Der Verleger Michael Klett wird 75 Jahre alt. Den Wandel in der Buchbranche verfolgt er nach wie vor noch aufmerksam, wie er im StZ-Exklusivinterview sagt.

Stuttgart -Michael Klett empfängt seine Besucher im Besprechungszimmer. Auf der einen Seite steht der alte Schreibtisch seines Vaters Ernst. In der Wand auf der anderen Seite sind drei Wandvitrinen erleuchtet; darin drei Bücher aus dem Verlagsprogramm von Klett-Cotta: rechts „Das europäische Geschichtsbuch“ von Fréderic Délouche, rechts „Schulden“ von David Graeber, in der Mitte „Der kleine Hobbit“ von J. R. R. Tolkien. Der Tisch ist gedeckt.
Oh, Herr Klett, es gibt Rooibos-Tee!
Ja, die Bekanntschaft mit Rooibos-Tee ist das einzig Gute, was mir von einem Südafrika-Aufenthalt vor vielen Jahren geblieben ist. Damals wollten wir uns mit Klett dort engagieren, hatten Schulbücher für das neue demokratische Schulsystem entwickelt. Regierung und Parlament bewilligten mehrere Hundert Millionen Rand für ein Bildungsprogramm. Und dann ist das ganze Staatsgeld in Korruptionskanälen in der Provinz versickert. Wir mussten uns mit Millionenverlust aus dem Land komplett wieder zurückziehen. Bitter, bitter. Aber wenigstens der Rooibos-Tee ist angenehm süß, ohne dass er einem den Schlaf raubt!

Mit vielen anderen verlegerischen Entscheidungen haben Sie aber großes Geschick bewiesen. Zum Beispiel damit, Tolkiens „kleinen Hobbit“ auf Deutsch herauszubringen. Wie gefällt Ihnen denn die aktuelle Peter-Jackson-Verfilmung im Kino?
Ich war natürlich wieder fasziniert von der Technik. Enorm, wie sich die filmischen Möglichkeiten in dem Jahrzehnt seit dem „Herrn der Ringe“ schon wieder weiterentwickelt haben. Aber ästhetisch sehe ich das alles doch recht distanziert. Die „Hobbit“-Verfilmung ist mir einfach zu englisch-verdüstert, zu sehr Gothic. Ich hatte da immer ganz andere Bilder vor Augen, und wir haben für unsere deutschen „Hobbit“-Ausgaben in den siebziger Jahren mit dem Designer Heinz Edelmann ja auch eine ganz andere, moderne Ästhetik entwickelt.

Trotz der Einwände, der Verleger Michael Klett freut sich über steigende „Hobbit“-Verkaufszahlen?
Natürlich freue ich mich. Aber der Effekt beim Buchverkauf ist viel geringer als noch vor zehn Jahren, als der „Herr der Ringe“ im Kino lief. Vielleicht liegt es daran, dass der Regisseur Peter Jackson mit der Aufteilung des ja eigentlich recht schmalen „Hobbit“-Bändchens in gleich drei Teile die Geschichte doch sehr überdehnt. Das mindert offenbar bei vielen die Neigung zum Nachlesen.

Klett-Cotta ist der wichtigste Verlag für Fantasyliteratur in Deutschland. Stört es Sie, dass manche Leser und Kritiker diese Seite des Verlegers Michael Klett eher spitzlippig kommentieren?
Überhaupt nicht. Da bin ich schon lang abgebrüht. Ich wurde ja anfangs sogar heftig beschimpft von Eltern, die sagten: Wir versuchen händeringend, unsere Kinder von Drogen fernzuhalten, und jetzt werden sie bei Ihren Fantasytiteln lesesüchtig.

Sie jedenfalls haben Tolkien 1965 für Deutschland entdeckt. Das war Ihre Verlegerinitiation?
Ganz zweifellos. Ich war noch jung, ich kam aus Kanada zurück, ich war noch nicht mal in den Verlag eingetreten, ich konnte meinen Vater von diesem Projekt überzeugen – und das Projekt wurde ein Erfolg. Seitdem begleitet mich Tolkien, dessen Erfolg nicht zuletzt den Aufbau des Verlags Klett-Cotta mit allen anderen Autoren und Titeln ermöglicht hat.

