Es heißt nicht umsonst: Der Ton macht die Musik. Wie haben Schulz und Merkel die Sprache eingesetzt, wie war die Rhetorik? Wer hat beim TV-Duell besser geredet?

Berlin - Tja, das war’s. Aber was war es eigentlich genau? Kein Duell jedenfalls, keine Schlagabtausch, noch nicht einmal ein richtiges Streitgespräch. Zu sehr waren die beiden Kandidaten damit beschäftigt, das Stakkato der Moderatoren-Fragen abzuarbeiten. Dennoch gab es bemerkenswerte Unterschiede im Auftritt von Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) und Herausforderer Martin Schulz (SPD). Wer inhaltlich die besseren Argumente hatte, muss jeder Zuschauer für sich entscheiden. Aber interessant ist ja nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“. Argumente brauchen Worte. Wie also haben die beiden Profis geredet, wie haben sie die Sprache eingesetzt, wie war die Rhetorik?

 

Am besten fängt man da mit dem Ende an. Die einminütigen Abschluss-Statements sind das einzige Stück Text, das sich die beiden Kontrahenten schon im Vorfeld zurechtlegen konnten. Da wird bestimmt nichts dem Zufall überlassen. Was da ganz besonders auffiel: Beide Bewerber wählten ganz andere Perspektiven. „In 60 Sekunden, meine Damen und Herren, verdient eine Krankenschwester weniger als 40 Cent, und ein Manager in einem Großunternehmen mehr als 30 Euro.“ So begann Martin Schulz sein Schlusswort. Eine Zuspitzung auf zwei Personen. Die Krankenschwester – das ist der Bezug auf eine bekannte Alltagssituation. Von der aus wird der Gedanke entwickelt.

Zwei Kandidaten, zwei Methoden

Ganz anders die Kanzlerin: „Wir haben aus meiner Sicht nicht ausführlich darüber gesprochen, was eigentlich zur Entscheidung steht in den nächsten vier Jahren“, fängt sie an. Man müsse jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. „Durch den digitalen Fortschritt wird sich vieles ändern.“ Das erklärt sie näher: „Arbeitsplätze, die heute sicher erscheinen, müssen weiter sicher gemacht werden. Die Bildung muss umgestellt werden. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf den Staat mit neuen Möglichkeiten des digitalen Zugangs zu ihrem Staat ausrüsten.“ Aufriss des Problems, dann das Aufteilen in die Arbeitsfelder. Von oben nach unten. Erst der Obersatz, dann die Ableitung. Bei Schulz ist das genau andersherum, von unten nach oben.

Das ist ein roter Faden der gesamten Diskussion. Wenn Schulz über den Diesel-Skandal spricht, erzählt er eine Geschichte. Vor ein paar Tage habe er Handwerker im Haus gehabt. „Die sind alle gekommen mit kleinen Lieferwagen oder Vans, alle Diesel. Die hatten alle zwei Fragen: Muss ich die Umrüstung selbst bezahlen, und gibt es in Aachen ein Fahrverbot, so dass ich meinen Job nicht mehr machen kann.“ Merkel nähert sich dem Thema theoretisch: „Wir sorgen dafür, dass im Rahmen des Rechtlichen die Autoindustrie die Verbraucher entschädigt. Deshalb gibt es ja auch die kostenlosen Software-Umrüstungen. Und die Auto-Unternehmen sind verpflichtet, das was sie als Autotypen zugelassen haben auch auf die Straße zu bringen.“ Die eine Methode ist vielleicht nicht besser oder schlechter als die andere – aber sie sind eben grundverschieden.

Unterschiede in Nuancen

Man kann auch unterschiedlich sprechen, wenn man sich in der Sache eigentlich ziemlich einig ist. Die Themen Erdogan und Trump sind ein gutes Beispiel dafür. Weder Merkel noch Schulz finden die beiden Staatschef sympathisch. Der eine aber sagt das deutlicher, der andere diplomatischer. „Ich will Ihnen eines sagen“, wendet sich Schulz direkt an Merkel. „Ich bin entscheidend anderer Auffassung, was den Umgang mit Herrn Erdogan angeht“, sagt er. „Herr Erdogan versteht eine einzige Sprache, die der konsequenten Haltung.“ Die einzige Sprache die Ankara verstehe sei: „Jetzt ist Schluss.“ Merkel ist im Ton vorsichtiger. Schulz ist für Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Merkel sagt: „Dass die Beitrittsverhandlungen nicht erfolgreich weitergeführt werden können, darüber sind sich alle einig.“. Aber sie mahnt zur Vorsicht. „Leisetreterei ist das letzte was man braucht im Umgang mit jemanden wie Erdogan“, das schon. „Aber wenn man Staatsbürger frei bekommen will, dann muss man schon noch im Gespräch bleiben.“

