In den kommenden Monaten will das Tübinger Regierungspräsidium die rechtlichen Voraussetzungen für eine deutliche Vergrößerung der Verkaufsfläche von Hugo Boss prüfen. Stuttgart soll nur wenig Kaufkraft verloren gehen.

Metzingen - Die Pläne sind verkündet, die Genehmigung steht jedoch noch aus: Die Holy AG möchte ihre Verkaufsfläche am Heimatort Metzingen im Kreis Reutlingen kräftig ausweiten. Und zwar um knapp 10 000 Quadratmeter. Die Outletcity Metzingen hätte dann 40 000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Das brach liegende Areal des Textilherstellers „Gaenslen & Völter“ bietet die Gelegenheit, die teils verwinkelten Verkaufsflächen von Boss neu zu gliedern. 8000 Quadratmeter sollen für das Hugo Boss-Outlet hier entstehen, weitere 2745 Quadratmeter sollen in fünf Ladengeschäften mit den Sortimenten Bekleidung, Lederwaren, Sport und Freizeit zur Verfügung stehen. Dafür werden den Plänen zufolge 1285 Quadratmeter am Altstandort aufgegeben. Dort soll verkauft werden, was in den vielen hundert Boss-Filialen in besten Innenstadtlagen weltweit nicht veräußert wurde, dazu Restposten oder Überproduktionen aus den Kollektionen Boss, Boss Orange, Boss Green und Hugo.

 

Das Unternehmen verspricht sich eine Optimierung der durch das sukzessive Wachsen kompliziert gewordenen internen Logistik in den verwinkelten und schwer zu überschauenden Altbauten. Und es verweist auf positive Auswirkungen auf den Tourismus, weil zu erwarten sei, dass sich die Verweildauer der Kunden in Metzingen ausdehne.

Holy AG möchte mitten in Metzingen bauen

In diesen Tagen erhält das Tübinger Regierungspräsidium die vollständigen Unterlagen, damit das bei so einem Projekt vorgeschriebene Raumordnungsverfahren beginnen kann. Es muss laut Landesplanungsgesetz binnen sechs Monaten abgeschlossen sein. Manches wurde in den letzten 18 Monaten bereits untersucht. So dürfte das so genannte Integrationsgebot kein Hindernis sein. Schließlich möchte die Holy AG nicht auf der grünen Wiese bauen, sondern mitten in Metzingen, rund hundert Meter entfernt vom zentralen Lindenplatz. Das Beeinträchtigungsverbot soll sicherstellen, dass durch die Erweiterung nicht mehr als zehn Prozent der Kaufkraft von umliegenden Oberzentren abgezogen wird. „Untersucht wurden Städte im Umkreis von 45 Minuten Anfahrtszeit nach Metzingen“, sagt die Leitende Regierungsdirektorin Ulrike Kessler, die sich im Regierungspräsidium mit dem Raumordnungsverfahren befassen wird. Der auf Vorschlag des Regierungspräsidiums ausgewählte Gutachter aus Dortmund kam zu dem Ergebnis, dass „keine problematischen Größenordnungen“ zu erwarten seien. Der Umsatzrückgang soll sich bei Textilien in Reutlingen auf maximal 4,3 Prozent belaufen, in Nürtingen auf 3,5 Prozent, in Tübingen auf drei Prozent und in Stuttgart auf 1,6 Prozent. Weil das Beeinträchtigungsverbot die kritische Grenze bei zehn Prozent sieht, sind keine Einschränkungen abzusehen.

Das so genannte Kongruenzgebot ist eine weitere Bedingung in den Genehmigungsverfahren: Dabei geht es darum, dass nicht mehr als 30 Prozent des Umsatzes von Käufern außerhalb des „zentralörtlichen Verflechtungsbereiches erzielt werden“. Mit anderen Worten: nicht mehr als ein Drittel der Käufer soll von außerhalb kommen, um andere Zentren vor dem Ausbluten zu schützen.

Es wird zu klären sein, ob die Firma Boss ein Sonderfall ist

Zwei Jahre lang baten die Boss-Mitarbeiter an den Kassen um Postleitzahlen und Nationalitäten der Kundschaft. Rund 37 Prozent der Käufer haben offenbar keinen deutschen Pass, viele aber einen chinesischen. Weitere 37 Prozent reisen aus dem gesamten Bundesgebiet an, der Rest aus Baden-Württemberg. Also hat nur rund ein Viertel der Käufer bei Boss eine relativ kurze Anreise.

Dieses Kongruenzgebot könnte bei strenger Auslegung einer Erweiterung des Fabrikverkaufs entgegenstehen. Doch es gibt Ausnahmen und Sonderfälle, wie andere Outlets oder große Möbelketten belegen. Ist Boss nun ein Sonderfall? Oder wie wird in Zukunft mit möglicherweise weiteren Wünschen nach immer neuen Ausweitungen umgegangen? Es geht jedenfalls um komplexe und schwierige Fragen, die vor der Genehmigung zu klären sind. Schließlich kommt es auf diesem Gebiet nicht selten zu Auseinandersetzungen, die vor den höchsten Gerichten landen.

„Klagen sind jedenfalls nie ausgeschlossen“, sagt Ulrike Kessler. Das Verfahren soll jedenfalls „mit der größtmöglichen Transparenz“ durchgeführt werden. Sobald die Unterlagen vorliegen, werden Zahlen, Strategien und juristische Argumentationen auf der Homepage des Tübinger Regierungspräsidiums einsehbar sein. Pläne in den Nebenzimmern vom Rathäusern auszulegen sei dagegen ein längst überholtes Vorgehen, sagt die Tübinger Leiterin eines Referats, das sich mit Raumordnung, Baurecht und Denkmalschutz befasst.

Die Keimzelle des Outlets war der Fabrikverkauf

Einzelhandelsgroßbetriebe sollen nur in Gemeinden entstehen, die eine Funktion als Ober- oder Mittelzentrum haben. Außerdem sollen sie in städtebaulich integrierter Lage und nur in einer Größe gebaut werden, die dem Kaufkraftpotenzial innerhalb des gemeindlichen Verflechtungsbereichs entspricht (Kongruenz) und andere Zentren nicht schädigt. Der 22 000-Einwohner-Ort Metzingen hat derzeit eine Outletfläche von 30 000 Quadratmetern. Durch die Erweiterungspläne der Holy AG sollen weitere 10 000 Quadratmeter hinzu kommen. Zum Vergleich: Die Verkaufsfläche von Breuningerland Ludwigsburg beträgt rund 35 000 Quadratmeter. Mit mehr als 3,5 Millionen Besuchern jährlich zählt die Outletcity Metzingen mit ihrer Konzentration rund um den zentralen Lindenplatz zu den erfolgreichsten Factory Outlets in Europa. In den 1970er Jahren startete Hugo Boss in Metzingen einen Werksverkauf, der in einem alten, verwinkelten Fabrikgebäude Zug um Zug ausgebaut wurde. Im Lauf der Jahre eröffneten in unmittelbarer Nachbarschaft mehr als 60 Hersteller ihre Outlets.

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