Mike Love, der Sänger der Beach Boys, spricht vor dem Konzert in Stuttgart über seine Karriere, seine Songs, die Shows und US-Präsident Donald Trump.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Vor fünf Jahren feierten die Beach Boys mit einer großen Tournee – die sie auch zu einem famosen Gastspiel in der Stuttgarter Schleyerhalle führte – ihr fünfzigjähriges Bestehen. Jetzt sind die Kalifornier wieder auf Tour. Diesmal zwar ohne ihren genialen Songwriter Brian Wilson – aber dafür mit einigen Überraschungen im Gepäck.

 
Mister Love, die Surfer-Songs aus dem sonnigen Kalifornien haben die Beach Boys berühmt gemacht. Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal surfen waren?
Oh, in letzter Zeit jedenfalls nicht mehr. Ich wohne am Lake Tahoe im Gebirge, da sieht es eher wie in der Schweiz aus. Außerdem regnet es in diesem Teil Kaliforniens die ganze Zeit (lacht). Das letzte Mal, dass ich Leute surfen gesehen habe, war glaube ich in München bei einem Besuch vor zwei Jahren. Die Leute surfen dort auf der Isar mitten in der Stadt. Sogar im Dezember. Unglaublich.
Das klingt so, als erinnern Sie sich gerne an Ihre Besuche in Deutschland.
Oh ja, wir sind immer gerne bei Ihnen in Europa zu Gast. Dort stammen übrigens auch meine Vorfahren her, aus England, Schottland und Schweden. Meine Großmutter kam mit meinem Großvater nach Amerika, damit er dem Militärdienst entgehen konnte. Sie sehen: in meiner Familie gibt es eine lange pazifistische Tradition.
Ihr neuer Präsident hat ja ebenfalls europäische Wurzeln. Deutsche sogar.
Hat er? Trump? Deutsche Wurzeln?
Ja. Normalerweise würden wir ja jetzt auch über Musik und nicht über Politik sprechen. Aber ich muss einfach fragen: Wie denken Sie über die derzeitige Situation in den USA?
Nun, da muss ich etwas ausholen. Ich denke, dass viele Reaktionen ein bisschen lächerlich sind. Es gab freie Wahlen, und Donald Trump hat sie gewonnen. Aber was ich jetzt jeden Tag in den Medien sehe, dreht sich nur noch um Politik. Und zwar mit einer derartigen Streitlust, dass es für mich fast schon obsessiv wirkt. Ich sehe, dass die Wahl die Menschen in ihren Meinungen und Positionen sehr polarisiert hat, dass selbst befreundete Länder immer weiter polarisiert werden und die Welt zu einem immer komplizierteren Ort wird. Umgekehrt ist all das auch einer der Gründe, warum ich jeden Tag meditiere. Ich bin in der Lage, mich zu entspannen und eine breitere Perspektive zu gewinnen. Und ich bin nicht so wütend. Denn Wut steht einer guten Lösung immer entgegen.
Aber wie gehen Sie mit den ewig gleichen Unheilsbotschaften um?
Ich mag die Art und Weise nicht mehr, wie die Menschen miteinander reden: der eine hat diese Meinung, also muss die andere Meinung falsch sein. Und vice versa. Nach all den Jahrzehnten finden wir keinen Weg, eine sichere, bessere und gesündere Welt zu erschaffen und ergehen uns statt dessen in Feindseligkeiten. Ich bedauere das. Aber ich denke auch, dass viele Menschen genau deswegen zu den Beach-Boys-Shows kommen. Unsere Musik ist in erster Linie positiv. Und harmonisch. Und diese Harmonie speist sich aus Liebe. Aus der Liebe daran, zusammenzukommen und diese Songs in Harmonie zu singen. Das finde ich sehr heilsam. Du kannst dich als Individuum hinter dir lassen gemeinsam Harmonie stiften und im Ganzen aufgehen und dabei trotzdem du selbst bleiben.
Wenn Sie die Chance hätten, Donald Trump einen Ratschlag zu geben: welcher wäre das?
