Der IS-Terror im Nordirak rückt eine verfolgte Minderheit in die Öffentlichkeit, die bisher kaum wahrgenommen wurde: die Jesiden. In Pforzheim leben 2500 Glaubensgeschwister im Spannungsfeld von religiöser Tradition und westlicher Gesellschaft.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Pforzheim - Neben dem Fernseher steht ein golden gerahmtes Foto, es erinnert an Fawaz. Der 21-Jährige wurde vor wenigen Wochen im Sindschar-Gebirge von Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erschossen. „Im Nahen Osten ist kein Jeside mehr sicher“, sagt sein Großonkel Ahmed Kurt, „deswegen versuchen alle, nach Europa auszuwandern.“

 

Ahmed Kurt kam 1987 als Achtjähriger mit seiner Familie aus dem türkischen Dorf Mardin, an der Grenze zu Syrien und dem Irak gelegen, nach Baden-Württemberg. Die Unterdrückung seines Volksstammes durch die Militärdiktatur unter General Kenan Evren war seinerzeit unerträglich geworden. Die Kurts landeten in der zentralen Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Karlsruhe und zogen nach ihrer Anerkennung als Mitglieder einer in der Türkei diskriminierten religiösen Minderheit nach Pforzheim. Sie waren die ersten Jesiden in der Stadt, eine Art Keimzelle. Heute leben etwa 2500 Jesiden in Pforzheim – und somit mehr als in der gesamten Türkei.

Auf dem Wohnzimmertisch stehen Pralinen und Schokoladensterne für die Gäste bereit, dazu gibt es Schwarztee. Ahmed Kurt hat zwei Freunde zu dem Gespräch dazugebeten: Hassan Dnanie, 45, flüchtete 1997 aus seinem irakischen Heimatdorf Xanke nach Pforzheim, seine Frau und seine damals fünf Kinder kamen vier Jahre später nach. Er arbeitete zunächst in einem Schlachthof, jetzt ist er bei einer Reinigungsfirma angestellt. Ein Bankdarlehen ermöglichte, dass er seiner inzwischen achtköpfigen Familie eine Vier-Zimmer-Wohnung kaufen konnte. Khairi Blasini, 40, stammt aus Mossul. Er fühlte sich von der muslimischen Mehrheit unterdrückt. 2001 kam er nach Deutschland, 2005 holte er seine Familie nach Pforzheim. Heute arbeitet Blasini als Schichtführer in einer Burger-King-Filiale und hat sieben Kinder. Seinen Jüngsten gab er die Namen Martin, Markus und Melanie – als Hommage an das Land, das seine neue Heimat geworden ist und dessen Staatsangehörigkeit er nun besitzt. „Bitte schreiben Sie, wie dankbar ich für alles bin, was die Deutschen für uns getan haben“, sagt er.

Normalerweise buhlen Jesiden nicht um Aufmerksamkeit. Erst seit der IS ihre Glaubensgeschwister im Nordirak bekämpft und Zigtausende Flüchtlinge in Lagern der bitteren Winterkälte ausgesetzt sind, suchen sie öffentlich nach Unterstützern. 23 Tonnen Kleidung haben die Pforzheimer Jesiden gesammelt und mit Lastwagen nach Kurdistan schaffen lassen, wo die Vertriebenen in ungeheizten Zelten hausen.