Identität und Geschlecht – mehr dürfen Fahnder derzeit nicht aus dem Erbgut herauslesen. Dabei könnte es wichtige Hinweise auf Ausssehen oder Herkunft geben. Der rechtliche Rahmen sollte behutsam erweitert werden, meint StZ-Autor Andreas Müller.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es ist ein sattsam bekanntes Ritual. Wenn sich wieder einmal ein besonders schlimmes Verbrechen ereignet hat, werden sofort Rufe nach schärferen Gesetzen laut. Ein paar Tage lang schlagen die Wellen hoch, dann verebbt die Diskussion wieder – oft ohne Folgen.

 

Vordergründig scheint es auch nach dem Mord an der Freiburger Studentin so abzulaufen. Plötzlich wird allenthalben verlangt, die Polizei müsse aus dem Erbgut mehr Hinweise auf Straftäter herauslesen dürfen. Zu restriktiv seien die bisherigen Regeln für die DNA-Analyse, nach denen nur Identität und Geschlecht ermittelt werden können. Doch der Fall von Maria L. ist nur der Auslöser für eine Debatte, die schon länger geführt gehört. Seit der letzten Reform der Strafprozessordnung im Jahr 2003 haben sich die Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik, mithilfe der Genetik eine Art Steckbrief zu entwerfen, erheblich weiterentwickelt. Auch Aussehen, Alter und Größe sowie die grobe Herkunft lassen sich heute bestimmen, teils mit hoher Trefferquote.

Der Polizei wäre stark geholfen

Das Recht hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten – und das war auch gut so. Nicht alles, was möglich ist, muss gleich erlaubt sein, schon gar nicht auf diesem hochsensiblen Feld. Keine anderen Daten sind so schützenswert wie die Erbanlagen eines Menschen, die auch über Charakter oder Krankheiten Auskunft geben könnten. Doch der Abstand zwischen dem Möglichen und dem Erlaubten ist mit den Jahren groß, zu groß geworden. Die Methoden der DNA-Analyse wurden immer genauer – teils so genau, dass inzwischen schwer zu rechtfertigen ist, warum die Erkenntnisse nicht zur Aufklärung von Kapitalverbrechen verwendet werden dürfen. In Fachkreisen wird das schon länger beklagt, der breiteren Öffentlichkeit wurde es erst durch den Fall Maria L. bewusst. Die Polizei hat ihn zwar, dank vorbildlicher Ermittlungsarbeit, mit dem derzeitigen Instrumentarium gelöst, doch eine erweiterte DNA-Analyse hätte ihr nach eigenem Bekunden enorm geholfen.

Nun ist es Zeit, die Grenzen zwischen Datenschutz, Täterschutz und Opferschutz neu zu vermessen. In der Abwägung gegenüber dem Eingriff in Grundrechte müssen die Aufklärung schwerster Straftaten und der Schutz vor Tätern, die noch auf freiem Fuß sind, ein höheres Gewicht erhalten. Alles andere würde die Mehrheit der Bürger, von denen sich viele zunehmend Sorgen um ihre Sicherheit machen, kaum verstehen. Entscheidend ist, wie stark die Regeln gelockert werden. Der konkrete Nutzwert neuer Möglichkeiten für die Polizei ist dabei ein wichtiger Maßstab, aber nicht der einzige. Vieles spricht dafür, künftig die DNA-Informationen zum Aussehen freizugeben. Ein so entstandenes „Phantombild“ wäre verlässlicher als eines, das auf oft fragwürdigen Angaben von Zeugen basiert. Wie bei einem Zufallsfoto würde damit nur auf die Täter geschaut, nicht in sie hinein.

Keine „genetische Rasterfahndung“

Schwieriger ist die Frage, inwieweit auch die Herkunft von Verdächtigen ermittelt werden soll. Einerseits könnten dadurch ganze Gruppen in Verdacht geraten, umgekehrt aber auch zu Unrecht verdächtigte Gruppen frühzeitig entlastet werden. Mit Rassismus hätte das nichts zu tun. Generell gilt: Je unsicherer Informationen aus der DNA sind, desto zurückhaltender sollte man bei der Freigabe sein; solche Spuren könnten auch in die Irre führen. Am Ende darf jedenfalls keine „genetische Rasterfahndung“ stehen, wie dieser Tage gewarnt wurde. Hilfreich ist ein Blick in andere Länder wie die Niederlande, die schon länger eine erweiterte DNA-Analyse nutzen, offenbar mit guten Erfahrungen. Die Politik ist nun gefordert, die notwendige Debatte auch in Deutschland zu führen – gründlich und mit Augenmaß, aber nicht endlos. Das Thema ist zu wichtig, als dass es in schlechter Manier nach kurzer Aufwallung wieder zerredet werden darf.