Schwemmland kommt, Schwemmland geht: auf einer sehr vorläufigen kleinen Insel in einem Fluss versucht ein alter Bauer, Mais anzubauen. Das wird hier zum großen Sinnbild für das immer gefährdete menschliche Leben.

Stuttgart - So könnte auch eine Figur aus dem Alten Testament auf die Bühne ihrer Geschichte treten: der abchasische Bauer Abga, der zu Beginn des Films „Die Maisinsel“ seinen Kahn über den Fluss Enguri lenkt, mag ein paar Dinge am Leib tragen und im Boot haben, die unserer Zeit entstammen. Aber die prägen ihn nicht, sind nicht unverzichtbar für ihn. Sein Urgroßvater könnte genau so den Enguri befahren haben. Und dessen Urgroßvater. Der Kahn wäre vielleicht etwas gröber gefertigt, aber sein Tun wäre dasselbe: der Bauer sucht Land auf dem Wasser.

 

Der georgische Regisseur George Ovashvili führt uns zwar hinein in den Alltag einer anderen Gegend, aber zugleich ins Vorzeitliche und Parabelhafte. Auf dem Enguri bilden sich jedes Jahr kleine Inseln aus Schwemmerde, die eine Saison lang Bestand haben. Für die armen Bauern längs des Flusses gilt es, dieses Neuland rasch zu finden, für sich zu reklamieren und die fruchtbare Erde zu bepflanzen. Mit etwas Glück können sie dann vor dem schweren Herbstregen noch Mais ernten.

Zu brüchig fürs Grundbuch

Einerseits befinden wir uns also wirklich im Alttestamentarischen, am Anfang der Schöpfungsgeschichte, als sich Wasser und Erde scheiden, als Neues entsteht, das doch den Zweck hat, die Menschen zu ernähren, die bald auftauchen werden. Andererseits befinden wir uns in ganz unromantischen ökonomischen Zusammenhängen, bei denen kein Schöpfergott die Hand im Spiel hat. Das fruchtbare Land ist längst verteilt, die Armen haben nicht genug davon, um zu überleben. Sie sind angewiesen auf etwas Vorübergehendes, Prekäres, das zu brüchig ist, um in den Grundbüchern eine Rolle zu spielen.

Staunend schauen wir zu, wie der alte Mann sein Inselchen abschreitet und in Besitz nimmt. Ein Tuch, an einen Stock gebunden, ist ein Fanal der Zivilisation. Dass dieses leicht entfernbare Zeichen Besitz markieren, andere dazu bringen kann, die Insel zu passieren und weiter zu suchen, das weist auf ein Übereinkommen zum Gewaltverzicht, zum Respekt vor Regeln, das einen zu Tränen rühren könnte. Erweist sich der Mensch in „Die Maisinsel“ etwa als kontrollierbarer Egoist?

Auf der Grenze zwischen Feinden

Abga wird Holz und Gerätschaften auf die Insel bringen und seine Enkelin Asida, die sechzehn sein mag. Die beiden reden nicht viel miteinander, sie wissen, was zu tun ist. Und Asida weiß auch, dass sie nicht unbedingt draußen bleiben sollte, wenn Bootsmotoren zu hören sind, dass sie in das simple Bretterhüttchen gehen sollte, das Abga errichtet hat.

Der Enguri bildet die Grenze zwischen Abchasien und Georgien. An beiden Ufern tauchen ab und an Soldaten auf. Beide Seiten schicken Patrouillenboote, und so, wie zuvor der Stofffetzen am Stock Zivilisation signalisierte, genügt nun der Anblick von Uniformen, um den Zusammenbruch der Zivilisation heraufzubeschwören. Die beiden Gruppen würden einander zu gerne an die Gurgel gehen, und Abga, sein Hüttchen und etwas Mais würden dann kaum bemerkte Kollateralschäden.

Alles andere als Pseudofolklore

Ovashvili, 1963 in Tiflis geboren, orientiert sich an einer Kinotradition, die suspekt geworden ist. Die schroffen, knappen, manchmal tragikschweren Parabeln, mit denen einst in ländlicher Kulisse von menschlichen Grunderfahrungen erzählt wurde, haben sich in eine Mischung aus Ethno- und Esoterikkitsch, in kombinierten Landlust- und Schreckenskitzel verwandelt. Was wie tief verwurzeltes Volkskino aussehen möchte, ist auf die Mödchen internationaler Festivals hin maßgeschneiderte Pseudofolklore geworden.

Rätsel und große Bilder

Aber „Die Maisinsel“ täuscht Kraft und Ernst nicht vor, sondern besitzt sie. Dass sich ein flüchtiger Soldat zeitweilig auf der winzigen Insel versteckt, dass sich zwischen ihm und Asida etwas entwickelt, das jene gemeinsame Sprache nicht braucht, die den beiden fehlt, ist keine überraschende Entwicklung. Aber wie Ovashvili Nähe und Distanz, Verstehbarkeit und Rätselhaftigkeit, Optimismus und Pessimismus dosiert, ist außergewöhnlich.

In jedem Moment scheint auf diesem Land auf Zeit alles und nichts möglich, mal ist die große Auflehnung gegen die Regeln der anderen denkbar, mal nicht vorstellbar, dass Insel, Haus, Beziehungen noch einen Tag halten werden. „Die Maisinsel“ ist ganz großes Kino, dessen Bilder zugleich heilen und verletzen.

Die Maisinsel. Georgien, Deutschland, Frankreich, Tschechien, Kasachstan 2014. Regie: George Ovashvili. Mit Ilyas Salman, Mariam Buturishvili. 101 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.