Christian Wietschorke zieht mit seiner kleinen mobilen Werkstatt das ganze Jahr über durch Süddeutschland und schleift die Messer, die nicht fürs Wegwerfen gemacht sind. Einen anderen Job kann sich der Ulmer schon lange nicht mehr vorstellen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Mittag in Murnau am Staffelsee, in einem feinen Nebel aus Schleifstaub steht Christian Wietschorke und guckt durch seine Schutzbrille auf die Klinge unter seinen Händen. Hundert Messer aus Tafelsilber hat ihm eine Dame anvertraut, die Sachen müssen bald fertig sein, und andere Kunden warten schon vor dem Fenster seiner kleinen mobilen Werkstatt, mit der er das ganze Jahr über durch Süddeutschland zieht.

 

Im Touristenort Murnau ist der Messerschleifer aus Ulm gern, er macht immer gleich drei Wochen vor dem Eingang des Gemischtwarengeschäftes Paul Station, das selbstverständlich auch Messer führt. Das ist eine schöne Symbiose. „Die Kunden warten immer schon auf ihn“, sagt Geschäftsführer Florian Paul. „Messerschleifer fallen ja nicht vom Himmel.“

Am wirksamsten ist die Mund-zu-Mund-Empfehlung

Die Statistik der kaufkräftigsten Regionen Deutschlands hat Christian Wietschorke vor vier Jahren verraten, dass hier im Touristenstädtchen vermögende Leute wohnen. Darunter viele, die in der Küche nicht mit Discountmessern für 2,49 Euro hantieren wollen, sondern mit geschmiedeten kleinen Kostbarkeiten, die nicht fürs Wegwerfen gemacht sind, sondern fürs fachgerechte Nachschärfen. „Billig kann ich mir nicht leisten“, sei das Motto vieler seiner Kunden, sagt der 47-jährige Ulmer. „Die Leute kaufen sich einmal was Gescheites, und das pflegen sie.“

Da also sucht der Messerschleifer sein Geschäft: Bei den Wohlhabenden, die das Sparen gelernt haben. Wo das im Einzelnen genau ist, bleibt allerdings doch oft eine Sache von Versuch und Irrtum. Derzeit bereist Christian Wietschorke 16 Städte, doch er ist immer auf der Suche nach noch besseren Standorten mit mehr Laufkundschaft und einer Bevölkerungsstruktur, in der das Weitersagen funktioniert. Mit Anzeigen in regionalen Tageszeitungen kündigt der Messerschleifer sich vorher an, er bringt Handzettel mit, auf denen seine Homepage steht, die wiederum seine sämtlichen Jahrestermine enthält. Aber am wirksamsten für sein Geschäft, das sei die Mund-zu-Mund-Empfehlung, sagt er.

Christian Wietschorke schleift auch Scheren, solche von Profi-Friseuren zum Beispiel, die leicht einen Anschaffungswert zwischen 1200 und 1800 Euro besitzen. „Da reicht ein Wackler, und die Geometrie der Schneide ist hin“, berichtet er. Ihm passiert so was schon lange nicht mehr, aber als „Scherenschleifer“ firmiert er trotzdem nicht. Das mag auch damit zu tun haben, dass der Scherenschleifer in manchen Regionen immer noch Synonym für einen Taugenichts ist, so wie anderes fahrendes Volk.

Das Eis mit den Kunden muss gebrochen werden

Sind das noch Assoziationsübertragungen aus dem Mittelalter? Aus einer Zeit, da unseriöse Scherenschleifer die Ware an den Haustüren abholten und nie mehr wiederkamen? Als sie verantwortlich gemacht wurden für schwangere Frauen und verschwundene Kinder? Das Märchen „Hans im Glück“ jedenfalls wird bis heute eifrig gelesen, und wer die Geschichte im Kopf hat, erinnert sich daran, dass der Scherenschleifer der ärmste und letzte Tauschpartner der Hauptfigur ist und überdies einer, der auch noch dessen Dummheit ausnutzt. Nicht zu vergessen ist auch der immer noch lebendige Witz unter Radfahrern, jemand sitze „wie ein Affe auf dem Schleifstein“. Das kommt aus der lang verblichenen Zeit, da die Scherenschleifer, um mehr Aufmerksamkeit auf Märkten und Plätzen auf sich zu ziehen, Affen oder andere Tiere mit sich führten.

