Seit mehr als 30 Jahren gibt es Mikrokredite – kleine Darlehen, die vor allem auf der Südhalbkugel der Erde an mittellose Menschen vergeben werden. Ihr Nutzen ist umstritten. Bisher sei keine positive Wirkung von Mikrokrediten bei der Armutsbekämpfung nachgewiesen, meint etwa der Wirtschaftswissenschaftler Philip Mader vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Arme Menschen beuteten sich durch die Darlehen nur selbst aus. Die Zinsen seien mit durchschnittlich 27 Prozent viel zu hoch. Die internationalen Geldgeber hätten die Kredite als gutes Geschäft entdeckt. Von den 73,6 Milliarden Dollar (54 Milliarden Euro), die weltweit vergeben worden seien, seien 19,6 Milliarden Dollar an die Investoren – kommerzielle Banken, private Geldgeber und Entwicklungsorganisationen – zurückgeflossen.

 

Es fehle den Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht nur an Geld, sondern auch an anderen Startbedingungen wie Bildung, soziale Sicherheit und unternehmerischen Fähigkeiten. Deshalb scheiterten sie als Kleinunternehmer. Mader steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch andere Studien, die etwa in Indien und Bangladesch, der Heimat des Mikrofinanzgurus Muhammad Yunus, erstellt wurden, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Das teuer geliehene Geld werde häufig eingesetzt, um andere Kredite abzuzahlen oder für den Lebensunterhalt verbraucht.

Auch zur Emanzipation von Frauen trügen die Kredite nicht wirklich bei, urteilt Mader. Zwischen Gläubigern (meistens Männern) und den Schuldnern (meistens Frauen) bestehe ein Machtverhältnis, keine Partnerschaft.

„Kein Allheilmittel zur Armutsreduzierung“

„Mikrokredite allein sind nicht das Allheilmittel zur Armutsreduzierung“, sagt auch die Oikocredit-Referentin Christina Alff. Die Regierungen vor Ort müssten durch Strukturreformen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, etwa den Finanzsektor so gestalten, dass die Kreditnehmer vor „gewissenlosen Geldeintreibern“ geschützt werden. Dann könnten Mikrokredite „die Initialzündung für ökonomisches Wachstum sein“, wie sich in Bolivien eindrucksvoll zeige.

Alle Kinder haben studiert

Ihre Umsicht hat sich ausgezahlt. Alle vier Kinder haben studiert, ein Sohn ist Tiermediziner und hilft mit auf dem Hof. Auf ihren Mann kann sich die Bäuerin nur bedingt stützten. Er sei Quartalstrinker – und trage wie so viele Männer in Bolivien viel Geld in die Kneipe, anstatt die Familie zu unterstützten, sagt Alff. Als langjährige Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit achtet die promovierte Geografin besonders darauf, ob die Hilfe bei Frauen ankommt. Mikrokredite, sagt sie aus Erfahrung, nützten vor allem Frauen und ihren Familien. Manche Sozialforscher sehen das jedoch anders (siehe untenstehenden Artikel „Die Kritik wird lauter“).

Die Kreditnehmer können anfangs so gut wie keine Sicherheiten bieten, deshalb erhalten sie nur kleine Darlehen von wenigen hundert bis maximal 1500 Dollar. Erst wenn sich gezeigt hat, dass sie das Geld sinnvoll einsetzen und den Schuldendienst leisten können, steigen die Summen. Ackerland und die Wohnhäuser dienen als Sicherheit. Alff betont, dass die Mikrofinanzorganisationen bei Schwierigkeiten versuchten, einen gangbaren Weg für beide Seiten zu finden. „Unsere Partner wollen niemanden in den Ruin treiben.“

Die Ausfallraten bei den bolivianischen Projekten sind bei Oikocredit mit unter einem Prozent extrem gering. Ein Grund sei die sorgfältige Vorbereitung der Kreditvergabe, sagt Christina Alff. „Die Sachbearbeiter der Kreditgenossenschaften sehen sich vor Ort in den Betrieben um, machen eigene Kostenaufstellungen und besuchen ihre potenziellen Kunden sogar mehrfach zu Hause.“ Wichtig auch: Die Regierung schreibt vor, dass Eheleute einen Kreditvertrag immer gemeinsam unterschreiben müssen. Wenn die Geldgeber den Eindruck hätten, dass ein Partner den anderen zur Unterschrift dränge, hakten sie kritisch nach, betont Alff. Sie war erstaunt, wie herzlich und entspannt das Verhältnis zwischen Kreditgebern und –nehmern ist. „Man umarmt sich, wenn man sich trifft.“ In Afrika hätten die Schuldner dagegen vor ihren Gläubigern eher Angst gehabt.

