Chansons, Couplets und Popsongs: im Foyer des Stuttgarter Schauspielhauses versenkt Wolfgang Michalek den „Menschenfeind“ in einem Liederabend. Rettung kommt allein von der famosen Birgit Unterweger.

Stuttgart - Am Ende des Abends erklatscht sich das Publikum eine Zugabe. Peer Oscar Musinowski wirft sich in Pose und singt „As Time goes by“, den Klassiker aus „Casablanca“. Der Mann am Klavier heißt Michael Lieb und verrichtet seine Arbeit am musikalischen Mythos prima, was man vom Mann am Mikro nicht unbedingt behaupten kann. Anfänglich bemüht sich Musinowski, den Melancholie-Song gefühlvoll zu bringen, aber dann steigert er sich von Sekunde zu Sekunde in ein Gegröle hinein, das die herbeizitierten Gefühle ironisieren und schrotten soll, aber die Gehörgänge einfach nur quält. Das steht fest: Diese Misshandlung von „As Time goes by“ braucht die Welt nicht.

 

Ob die Welt diesen Abend auf der Foyerbühne des Stuttgarter Schauspiels überhaupt braucht, auch das ist fraglich. Auf dem Pogramm steht, zumindest offiziell, Molières „Menschenfeind“ von 1666, handelnd vom radikalen Idealisten Alceste, dem seine Mitmenschen zuwider sind. Ob am Königshof oder in den Salons der Adligen: überall wittert er nur Schmeichelei, Heuchelei, Lüge, Selbstsucht, Schmarotzertum – und weil er sich diesem verdorbenen Milieu nicht fügen will, eckt er auf Schritt und Tritt an und gerät zum Außenseiter. Dumm nur, dass der rigide Moralist ausgerechnet eine Vertreterin der ihm verhassten Gesellschaft liebt: Célimène, die junge, kokette, frivole Witwe, die sich quietschvergnügt durch die Partys von Paris schlürft und einen Schweif von Verehrern hinter sich her zieht.

Tugendterror ist auch keine Lösung

Alceste, Célimène und das intrigante Spiel mit den Gefühlen der anderen: die Gesellschaft ist schlecht, sagt Molière in seiner gallenbitteren Komödie, aber mit Prinzipienreiterei, mit Tugendterror gar wendet sich nichts zum Besseren, weder im Öffentlichen noch im Privaten. Wer es dennoch versucht, wird zum Menschenfeind wie der sich final in die Einsamkeit flüchtende Alceste.

Der Stoff ist zeitlos und lässt sich locker aktualisieren. Hans Magnus Enzensberger hat „Le Misanthrope“, so das Original, 1979 neu übersetzt und bundesdeutschen Verhältnissen angepasst, ebenso wie Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens, deren Übertragung der Stuttgarter Aufführung zugrunde liegt. Regie führt Wolfgang Michalek, als Schauspieler einer der prägenden Figuren des Ensembles. Nur: in seiner Inszenierung kommt Molière kaum vor, er fungiert eher als Pausenfüller zwischen all den Chansons, Couplets und Popzitaten, die bei diesem Liederabend gegeben werden. Ja, Liederabend – weshalb der überwiegend ins Berliner Cabaret der zwanziger Jahre getunkte Molière ein Etikettenschwindel ist und konsequent in einer musikalischen Zugabe endet, die unglückseligerweise lausig klingt. Um Missverständnisse zu vermeiden: Sie stammt nicht, wie man ob der Misstöne vermuten könnte, vom Menschenfeind des Christian Czeremnych, sondern von seinem erotischen Widersacher Oronte alias Musinowski.

Marlene Dietrich, Georgette Dee und Célimène

Die halbstündige revuehafte Ouvertüre zu Beginn aber ist stark: Mondän gekleidet wie Marlene Dietrich, mit eng tailliertem, bodenlangem Glitzerkleid und schwanengleich geschwungener Stola betritt Birgit Unterweger als Traum in Weiß die Bühne. Ihre Célimène ist die von allen bewunderte, begehrte Theaterdiva, die ins Mikro singt und haucht, faucht und plärrt, romantisch und nymphomanisch, mit zarter und rauer Stimme, mit Augenaufschlag und Schlafzimmerblick – eine Femme fatale, die souverän mit dem Publikum flirtet, witzig, schlagfertig, anzüglich. Angesichts dieser Charmeoffensive ist es dann auch wieder egal, dass die unwiderstehliche Célimène nicht nur ihre Performance, sondern auch ihre Conférence bei Georgette Dee abgeguckt hat, der kultisch verehrten Gender-Diseuse.

Dass ihre Show und die kriminell ausgedünnte Story drumherum im Foyer des Schauspielhauses stattfindet, hat übrigens praktische Gründe. Auf der Bühne drinnen wird bis zur Sommerpause zwar noch weiter gespielt, aber auch schon wieder nachsaniert – deshalb der Ausweichort. Wir aber schreiben philanthropisch in den Beipackzettel zur Hundert-Minuten-Sause: Vergesst Molière! Genießt Unterweger! Dann hat man schon ein bisschen seinen Spaß.

Aufführungen
am 11., 12., 14. und 16. Juli sowie vom 18. bis 22. Juli.