Immerhin gibt es hier in Nuancen Unterschiede. In Sachen Trump ist man sich eigentlich völlig einig. Aber auch hier formuliert Schulz viel härter. „Ein Mann, der mit Tweets jede Niedertracht in die Welt setzt, dem bei der persönlichen Verunglimpfung seiner Gegner jedes Mittel recht ist, der ganze Bevölkerungsgruppen verleumdet, dem es nicht gelingt, sich vom Nazi-Mob zu distanzieren – dem muss ein deutscher Kanzler doch sagen: Ihre Politik wird niemals die Politik der Bundesrepublik Deutschland.“ Das meint Merkel wohl auch. Nur sagt sie es anders: Die Zusammenarbeit habe „auf der Basis gemeinsamer Werte stattzufinden. „Wir haben schwerwiegende Differenzen mit dem amerikanischen Präsidenten. Wir haben auf der anderen Seite Notwendigkeiten zur Kooperation. „Aber ob es Klima ist, ob es die Äußerungen nach Charlotteville sind, den schrecklichen rassistischen Attentaten – da stockt einem der Atem, und da müssen wir deutlich ansprechen, wo die Differenzen sind.“

Eine Seltenheit: Merkel und Schulz reagieren scharf

Es ist dem starren Frage-und-Antwort-Schema geschuldet, dass zwischen den beiden Bewerbern kein Streitgespräch aufkommen kann. Zum Schlagabtausch kommt es selten. Wenn, dann forciert Schulz die Verschärfung. Zweimal greift er zu einem rhetorischen Mittel, das die Kanzlerin gar nicht nutzt. Er spricht sie direkt an und stellt ihr eine Frage: Einmal geht es um Flüchtlinge. Merkel verteidigt ihre Politik. Schulz kontert: „Gestatten Sie mir eine Frage. Wir haben erlebt, wie Herr Orban gegen die deutsche Flüchtlingspolitik kämpfte, mit ziemlich bösen Worten auch Ihnen persönlich gegenüber. Warum hat ihn eigentlich dann Horst Seehofer als Ehrengast bei der CSU eingeladen?“ Ein Weg, die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schwesterparteien der Union ins Gespräch zu bringen.

Das andere Mal geht es um die Polizei. Merkel wird mal scharf. Leider gebe es Bundesländer, natürlich SPD-geführt, in denen es keine Schleierfahndung gebe, nicht die Möglichkeit zur Videoüberwachung, und in denen Polizisten gekennzeichnet würden, weil man ihnen misstraue. „Dann muss man sich nicht wundern, wenn Polizisten sich im Stich gelassen fühlen.“ Es brauche ein Maß gleicher Sicherheit. In Bayern etwa gebe es bessere Ausrüstung und bessere rechtliche Möglichkeiten. Schulz will das nicht auf sich sitzen lassen. Gegen den Protest der Moderatoren drückt er folgende Bemerkung durch: „Darf ich Ihnen mal eine Frage stellen: Kennen Sie das Bundesland in Deutschland, das 2016 die höchste Kriminalitätsrate hatte?“ Das bleibt nicht ohne Wirkung. Merkel weiß es nicht. „Verraten Sie es mir einfach“, sagt sie. Es ist Sachsen-Anhalt. „Seit 20 Jahren CDU-regiert“, wie Schulz triumphiert.

Höflichkeit als rhetorische Waffe

Dann wird er mal ganz direkt. „Immer der gleiche Trick“, raunzt er. Immer drauf auf Rot-Grün. „Hören Sie doch auf mit dem Schwarzer oder Roter Peter-Spiel.“ Solche direkten Attacken gibt es von Merkel nicht. Sie arbeitet da indirekter. Beispiel Koalitionsfragen. Koalitionen mit Linken oder AfD schließt sie aus. „Und ich finde, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer einen Anspruch darauf haben, dieses auch von der SPD zu hören.“ Ein Wirkungstreffer. Jetzt muss Schulz reagieren – und weicht aus. „Ich bewerbe mich dafür, die SPD so stark wie möglich zu machen. Wer nach der Bundestagswahl dann mit uns eine Regierung bilden will, kann auf uns zukommen.“ Noch ein anderes Mal wird Merkel außergewöhnlich deutlich. Da geht es um Gerhard Schröders Karriere beim russischen Staatskonzern Rosneft. „Er untergräbt die Sanktionen, die die Europäische Union erhoben hat. Das ist ein sehr trauriger Zustand.“ Schulz, der in der Sache Merkel nicht widerspricht, muss Schröder tapfer ob seiner Lebensleistung verteidigen, aber man merkt, dass ihm die Sache nicht angenehm ist.

Ansonsten geht man freundlich miteinander um. Merkel betont mehrmals, wo sie Schulz schon gut zusammen gearbeitet habe. Höflichkeit ist staatsmännisch – und deshalb auch eine rhetorische Waffe. Manchmal ist sie ein Ausweg. Merkels überaus klare Festlegung darauf, dass es mit ihr keine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 70 geben werde, nimmt Schulz ein wichtiges Argument aus der Hand. Wie reagiert man da? Am besten als guter Verlierer. „Find ich toll. Frau Merkel, a la bonneheure!“ Und dreißig Sekunden später: „Ganz toll“.

Was noch auffiel: Weder wucherte Merkel mit dem Amtsbonus, noch trumpfte Schulz mit Sätzen wie „Ich als Bundeskanzler werde…“ auf. Stattdessen wählte er mehrmals die bescheidenere Formulierung „Wenn ich Bundeskanzler wäre und die Bürger und Bürgerinnen geben mir dafür das Mandat…“. Ob freilich Bescheidenheit die angemessene Tugend eine Kanzlerkandidaten ist, das müssen die Wähler entscheiden.