Der Mentalcoach Mirko Irion spricht im StZ-Interview über den großen Trumpf der Stuttgarter Mannschaft auf dem Weg zum Klassenverbleib.

Stuttgart – - Als Fachmann für Psychologie weiß Mirko Irion, was im Finale des Abstiegskampfs das Wichtigste ist – positive Energie. Dabei erkennt er beim VfB Stuttgart einen erstaunlichen Wandel.
Herr Irion, der Abstiegskampf ist an Dramatik kaum zu überbieten. Welche der sechs noch gefährdeten Mannschaften hätte Ihre Hilfe vor dem letzten Spieltag am nötigsten?
Die Frage lautet, was man kurzfristig noch machen kann – und für die Antwort reicht es, wenn man die verschiedenen Trends anguckt. Die Paderborner hatten jetzt ihr Negativerlebnis mit der sehr unglücklichen Niederlage auf Schalke. Zuvor wurden sie vom Spaßfaktor getragen, aber nun haben sie einen Dämpfer bekommen. Die Spieler lassen automatisch die Köpfe hängen.
Das heißt weiter?
Dass es schwierig ist, aus dem Tief rauszukommen und in dieser Situation nochmal eine Trendwende zu erzwingen. Die Zeit ist knapp. Der Verein kann nur versuchen, alle negativen Strömungen von den Spielern fernzuhalten, damit der Spaß zurückkehrt. Aber das ist eine brutale Herausforderung.
Vor einer solchen Hürde steht auch der HSV.
Das stimmt. In diesem Zusammenhang sind im Übrigen auch die Aussagen von Bruno Labbadia alles andere als glücklich. Er betont ja ständig, wie schwierig das alles ist. So lebt der Trainer aber keine Zuversicht vor. Dieser Eindruck setzt sich dann auch bei seinen Spielern fest – und dann wird alles sogar noch schwieriger.
Vor zwei Wochen haben Sie in einem Interview aber gesagt, dass Sie eher für den VfB schwarz sehen. Gilt das heute auch noch?
Nein, der VfB hat den Trend umgedreht.
Wie ist das gelungen?
Dazu muss man noch einmal zurückschauen. Vor zwei Wochen herrschte noch viel Unruhe im Club und vieles wurde negativ betrachtet. Aber im Anschluss hat der VfB Stuttgart ein paar elementar wichtige Dinge korrigiert. So spricht Huub Stevens mittlerweile anders über seine Mannschaft und sagt, dass die Spieler einfach Spaß haben sollen. Und der Aufsichtsrat hat auf die Indiskretion von Hansi Müller reagiert, der dem Gremium nun nicht mehr angehört(Anm. d. Red.: Müller plauderte die Verpflichtung des Trainers Alexander Zorniger aus). Das waren dann lauter richtige Entscheidungen.
Was hat das konkret für die Mannschaft bedeutet?
Bis vor Kurzem war beim VfB vieles nebulös. Die Spieler waren unsicher, wo der Verein überhaupt hin will. Jetzt haben sie aber erkannt, dass der Club eine Linie hat und entsprechend handelt. So können sie wieder ein Profil erkennen. Dadurch entstand ein gutes Gefühl, das die Spieler mit auf den Platz genommen haben – und das Gefühl gibt im Fußball oft den Ausschlag.
Wie bewerten Sie dabei den Auftritt von Huub Stevens, der die Spieler am vergangenen Donnerstag als Affen bezeichnet hat?
Die Reaktion der Spieler auf diese Aussage war ein deutliches Signal, in welcher Stimmung sie sind. Wären sie in einem negativen Abschnitt, hätte das verheerende Folgen haben können. Es war riskant, doch der Trainer musste sie wach rütteln.
Huub Stevens hat schließlich erreicht, was er erreichen wollte.
Wenn man bei einem Torjubel wie am Samstag gegen den HSV mit einem Augenzwinkern zu einem Affentanz ansetzt, spricht das Bände. Dann strahlt man positive Energien aus. Und das Beste war, dass dieser Affentanz ja vorher besprochen und geplant war. Das belegt, dass die Spieler fest davon ausgegangen sind, dass es einen Grund zum Jubeln geben wird – und positiver kann die Einstellung kaum sein.
Motivation durch Provokation, dürfte sich Stevens bei seiner Affenaktion gedacht haben – ein probates Mittel?
Der Trainer hat auf jeden Fall das erhoffte Resultat geerntet, aber ob das kalkuliert war oder Glück, sei mal dahingestellt. Ich wünsche Huub Stevens jedoch, dass es kalkuliert war, denn dann hätte er psychologisch große Kompetenz bewiesen.
Warum ist der Schuss nicht nach hinten losgegangen?
Aus mentaler Sicht spielen die Fans dabei eine zentrale Rolle. Sie zelebrieren im Stadion eine Partystimmung, in der sich die Spieler trauen, so etwas wie einen Affentanz aufzuführen. Alle wollen Spaß haben. Und Huub Stevens selbst ist auch ein Frecher. In ihm steckt ein ironischer Lausbub, der am Samstag in sich hineingelächelt haben dürfte. So haben sie sich diesen Affentanz alle zusammen erarbeitet.
Würden Sie es vor diesem Hintergrund für sinnvoll halten, wenn Stevens vor der Partie in Paderborn ein ähnliches Zeichen setzt?
Nein, es sind keine weiteren Impulse notwendig. Vielmehr geht es darum, diese Affentanzenergie und dieses Glücksgefühl zu konservieren. Wenn das klappt, wird der VfB das Spiel gewinnen.
Ist Provokation eigentlich auch generell immer ein guter Ansatz für Motivation?
Kurzfristig schon, um die Spieler zu fokussieren. Strategisch funktioniert es jedoch nicht, weil sich diese Methode schnell abnützt und verpufft. Dann wirkt es lächerlich. Deshalb geht es für den VfB nach dieser Saison darum, mittelfristige Konzepte mit klaren Kompetenzverteilungen umzusetzen. Dazu bedarf es neuer Strukturen. Der Verein muss beispielsweise wissen, wie er in Krisensituationen reagiert und wie ein Leitbild gelebt werden soll – vom Aufsichtsrat bis zum Platzwart. Denn die Konsequenz aus der Entwicklung kann nicht nur lauten – wir brauchen mehr Geld, um Spieler kaufen zu können. Wenn das alles ist, ist der Club in einem Jahr wieder in der gleichen Lage wie heute und wir können genau das gleiche Interview führen.
Und wer steigt in diesem Jahr ab?
Für Paderborn und den HSV sehe ich mindestens so schwarz wie vor zwei Wochen noch für den VfB. Und nicht wundern würde mich, wenn Hertha BSC auf den Relegationsplatz zurückfällt. Sie sind auch in einem negativen Strudel drin. Aber sie haben den Vorteil, dass es dafür schon eine spezielle Ergebniskonstellation braucht.