Immer wieder wird das kostenlose Betriebssystem Linux als echte Alternative zu Windows empfohlen. Es funktioniert sogar auf alten Rechnern. Doch der Umstieg muss gut vorbereitet werden – und Linux hält auch manchen Schock für unbedarfte Nutzer bereit.

Stuttgart - Als der Softwarekonzern Microsoft am 8. April dieses Jahres Ernst machte mit seiner Ankündigung, das fast 13 Jahre alte Betriebssystem Windows XP nicht mehr zu unterstützen, ist vielen Menschen vermutlich zum ersten Mal klar geworden, dass ihr PC ein Verfallsdatum hat. Mein Computer gehört mir – das ist nur so lange richtig, wie dieser Computer zu dem benutzt werden kann, zu dem er gekauft wurde. Dazu gehört eine Software-Grundlage, das Betriebssystem, und dazu gehört auch der Zugang zum Internet. Der wird aber zu einem Sicherheitsrisiko, wenn das Betriebssystem nicht laufend vor neuen Schädlingen geschützt und von neu entdeckten Sicherheitslücken befreit wird.

 

Schon vor dem 8. April waren deshalb die Computerzeitschriften voll von Tipps, wie sich das Ablaufdatum des PC verlängern lässt. Die Welle hält bis heute an. Vermutlich der häufigste Tipp lautet: Steigen Sie um auf das Betriebssystem Linux! Das gibt es in zahlreichen Varianten, auch solchen für altersschwache Computer, auf denen neue Windows-Versionen nicht mehr laufen. Linux ist ein kostenloses System, welches das Zeug hat, die Kontrolle über den geliebten Alt-PC wieder zurückzugeben. Es hat sogar Vorteile gegenüber Microsofts Windows, dem erdrückend mächtigen Marktführer mit weltweit mehr als 90 Prozent Marktanteil.

Wenn Linux so gut ist, warum kauft man sich dann nicht gleich einen PC ohne Windows und installiert Linux? Es gibt solche Computer im Handel; sie sind in der Regel gut 80 Euro billiger, weil man sich die Kosten für Windows spart. Doch offenbar führt der Preisunterschied nicht dazu, dass Windows in den Regalen liegen bleibt. Das hat sich auch nicht geändert, als Microsoft seine Kunden mit Windows 8 mit einem völlig neuen Bedienkonzept – den „Kacheln“ – beglückte, ob sie das wollten oder nicht. Eine Alternative gab es zunächst nicht.

Bei Linux hat man immer die Wahl

Für viele Linux-Fans ist aber genau so etwas ein Grund, von Microsoft Abschied zu nehmen: Unter Linux hat man immer eine Wahl. Es gibt eine strikte Trennung zwischen dem Betriebssystem, das im Hintergrund den Computer steuert, der Bildschirmoberfläche (Desktop-Oberfläche), die zum Gesicht des PCs wird und über die man seinen PC konfiguriert und seine Dateien verwaltet, und schließlich den Anwendungsprogrammen wie Browser, Textverarbeitung und anderer Office-Software, E-Mail-Programm, Video-, Audio- und Fotosoftware und anderes. Auf dem Linux-Unterbau kann man sich eine Desktop-Oberfläche nach Wahl installieren und die Software aus einem Fundus von Hunderten von Programmen wählen. Besser noch: Man wählt gleich eine Distribution, die man schick und praktisch findet und ergänzt diese um eventuell fehlende Software. Letzteres ist aber oft gar nicht nötig, und das ist ein weiterer Vorteil von Linux: Die meisten Distributionen installieren eine Software-Ausstattung, mit der man sofort arbeiten kann. Sie sind zudem an große Datenbanken (sogenannte Repositories) angebunden, über die neue Software installiert und die vorhandene zusammen mit dem Betriebssystem auf dem aktuellen Stand gehalten werden kann. Wenn es Updates gibt, erhält man eine Nachricht, klickt auf „aktualisieren“ – und der Rest läuft automatisch ab.

Doch die meisten PCs werden nun mal mit Windows ausgeliefert. Man ist vertraut mit dem System. Warum wechseln? Wer seine Windows-Lieblingssoftware kennt, wird manches unter Linux nicht finden. Es gibt kein Microsoft Office und keinen Adobe Photoshop für Linux, und manche Spiele und Spezialsoftware gibt es nicht oder erst mit großer Verzögerung für Linux. Mitgeliefert wird bei den großen Distributionen ein hervorragendes Grafikprogramm namens Gimp und ein umfassendes Officepaket namens Libreoffice. Aber der Austausch mit den Windows-Pendants gelingt mehr schlecht als recht.