Ich weiß nicht, ob ich Donald Trump einen Ratschlag geben sollte. Ich kenne ihn seit vielen Jahren, wir haben schon auf einigen Events bei ihm gespielt. Auch in seinem Anwesen Mar-a-Lago. Er war immer nett zu uns, außerordentlich nett. Und wir sind Musiker, keine Politiker. Also wüsste ich nicht, was ich ihm raten sollte. Es hat mich auch niemand gefragt. Ich war übrigens auch bei der Amtseinführungsfeier. Es war sehr bewegend und emotional. Ich weiß, es gibt da sehr unterschiedliche Auffassungen. Aber nichtsdestotrotz: es war die Inauguration des gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich mochte es, dabei zu sein.
Haben Sie ihn gewählt?
Nun, ich denke, es ist nicht relevant, für wen ich gestimmt habe. Ich denke, das ist meine Privatsache.
Natürlich. Reden wir also lieber über Musik. Wissen wenigstens Sie eigentlich genau, wie viele Konzerte Sie schon mit den Beach Boys gegeben haben?
Das müssten so sechstausend sein. Oder fünftausend? Wir fingen 1962 an zu touren, ich schätze mal 150 Shows pro Jahr und das ganze 55 Jahre lang. Wie viele Konzerte sind das? Ich weiß es nicht. Aber so lange uns noch so viele Leute sehen wollen, geht es weiter. Ich darf mich glücklich schätzen, mit meinem Cousin Brian Wilson so gute Songs geschrieben zu haben. Ich durfte mein Hobby zum Beruf machen, das Singen mit meiner Familie. Ich durfte Orte besuchen, an die ich sonst nie hingekommen wäre. Wir haben zum Beispiel 1969 in Prag gespielt. Dort wurden wir fast wie Helden empfangen, nur weil wir aus den USA kamen. Rock’n’Roll war eine Befreiung für die Menschen. Das war eine der vielen magischen und unglaublichen Erfahrungen, für die ich sehr dankbar sein darf.
Bei Ihrem letzten Konzert hier in Stuttgart haben alle gestaunt. Sie spielten knapp fünfzig Songs und über drei Stunden lang.
Ja. Wir haben ein paar richtig große Fans, die alles über uns wissen. Deshalb spielen wir gerne auch unsere etwas weniger bekannten Songs, weil wir das Gefühl haben, dass sie von diesen Fans gewünscht werden. Aber die Mehrheit will natürlich „Barbara Ann“, „Help me, Rhonda“ und die anderen Hits hören. Die meisten Menschen, die auf Konzerte gehen, wollen dort einfach eine gute Zeit haben, gute Musik hören und das Leben genießen. Und diese Leute wollen wir natürlich auch nicht enttäuschen. Wir haben zwei Sachen im Kopf: zum einen unsere Balladen und einige der Songs von Alben, die sich vielleicht nicht millionenfach verkauft haben, aber trotzdem gute Alben waren. Und zum anderen natürlich die Hits. Es sind zwei, sagen wir mal: Denkschulen, die wir in unsere Konzerte integrieren und dabei niemanden enttäuschen wollen. Deshalb vielleicht auch die fünfzig Songs. Wir lieben es zu singen, und wir schätzen es auch, dass die Menschen – fünfzig Jahre, nachdem wir begonnen haben – noch immer mögen, was wir tun.
Präsentieren Sie auf Ihrer aktuellen Tour auch neue Songs? Und denken Sie womöglich sogar über ein neues Album nach?
Oh ja, wir spielen einen viele Jahre lang unveröffentlichten Song namens „Pisces Brothers“, den ich anlässlich des Tods von George Harrison 2001 geschrieben habe. Dazu zeigen wir ein Video aus unserer gemeinsamen Zeit in Indien. Das Lied kennen vielleicht einige noch nicht. Wir haben auch ein paar Videos mit Carl Wilson dabei, der uns 1981 verlassen hat. Und bei „Do you wanna dance?“ zeigen wir ein Video mit Dennis Wilson. Wir spielen allgemein in unseren Shows viel mit der Erinnerung, wir haben ja auch viele Alben und daher viel zur Auswahl. Manche Stücke wählen wir auch dem Veranstaltungsort entsprechend aus, in Arenen und auf Festivals spielen wir flottere Stücke, in Konzertsälen lassen wir es ruhiger angehen. Für mich ist es eine Kunst für sich, einen Konzertabend so zusammenzustellen, dass genau die richtige Stimmung erzeugt wird.