jahrelang zeichnete ich nur mit Schwarz, mittlerweile verwende ich Farben, konzentriere mich deswegen aber ausschließlich auf Formen.“ Er lacht. „Sonst werden es schnell Blumen oder so.“ Ein auffallend originärer Stil entsteht, der an die Konkrete Kunst erinnert und am 17. und 18. Februar im Projektraum Lotte zu sehen ist. Nur an diesen beiden Tagen, versteht sich. Seine Kunst ist endlich.

Kein klassischer Streetart-Vertreter

Seit einigen Tagen arbeitet abcdef schon in der Lotte, zeichnet, plant, vermisst. Alles, was in seiner Ausstellung zu sehen sein wird, wird es nur hier zu sehen geben – Bilder, die skizzenhaften Vorstufen oder einiges aus seiner Projektreihe „One Minute Drawings“, in aller Unmittelbarkeit erstellte 60-Sekunden-Kunstwerke. Kunst, Künstler und der ihm zur Verfügung gestellte Raum bedingen sich, ohne das eine funktioniert das andere nicht.

Als klassischer Streetart-Vertreter sieht er sich nicht, eher als struktureller Künstler, der in seinen Werken im Grunde nur Ausschnitte unendlich großer Flächen sieht. Und etwas sehr Temporäres obendrein: Ein bestimmtes Bild an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, das ist sein Ansporn. Sobald er ein frontal fotografiertes Motiv davon hat, ist sein Job getan. „Im Grunde ist mir egal, was dann mit meinen Bildern geschieht. Ich freue mich, wenn Menschen meine Werke sehen, aber das ist nur ein Nebeneffekt. Sobald ich ein Bild an seinem Bestimmungsort fotografiert habe, wende ich mich dem nächsten Projekt zu.“ Binnen drei Wochen erschafft er schon mal 70 Bilder, verteilt sie an einem Wochenende in der ganzen Stadt und fotografiert sie. „Draußen gibt es eben die spannenden Flächen“, zuckt er mit den Schultern. Die besonderen Orte, die abgelegen wirken und gar nicht zum typischen Stadtbild gehören, die Gebäude, die bald abgerissen werden.

Anonym und abstrakt

Seinen richtigen Namen nennt er nicht. Das hat für ihn weniger mit Schutz und vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass er seine Kunst vom Erschaffer trennen möchte. „Es hat doch Charme, wenn man nicht weiß, wer dahintersteckt“, meint er und betont, dass es ihm lieber ist, wenn alles legal zugeht. „Ich trenne das gern von meiner Person, ich will damit nicht berühmt werden.“ Gut, vielleicht wollte Banksy das auch nicht, mittlerweile ist sogar die Farbnase, die als Nebenprodukt an einem seiner Bilder herunterläuft, ein Vermögen wert. Vom Streetart-Superstar und anderen Aktivisten unterscheidet sich abcdef allerdings schon in der Aussage. „Die ist bei mir abstrakter. Klar, alle Kunst hat eine Aussage, ich finde es aber schwierig, Streetart mit politischen Statements zu machen. Nicht allgemein, nur für mich persönlich.“ Er blickt durch das Fenster der Lotte auf die Baugrubenwüste für Stuttgart 21. Vielleicht wäre das auch mal ein Setting für eines seiner Kunstwerke, überlegt er. Allerdings nicht als Statement gegen oder für S21. „Das wäre doch viel zu einfach.“

"Show II": Freitag, den 17. Februar, sowie am Samstag, den 18. Februar in der Lotte. Mehr Infos gibt es hier.