Mitten in Europa werden jährlich Hunderttausende von Menschen um ihren Lohn betrogen oder zur Prostitution gezwungen. Eine neue EU-Strategie soll dies ändern – und den Opfern helfen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Brüssel - Der Markt liefert alles. Es ist nur eine Frage des Geldes. Es ist ein boomendes Milliardengeschäft. Verschoben und verkauft werden bei diesem Geschäft aber keine Waren, sondern Menschen. Weltweit sind rund 27 Millionen Männer und vor allem Frauen Opfer von moderner Sklaverei, heißt es im neuesten US-Jahresbericht zum Menschenhandel. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht von weltweit fast 21 Millionen Opfern von Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung aus.

 

Es ist nicht nur ein Phänomen der armen Regionen. Mitten in Europa werden jährlich Hunderttausende von Menschen um ihren Arbeitslohn betrogen, zu Prostitution, Bettelei oder Diebstählen gezwungen, sie werden zwangsweise verheiratet, illegal adoptiert oder zur Organentnahme verschleppt. Und: es ist ein Problem direkt vor unserer Haustüre. Anfang Mai dieses Jahres sind vom Stuttgarter Landgericht zwei Männer wegen Menschenhandels und Zuhälterei in sogenannten Flatratebordellen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Sie hatten über Jahre hinweg junge Frauen aus Rumänien nach Deutschland gebracht, um sie als Prostituierte sexuell auszubeuten.

Nicht immer werden die Opfer auf den ersten Blick erkannt

„Sklaverei findet man nicht nur in den Geschichtsbüchern“, konstatiert die in der Europäischen Union für innere Angelegenheiten zuständige Kommissarin Cecilia Malmström. Die EU-Kommission hat jetzt eine Strategie präsentiert, wie dem kriminellen Treiben ein Ende gemacht werden kann. „Mit unseren Maßnahmen möchten wir sicherstellen, dass die Opfer Unterstützung erhalten und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte die Politikerin bei der Präsentation des Papiers in Brüssel. Mit ihren Vorschlägen will die Kommission Vorgaben einer EU-Richtlinie gegen Menschenhandel ergänzen, die von den Mitgliedstaaten bis April 2013 umgesetzt werden muss.

Bei der Bekämpfung dieses Verbrechens stellt sich ein zentrales Problem. Nicht immer werden die Opfer von Menschenhandel auf den ersten Blick erkannt, sondern von den ermittelnden Behörden für illegale Einwanderer oder Schwarzarbeiter gehalten. Aus diesem Grund gibt es in Deutschland sehr unterschiedliche Schätzungen über das Ausmaß des Problems.

Die Kooperationsbereitschaft der Opfer ist äußerst gering

In einem Bericht des Bundeskriminalamts in Wiesbaden über Menschenhandel in Deutschland wird darauf hingewiesen, dass die Polizei bei ihrer Ermittlungsarbeit auf große Hindernisse stoße – auch beim Verdacht auf Menschenhandel im Bereich der Prostitution. Das erste Problem bestehe darin, dass in der Regel die Ausweispapiere der kontrollierten Personen nicht vollständig seien. Zudem sei die Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer mit den Behörden oder Beratungsstellen meist äußerst gering. Anfänglich gemachte Zeugenaussagen würden oft zurückgezogen, insbesondere wenn die Opfer während der Ermittlungen auf eigenen Wunsch in ihr Heimatland zurückkehrten.

In diesen Fällen sei es unmöglich, den Hintermännern das Handwerk zu legen. Das führt dazu, dass die Opfer bisweilen ein Leben lang unter den erlittenen Qualen leiden, ihre Peiniger aber straffrei davonkommen. Die Zahl der Verurteilungen wegen Menschenhandels ging laut EU-Kommission in den Jahren von 2008 bis 2010 sogar von rund 1500 auf 1250 zurück.

Ermittlungsgruppen sollen europaweit kooperieren

Dies soll die neue EU-Strategie ändern. Dazu wurden verschiedene Maßnahmen ausgearbeitet: Unter anderem soll in Zukunft nicht nur in den Ländern verstärkt gegen Menschenhandel vorgegangen werden. Ein zentraler Punkt ist der Ausbau der europaweiten Zusammenarbeit der Stellen, die sich mit Menschenhandel befassen. Ins Auge gefasst ist der gezielte Aufbau von grenzüberschreitenden Ermittlungsgruppen. Wichtig ist auch, die Geldquellen der Schlepper auszutrocknen. Geplant ist deshalb eine bessere Koordinierung der Behörden, die die Finanzströme der Menschenhändler verfolgen und offenlegen. Solche Informationen sollen auch vor Gericht verwendet werden können, was manchen Opfern demütigende Zeugenaussagen ersparen könnte.

Vor allem sollen die Menschen besser über ihre Rechte aufgeklärt werden. Dazu gehört auch, dass die Opfer nach der Rückkehr in ihre Heimat von den dortigen Behörden vor Ort besser geschützt werden. Zudem soll die EU-weite Vernetzung sämtlicher Organisationen verbessert werden, die sich auf die Hilfe für die Opfer von Menschenhändlern spezialisiert haben. Da sich die Aktivitäten der Verbrecher immer mehr ins Internet verlagern, sollen deren Strategien aufgedeckt werden: vor allem in den sozialen Netzwerken locken sie ihre Opfer an.

Menschenhandel ist ein Problem aller Gesellschaftsbereiche

In Deutschland gibt es seit 1997 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe gegen Frauenhandel. Seit 1987 sind mehr als 50 Fachberatungsstellen für Opfer von Frauenhandel entstanden. Außerhalb des Bereichs Prostitution gibt es wenig Angebote, obwohl der Menschenhandel zum „Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft“ seit 2005 in Deutschland unter Strafe steht. Der „Bundesweite Koordinationskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess“ (KOK) hat der Bundesregierung Vorschläge gemacht, wie Opfern besser geholfen werden könnte und wie man die Öffentlichkeit sensibilisieren kann, Produkte und Dienstleistungen zu meiden, die mit Hilfe von Zwangsarbeit entstanden sein könnten.

Die Mitarbeiter von KOK unterstreichen, dass Menschenhandel ein Problem aller Gesellschaftsbereiche sei. In einer Studie heißt es: „Menschenhandel kann Menschen aller Bildungsschichten treffen, zum Beispiel wenn sie aufgrund der Nichtanerkennung von Bildungsabschlüssen keine Möglichkeit haben, in Deutschland gute adäquate Arbeit zu finden.“ Es sei ein Verbrechen, das uns alle angehe.