Der 47-Jährige erzählt, dass er immer wieder „das Eis brechen“ muss, dabei helfen eine positive Ausstrahlung und Lust auf Plaudereien mit der Kundschaft. Christian Wietschorke verfügt über beides. Zu seinem Bemühen um Seriosität gehört, dass er offen und ehrlich sagt, was er nicht schleift. Das gilt für den chauvinistischen Witzbold, der ihn einmal fragte, ob er „meine Alte schärfen“ könnte. Das gilt aber für allem für die billig legierten Billigmesser und Sparschäler, mit denen die Massenindustrie den Handel flutet; Gerät also, das nach dem Stumpfwerden vielleicht noch einmal durch einen Schleifapparat aus Plastik gezogen wird, um dadurch zu einem gezackten Gebilde zu werden, das anschließend wirklich nur noch für den Mülleimer taugt. „Die Wegwerfartikel mache ich nicht scharf“, sagt der Experte. Ganz einfach, weil es nicht lange hilft. „Der Kunde sagt ja nicht, das Messer war Schrott, sondern er sagt, der Schleifer war schlecht.“ Dann wirkt die Mund-zu-Mund-Propaganda anders herum. Wietschorke glaubt fest an die Formel 1:7: „Du schleifst ein Messer falsch, und der Kunde zieht sieben weitere ab.“

Die Maschinen sind Eigenkonstruktionen

In Ausnahmefällen geht der Messerschleifer aber doch ans Billige ran. So wie in Augsburg, als ihm eine Kundin eine Schere aus Blech in die Hand gab. Er wollte sie zurückweisen, da sah er eine Einprägung: „Kinderfest 1933“. „Da ist mir klar geworden, es geht nicht um das Material, sondern um den ideellen Wert.“ Und dann schliff er die Schneiden scharf, so gut es eben ging.

Die Maschinen, die der Ulmer benutzt, sind seine Eigenkonstruktionen. Der Messerschleifer ist ja kein Ausbildungsberuf, einige aus der kleinen Gilde der Klingenschärfer haben einmal den Beruf des Zerspanungsmechanikers gelernt. Christian Wietschorke ist ausgebildeter Schreiner. Zu seiner früheren Arbeit gehörte es, die Hobel, Stemmeisen und Sägeblätter für die Holzarbeit zu schleifen, und schon damals lernte er immer mehr über die vielen verschiedenen Metalle und wie sie sich beim Schleifen verhalten. Rund 120 Klingenstähle gebe es aktuell, sagt Wietschorke. Er kennt die meisten.

Der Sprung in die Selbstständigkeit 1997 war ein Wagnis, aber Familienvater Wietschorke hat ihn nie bereut, sagt er. Selber entwickelte Schleifmaschinen, eine im Weg der Autodidaktik immer weiter verfeinerte Arbeitstechnik – das kann so schnell keiner nachmachen. „Es müsste schon eine Schwemme von Schleifern geben“, damit er Angst vor der Zukunft bekäme, sagt er. Stattdessen scheint es, dass Typen wie er immer gefragter werden. Das gilt auch für Hotel- und Gastronomiechefs, die Christian Wietschorke ihr halbes Küchenwerkzeug anvertrauen. „Die schlechtesten Messer kommen aus der Gastronomie“, weiß er. Manchmal sei er überzeugt, „die quetschen das Fleisch ab“. Natürlich sagt er das nicht. Stattdessen verrät er nach seiner Arbeit Tipps, wie Messer mittels Wetzstählen lange scharf gehalten werden können. Und eines Tages, wenn es auch Jahre dauert, kommen sie wieder zu ihm.

Auf den Winkel kommt es an

Konkurrenz: Offizielle Zahlen darüber, wie viele Messer- und Scherenschleifer in Deutschland aktiv sind, gibt es nicht. Einen industriellen Schleifservice – allerdings nur für Produkte aus eigenem Haus – bieten zum Beispiel der Geislinger Hersteller WMF, die Hersteller Güde und Herder Windmühlenmesser sowie der japanische Hersteller Kai an.

Ratschläge: Das rät Christian Wietschorke in Sachen Messerpflege auf seiner Homepage: Scharfe Messer einmal pro Woche kontrollieren. Zeigt sich unter Licht eine feine weiße Linie auf der Schneide: den Wetzstahl benutzen. Im Winkel zwischen 20 und 25 Grad die Schneide mit leichtem Druck je sechs bis acht Mal von oben nach unten führen.