Kommt es zum Prozess zwischen Bahn und Land wegen der Nahverkehrs-Millionen? Minister Hermann sieht sich in einer starken Position. Verwunderung gibt es über eine Auskunft von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) rechnet nicht damit, dass die Bahn wegen des Streits um die von ihm gekürzten Nahverkehrszuschüsse vor Gericht zieht. Bis jetzt habe die Bahn „nichts unternommen“, um die einbehaltenen 70 Millionen Euro einzuklagen. „Deshalb gehen wir davon aus, dass sie das akzeptiert“, sagte Hermann.

 

Zuvor war durch Berichte von Stuttgarter Zeitung und SWR bekannt geworden, dass das Verkehrsministerium die im sogenannten großen Verkehrsvertrag vereinbarten Zahlungen um insgesamt 140 Millionen Euro kürzen will. Der Grund: Kostensteigerungen würden der Bahn gleich zweifach erstattet. Zusätzlich zu den tatsächlichen Mehrausgaben erhalte sie eine Pauschale von jährlich 1,5 Prozent. Diese „doppelte Dynamisierung“ sei nicht vertretbar, hatte sich Hermann auch von Anwälten bestätigen lassen.

Bahn bestreitet doppelten Ausgleich

Die Bahn bestreitet, dass ein doppelter Ausgleich von Mehrkosten vorliege. Auf die Frage nach einer möglichen Klage verwies ein Sprecher auf das kurz vor dem Abschluss stehende Schlichtungsverfahren; danach werde man über das weitere Vorgehen entscheiden. Für das Verkehrsministerium ist der Einigungsversuch jedoch faktisch bereits gescheitert; es fehle nur noch die Genehmigung für das Protokoll, hieß es.

Neutraler Vorsitzender der Schlichtungskommission war nach StZ-Informationen der Technik-Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB), Wolfgang Arnold. Er soll zunächst lange Unterstützung für die Sichtweise des Landes signalisiert haben, dann jedoch überraschend umgeschwenkt sein. Nach mehreren Verhandlungsrunden betrachtete das Ministerium die Schlichtung daher als erfolglos. Die Bahn könnte nun mit einer Zahlungsklage gegen das Land vorgehen. Dagegen wappnet sich das Verkehrsressort mit einer umfassenden Überprüfung des Verkehrsvertrages. Dieser könne sogar um eine Milliarde Euro überteuert sein, ergaben die ersten Zwischenergebnisse.

Rückendeckung vom Kabinett

Hermann hat das Kabinett bereits über sein Vorgehen informiert und offenbar Rückendeckung auch vom Finanzministerium erhalten. Im Falle einer Niederlage vor Gericht droht dem Land laut der Bahn ein „Millionenschaden“ durch Verzugszinsen. „Dies hätte vermieden werden können, wenn die Zahlungen schlicht unter Vorbehalt geleistet worden wären“, sagte der Sprecher. Hermann betonte, es sei seine Pflicht, die Interessen des Landes zu wahren. Angesichts der 80 Millionen Euro aus dem Haushalt, die neben den Regionalisierungsmitteln in den Schienennahverkehr flössen, „können wir uns Großzügigkeit nicht leisten“.

Auch die CDU-Abgeordnete Nicole Razavi sieht den Minister in der Pflicht, „die Interessen des Landes umfassend zu vertreten und zu wahren“. Sie warf ihm aber vor, „einen normalen Vorgang zwischen Vertragspartnern zu skandalisieren“. Der Streit über eine bestimmte Vertragsklausel dürfe nicht missbraucht werden, um daraus parteipolitischen Profit zu ziehen.

Kopfschütteln über Mappus’ Auskunft

Der Grünen-Verkehrsexperte Andreas Schwarz sagte, die doppelte Abrechnung von Mehrkosten werfe „ein Schlaglicht auf das Versagen der CDU in der Verkehrspolitik“. Die Bürger zahlten nun die Zeche für den Vertrag, der der Bahn „ohne juristische Gründlichkeit zugeschanzt“ worden sei. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sieht in dem Verkehrsvertrag eine „unerlaubte Subventionierung“ des Bahnprojekts; das „dubiose Finanzgebaren“ der CDU-Regierungen müsse weiter aufgeklärt werden. Ein Bahnsprecher nannte es hingegen „unzutreffend“, dass ein Zusammenhang zu Stuttgart 21 bestehe. Auch von Seiten der Grünen wird ein solcher nicht behauptet.

Parteiübergreifendes Kopfschütteln gab es derweil über Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), der seine Anwälte hatte erklären lassen, er habe den Verkehrsvertrag nicht unterzeichnet. Dabei trägt das Dokument zweifelsfrei seine Unterschrift; der SWR zeigte sogar Filmaufnahmen, die Mappus beim Unterschreiben zeigen. Minister Hermann zeigte sich verwundert über den Ex-Regierungschef: Einen so wichtigen Vertrag unterschrieben zu haben, vergesse man eigentlich nicht.