Deutschland zieht so viele Zuwanderer an wie seit 1993 nicht mehr. Trotz des Andrangs bleibt der Migrantenanteil im öffentlichen Dienst eher gering. Der Beamtenbund fordert eine Integrationsoffensive.

Beamtenbund-Chef Klaus Dauderstädt.DBB Stuttgart - Die Zahl der registrierten Ausländer in Deutschland ist im Vorjahr um 282 000 auf gut 7,2 Millionen gestiegen, haben die Bundesstatistiker ermittelt. Dieser im Ausländerzentralregister festgehaltene Anstieg von gut vier Prozent ist der höchste der vergangenen zwei Jahrzehnte. Doch verändert sich die Gesellschaft nicht in dem Tempo, wie es der Zuwachs erfordert. Ausgerechnet der öffentliche Dienst – mit viereinhalb Millionen Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Bundesrepublik – hinkt der Entwicklung hinterher.

 

Jeder fünfte Bürger hat einen Migrationshintergrund – Gleiches trifft aber nur auf knapp zehn Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu, wobei aktuelle Zahlen rar sind. Ihr Anteil ist auch noch sehr unterschiedlich verteilt: In gering bezahlten Berufen wie der Pflege sind viel mehr Migranten zu finden als in den Amtsstuben oder der Lehrerschaft, bei Polizei oder Feuerwehr. Der gehobene und höhere Dienst ist diesbezüglich rückständig. Dies müsste sich ändern, wenn der Service gegenüber den ausländischen Mitbürgern gerade dort verbessert werden soll, wo er besonders nötig ist: in der Sozialverwaltung oder im Gesundheitsdienst, im Bildungs- oder Sicherheitsbereich müssten eigentlich viele Sprachen gesprochen werden – nicht nur Deutsch.

Beamtenbund fordert Integrationsoffensive

Der Chef des Deutschen Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, fordert von der künftigen Regierung eine Integrationsoffensive: „Der öffentliche Dienst sollte sich in einer Parallelität zur Gesellschaft bewegen“, mahnt er gegenüber der StZ. Dies sei stellenweise in einem vernünftigen Umfang gegeben, in anderen Bereichen gar nicht. „Insofern gibt es ein gewisses Defizit.“ Als Beispiel führt er Berlin an: Dort gebe es Schulklassen, in denen die Kinder zu 80 Prozent einen Migrationshintergrund hätten. Da sei es sinnvoll, dass die Lehrer aus den gleichen kulturellen Räumen kämen wie die Schüler. „Die Potenziale in unserer Gesellschaft, auch bei den Migranten, sollten ausgeschöpft werden – da sind wir an der Spitze der Organisationen, die das unterstützen“, sagt Dauderstädt.Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht Deutschland bei der Integration im öffentlichen Dienst gar unter den Schlusslichtern aller OECD-Länder. Betont wird die Vorbildfunktion des Staatsdienstes, weshalb mehr Zuwanderer dort beschäftigt werden sollten. Es würde die Mitbürger im öffentlichen Leben sichtbarer machen. Beispielhaft seien die skandinavischen Länder, wo der öffentliche Dienst geradezu als Motor für die Integration angesehen werde.


Nun hat Kanzlerin Angela Merkel zwar betont: „Wir wollen ein Integrationsland sein.“ Doch trotz der bislang sechs Gipfeltreffen verändern sich die Verhältnisse nur schleppend – auch, weil die Querschnittsaufgabe Integration im Bund bisher auf etwa zehn Ministerien verteilt ist. Dass die alte Bundesregierung mit ihrer Integrationsstrategie gescheitert sei, glaubt Dauderstädt nicht. „Sie hat vielleicht zu spät angefangen, sich des Themas anzunehmen“, meint er. Als Teil der Demografiestrategie hätte sich eine der Arbeitsgruppen konkret mit Migration befasst. Zudem gebe es schon eine Fülle von Initiativen und Kooperationen. Gemeint ist zum Beispiel die Internetplattform www.wir-sind-bund.de. Dort spricht die Bundesverwaltung gezielt junge Menschen aller Nationalitäten an, um ihren Blick auf mehr als 130 Ausbildungsberufe zu lenken. Solche Anstöße würden in der Zukunft mehr Bedeutung bekommen, sagt der Gewerkschaftschef.

Weil der öffentliche Dienst von der Alterung der Gesellschaft stark betroffen ist, sind in den nächsten Jahren mehr als 700 000 Stellen neu zu besetzen. Da liegt es nahe, aus dem Reservoir der Neubürger zu schöpfen: „Wenn man den fehlenden Nachwuchs aus der deutschsprachigen Bevölkerung nicht mehr rekrutieren kann und es genügend qualifizierten Nachwuchs aus dem Migrationssektor gibt, wäre man schlecht beraten, dies nicht zu nutzen“, sagt der oberste Beamtenlobbyist. Die rechtlichen Bedingungen sind gegeben. Das Bundesbeamtengesetz lässt längst eine Berufung ins Beamtenverhältnis für Bürger aus Westeuropa und bei bilateralen Abkommen zu. Dauderstädt räumt ein: „Die Wirklichkeit sieht anders aus.“ Hohe Hürden sieht er im Entscheidungsverhalten der Personalverantwortlichen. „Daran muss man sicher arbeiten.“ Beharrungskräfte in der Beamtenschaft verhindern eine weitere Öffnung des öffentlichen Dienstes. Selbst der Beamtenbundchef mag nicht leugnen, „dass es so etwas gibt“. Dies sei aber auch eine Frage des Alters. Die jüngere Generation sehe das viel gelassener.

Migrantenquote unerwünscht

Die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung informiert in Kursen über veränderte Auswahlkriterien und die Vorteile bei der Anstellung von Migranten. Helfen könnten etwa anonyme Bewerbungen, weil ausländische Namen darin keine Rolle spielen. Dauderstädt rät, sie stärker zu nutzen. So werde die Vorauswahl neutralisiert, was auch hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit ein Vorzug sei.

Starre Migrantenquoten lehnt der Beamtenbund ab. Dies würde dem in der Verfassung verankerten Grundsatz, wonach öffentliche Ämter nur bei entsprechender Eignung und Leistung vergeben werden, nicht gerecht. Dauderstädt verweist auf die gewichtige türkische Gemeinschaft, die vor dem jüngsten Gipfel Ende Mai Vorschläge vorgelegt habe, in denen keine Quote enthalten sei. „Selbst die Betroffenen wollen keine feste Quote“, betont er.


Bevölkerungsanteil
Nach den in diesem Jahr veröffentlichten Ergebnissen der Volkszählung von 2011 hat Deutschland 80,2 Millionen Einwohner. 18,9 Prozent haben einen Migrationshintergrund: 40 Prozent dieser 15 Millionen Mitbürger sind Ausländer, aber 60 Prozent Deutsche mit fremden Wurzeln.

Länderrangliste
Laut dem Ausländerzentralregister lebten im Jahr 2012 die meisten nicht-deutschen Staatsangehörigen in Nordrhein-Westfalen (1,9 Millionen), Baden-Württemberg (1,3 Millionen) und Bayern (1,2 Millionen). Hier ließ sich auch die Mehrheit der neu zugezogenen Ausländer nieder.

Öffentlicher Dienst
Mit 4,6 Millionen Beschäftigten – einschließlich der 185 500 Soldaten – ist der öffentliche Dienst der größte Beschäftigungssektor in Deutschland. Auf 1,9 Millionen Beamte kommen 2,7 Millionen Tarifangehörige. In Baden-Württemberg handelt es sich um 600 000 Beschäftigte.