Just das ist natürlich die Spannung, die manche Beobachter irritieren mag. Da ist auf der einen Seite das Bildungsunternehmen Klett mit seinen bekannten Schulbüchern, da ist auf der anderen Seite der anspruchsvolle Verlag Klett-Cotta, der die Werke von Jean Améry, Ernst Jünger und Javier Marías verlegt. Und mittendrin steckt die Fantasysparte, die von vielen Kritikern immer noch als reiner Märchengarten für Erwachsene wahrgenommen wird.
Für mich war das nie ein Widerspruch. Mir war es immer ernst mit der fantastischen Literatur und mit Fantasy, und ich habe sie nie allein unter dem Unterhaltungsaspekt gesehen. Gute Fantasygeschichten sind ein anspruchsvolles, kluges Heraustreten aus dieser Welt, um unter den Gesetzmäßigkeiten einer anderen Welt den Blick auf uns selbst zu schärfen und zu schulen. Das knüpft an die Anfänge der Literatur in der Sagen- und Geschichtenwelt grauer Vorzeit an. Behaupte also bitte niemand, da ginge es um nichts. Grundsätzlicher geht es kaum.

Auch in jüngerer Zeit hat Klett-Cotta wieder wichtige englischsprachige Titel nach Deutschland gebracht und so unserer Zeitanalyse auf die Sprünge geholfen. David Graebers Studie „Schulden“ hat große Aufmerksamkeit erregt, ebenso John Lanchesters Krisenroman „Kapital“. Kann man die Finanzkrise des Westens für ein breites Publikum wirklich in Bücher fassen?
Niemand wird ja bestreiten, dass die Sphäre der Wirtschaft und des Managements für unsere Gesellschaft hochrelevant ist. Das Problem ist: Wie schafft man es, mit seinen Geschichten und Beschreibungen diese Sphären wirklich widerzuspiegeln, ohne in Klischees zu verfallen? Daran sind schon viele und durchaus begabte Autoren gescheitert. Graeber schreibt ja Sachbücher, aber Lanchester schafft das in seinem Roman wirklich ganz erstaunlich gut. Es geht ja nicht allein ums Recherchieren in diesen Kreisen, man muss dieses spezielle Denken und Fühlen auch wirklich verstehen und nachfühlen können, sonst vermittelt sich dem Leser sofort das Platitudenhafte.

Aber in all diesen Beispielen wird der Manager literarisch, gerade weil er bedenklich handelt. Muss Sie das als Unternehmer nicht wiederum bedenklich stimmen?
Ja, das stimmt mich bedenklich. Aber ich unterscheide sehr stark zwischen Real- und Finanzwirtschaft. Das Zweite sehe ich viel kritischer als das andere. Im Prinzip gilt für beide, dass die Verantwortung für Unternehmer und Manager immens gewachsen ist, zweifellos aber auch die Verführbarkeit. Solche möglichen Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren ist die Königsdisziplin, und in kleineren Einheiten sicher leichter als in Großkonzernen. Vor vielen Jahren war ich mal engagiert im Arbeitskreis junger Unternehmer. Damals spielten wir mit dem Gedanken, die großen Konzernstrukturen müssten alle zerschlagen werden. Je länger wir darüber redeten – ganz abwegig waren diese Ideen eigentlich nicht, oder?

Immerhin leben Sie inzwischen in einem Bundesland und in einer Stadt, die beide grün regiert werden. Wie sieht das der Bürger Michael Klett?
Irgendwie erscheint mir der Wechsel sehr konsequent. Die CDU hat diesen Teil Deutschlands seit 1949 durchweg regiert, sie hat das auch zeitweise recht gut gemacht. Doch über diese Zeit hat sich die Union entprogrammatisiert. Sie führt ihre Wahlkämpfe nur noch über Stimmungen und einige wenige starke Persönlichkeiten. Gemessen daran haben die Grünen inhaltlich wirklich etwas zu bieten. Die Zukunftsfragen der Linken in Deutschland sind primär nicht mehr Fragen sozialer Gerechtigkeit, sondern grüne Fragen: Wie ernähren wir uns? Was ist mit der Energie? Was ist mit den Ressourcen der Natur? Was ist mit einer Wirtschaft, die nicht unendlich viel mehr Luxus produzieren kann?