Wer entschlossen ist, auf Linux umzusteigen, muss deshalb im ersten Schritt diesen Umstieg hinausschieben. Libreoffice, Gimp und andere große Linux-Programme gibt es auch für Windows. Wer sich diese Programme auf seinen Windows-Rechner holt, kann in Ruhe und Schritt für Schritt umsteigen, jederzeit mit der Möglichkeit, schnell mal die Windows-Software zur Hilfe zu rufen. Zum Beispiel wird es sich nicht vermeiden lassen, Excel- und Powerpoint-Dateien mehr oder weniger vollständig neu zu erstellen; Makros aus MS Office funktionieren unter Libreoffice in aller Regel nicht, Seitenlayouts sind oft zerstört.

Windows bleibt vorerst als Rettungsboot im Schlepptau

Parallel sollte man bereits sogenannte Live-Systeme testen. Computerzeitschriften liegen oft DVDs mit beliebten Linux-Distributionen bei. Dieses Linux kann man von der Silberscheibe starten und ausprobieren, wenn auch meist in englischer Sprache, ohne dass der Testkandidat auf der Festplatte Schaden anrichtet.

Erst wenn man im Alltag gar nicht mehr zu reinen Windows-Programmen greifen muss, ist der Zeitpunkt für den Umstieg gekommen. Und auch dann sollte man Windows nicht gleich versenken, sondern als Rettungsboot mitziehen. Alle Linux-Distributionen installieren sich auf Wunsch parallel zu Windows auf der gleichen Festplatte so, dass man beim Start des Rechners das Betriebssystem wählen kann.

Besonders reibungslos gelingt der Umstieg nach einem aktuellen Vergleichstest der Computerzeitschrift „c’t“ mit zwei Distributionen, die eigens mit diesem Ziel geschaffen wurden: Ubuntu und der jüngere Ableger Linux Mint. Der südafrikanische Milliardär Mark Shuttleworth war 2004 wenn nicht der erste, so doch einer der Pioniere, die das als technisch anspruchsvoll verschrieene Linux unter dem Namen Ubuntu zu einem kostenlosen Jedermann-Betriebssystem gemacht haben. Wer keine Lust hat, sich mehr als unbedingt nötig in technische Details von Linux einzuarbeiten, ist mit Ubuntu oder einer seiner Varianten am besten bedient, auch wenn Puristen daran manches zu kritisieren finden. Zum Beispiel ist die Standard-Oberfläche Unity stark an Apple-Design angelehnt und nicht jedermanns Sache. Alternativen sind Kubuntu mit der Oberfläche KDE und Ubuntu-Gnome, beide grafisch anspruchsvoll, oder eine der beiden schlichteren und auch für alte PC geeigneten Oberflächen XFCE und LXDE, ausgeliefert als Xubuntu oder Lubuntu.

Ein paar grundlegende Kommandos sollte man kennen

Der Schock kommt an dem Tag, an dem irgendetwas im Linux-System nicht funktioniert, wie es das soll. Im Internet gibt es zwar ausführliche und gut erklärte Hilfe, vor allem auf den Seiten für Ubuntu-Nutzer. Doch dort erfährt der Nutzer unvermeidlich irgendwann, dass Maus und Fenster immer nur eine bunte und benutzerfreundliche Schicht über kryptischen Kommandostrukturen sind – übrigens auch bei Windows. Und dass bei Linux, je nach Distribution, mehr oder weniger häufig das bunte Fensterln endet.

Dann wird man auf ein schwarzes Terminal-Fenster verwiesen, wie es Windows-Nutzer als Eingabeaufforderung kennen. Dort hinein kopiert man von der Hilfeseite im Internet ein Textkommando, das meist klaglos tut, was es tun soll, auch wenn man es nicht versteht. Wer Glück hat, dem erspart sein Linux dieses Erlebnis lange. Aber Linux auf Dauer benutzen zu wollen, ohne sich ein wenig mit der Kommandozeile vertraut zu machen, ist nicht zu empfehlen, auch nicht mit den vielen Hilfsbereiten der Ubuntu-Gemeinde.

Erst wer wenigstens grundlegende Kommandos im Terminal beherrscht, kann sagen: Mein Linux-PC gehört mir.