Im Schnitt 6500 Dollar Kredit

Mit Krediten von durchschnittlich 6500 Dollar ist der Mikrofinanzsektor in Bolivien schon etabliert. Auch die staatlichen Banken vergeben Kleinstdarlehen, sogar zu etwas günstigeren Konditionen als die Oikocredit-Partner, die zwischen 14 und 20 Prozent Zinsen verlangen. Bei einer Inflationsrate von etwa sechs Prozent könnten nur so die relativ riskanten Kredite an Bauern kostendeckend vergeben werden, so die Begründung. Die Partner wiederum zahlen sieben bis acht Prozent an Oikocredit. Insgesamt ist die Genossenschaft mit 54,2 Millionen Euro in Bolivien engagiert.

Ein Gesetz, das die sozialistische Regierung möglichst schnell umsetzen will, könnte die Arbeit der privaten Geldgeber deutlich erschweren und sogar zum Rückzug von Oikocredit aus Bolivien führen. Der Präsident Evo Morales will Ende des Jahres wiedergewählt werden. Da passt es gut zu seinem Image als Anwalt der einfachen Leute, Zinswucher zu verbieten. Mit seinem Plan, die Zinsen für gewerbliche Kredite auf maximal zehn Prozent zu beschränken, schießt er nach Meinung von Entwicklungshelfern aber übers Ziel hinaus. Sie sehen die Gefahr, dass die Geldgeber dann ihre Vergabekriterien lockern und zu viele riskante Darlehen vergeben. Bei Oikocredit beobachtet man die Entwicklung aufmerksam. Doch selbst ein Rückzug aus Bolivien, wo die Organisation schon seit 1987 vertreten ist, wäre keine Katastrophe, sagt Alff. Wenn sich ein funktionierender Mikrofinanzsektor etabliert habe, sei die Mission erfüllt.

Kritik an Mikrokrediten wird lauter

Seit mehr als 30 Jahren gibt es Mikrokredite – kleine Darlehen, die vor allem auf der Südhalbkugel der Erde an mittellose Menschen vergeben werden. Ihr Nutzen ist umstritten. Bisher sei keine positive Wirkung von Mikrokrediten bei der Armutsbekämpfung nachgewiesen, meint etwa der Wirtschaftswissenschaftler Philip Mader vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Arme Menschen beuteten sich durch die Darlehen nur selbst aus. Die Zinsen seien mit durchschnittlich 27 Prozent viel zu hoch. Die internationalen Geldgeber hätten die Kredite als gutes Geschäft entdeckt. Von den 73,6 Milliarden Dollar (54 Milliarden Euro), die weltweit vergeben worden seien, seien 19,6 Milliarden Dollar an die Investoren – kommerzielle Banken, private Geldgeber und Entwicklungsorganisationen – zurückgeflossen.

Es fehle den Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht nur an Geld, sondern auch an anderen Startbedingungen wie Bildung, soziale Sicherheit und unternehmerischen Fähigkeiten. Deshalb scheiterten sie als Kleinunternehmer. Mader steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch andere Studien, die etwa in Indien und Bangladesch, der Heimat des Mikrofinanzgurus Muhammad Yunus, erstellt wurden, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Das teuer geliehene Geld werde häufig eingesetzt, um andere Kredite abzuzahlen oder für den Lebensunterhalt verbraucht.

Auch zur Emanzipation von Frauen trügen die Kredite nicht wirklich bei, urteilt Mader. Zwischen Gläubigern (meistens Männern) und den Schuldnern (meistens Frauen) bestehe ein Machtverhältnis, keine Partnerschaft.

„Kein Allheilmittel zur Armutsreduzierung“

„Mikrokredite allein sind nicht das Allheilmittel zur Armutsreduzierung“, sagt auch die Oikocredit-Referentin Christina Alff. Die Regierungen vor Ort müssten durch Strukturreformen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, etwa den Finanzsektor so gestalten, dass die Kreditnehmer vor „gewissenlosen Geldeintreibern“ geschützt werden. Dann könnten Mikrokredite „die Initialzündung für ökonomisches Wachstum sein“, wie sich in Bolivien eindrucksvoll zeige.

Wichtig sei zudem, dass die Mikrofinanzpartner nicht nur Geld vergeben, sondern auch Schulungen zu ökonomischen und technischen Fragen anbieten. Die in 67 Ländern tätige Kreditgenossenschaft Oikocredit sucht ihre Partner sorgfältig aus. Es gibt strenge soziale und ökologische Kriterien, die die vor Ort ansässigen Organisationen erfüllen müssten. Alle drei Monate werden sie von Oikocredit überprüft.