Dann sind Sie im Grunde das Paradebeispiel eines wertkonservativen Bürgers, der sich am Beginn des 21. Jahrhunderts plötzlich im Kernbestand des grünen Milieus wiederfindet – das dürfte manche überraschen.
Mich überrascht das gar nicht. Allerdings beschäftigen mich diese Fragen schon sehr lange, wobei ich finde, so einfach, wie das grüne Milieu die Welt sieht, ist sie auch wieder nicht. Jedenfalls, wenn ich aus dem Büro nach Hause gehe, dann kümmere ich mich um den Garten, um den Kompost, um die Trockenmauern und bin im Grunde ganz bäuerlich zugange.

Der Generationswechsel in der Führung der Klett-Gruppe scheint nach gewissen Schwierigkeiten geglückt. Ihr Neffe Philipp Haußmann führt das Gesamtunternehmen, aber auch den Publikumsverlag Klett-Cotta. Fällt Ihnen das Loslassen vom Tagesgeschäft leicht?
Ja, seltsam. Da halte ich mich wirklich völlig heraus. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Vielleicht habe ich ja früher so viel Herzblut vergossen, dass nun keines mehr übrig ist.

Aber wenn Ihre Programmchefs Tom Kraushaar und Michael Zöllner plötzlich mit dem Buch eines Quasi-Anarchisten wie David Graeber ankommen, müssen Sie da gar nicht schlucken?
Nein, gar nicht. Ich glaube, dass unsere Zeit so ein Gran Anarchismus in der Suppe brauchen kann. Das ist anregend, das schüttelt die Leute durch, das kann uns auf den Weg schubsen. Es wird nicht so kommen, wie Graeber sich das denkt. Aber seine Gedanken bringen auch unser Denken in Schwung.

Noch einmal zurück zum Generationswechsel: Ihr Verhältnis zum Vater war keineswegs leicht, deswegen war auch der Führungswechsel von Ernst zu Michael Klett kompliziert. Würden Sie sagen, Sie haben aus den Erfahrungen damals die richtigen Schlüsse gezogen?
Das müssen Sie natürlich meine Nachfolger fragen. Aber ich denke schon. Die Voraussetzungen waren aber auch ganz andere. Mein Vater hat dem Unternehmen nach dem Krieg praktisch eine Neugründung zugefügt. Er hat zwar konsequent mit 65 Jahren den Stab an seine beiden Söhne übergeben, aber er konnte doch nie von der gefühlten Verantwortung wirklich lassen, so saß ich in meinen ersten Jahren als Assistent neben ihm. Beinahe hätte ich damals ein Angebot angenommen, das Unternehmen zu verlassen und ein politisches Mandat der FDP anzunehmen. Es war ein bisschen wie im Theater. Ich selbst dagegen habe unsere Unternehmen weiterentwickelt und weitergereicht, aber so verbacken mit dem Geschäft wie er war ich nicht. Das ist eine ganz andere psychologische Konstellation.

Besitzen Sie eigentlich einen E-Book-Reader?
Nein. Aber ich brauche auch gerade keinen, ich bin nicht mehr viel auf Reisen. Wenn ich noch viel reisen würde, hätte ich einen. Ich habe da keinerlei Berührungsängste. Das ist eine sehr sinnvolle Ergänzung zum gedruckten Buch. In den USA hat sich der E-Book-Anteil bei dreißig Prozent eingependelt, so wird es auch bei uns kommen.

Und auch die Zukunft der kleinen, unabhängig geführten Verlagshäuser wie Klett, Hanser oder C. H. Beck sehen Sie gesichert?
Schwer zu sagen. Im Augenblick bin ich moderat optimistisch. Die großen Filialisten sind zwar unter Druck, aber die kleine, persönlich geführte Buchhandlung, geführt von Buchhändlern, die selber Bücher lesen und empfehlen können, hat Chancen, aber das kann ich morgen wieder anders sehen, zum Beispiel, wenn der Ladenpreis ernsthaft in Gefahr käme. Es ist eben sehr viel im Fluss.

Man muss ja zu seinem 75. Geburtstag nicht unbedingt weise werden. Aber haben Sie in all den Menschen- und Berufsjahren wenigstens klären können, welches Buch beim Leser Erfolg haben wird und welches nicht?
Nein. Das ist und bleibt völlig unwägbar. Warum der eine Titel, den ich als sicheren Erfolg sehe, unbeachtet bleibt, während der andere, dessen Tonfall ich nur schwer erträglich finde, offenbar genau den Tonfall unserer Zeit trifft – ewiges Geheimnis.