Der Ansturm kam stark und unerwartet: „Wir finden für diese Kinder keine Heimplätze mehr“, sagt das Stuttgarter Jugendamt. Es fehlt an Räumen und an Betreuern.

Stuttgart - Mit dem Ansturm der Flüchtlinge sind auch auf das Stuttgarter Jugendamt und seine Mitarbeiter an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen. Denn viele dieser Menschen sind minderjährig und kommen ohne Eltern. „In Baden-Württemberg und Stuttgart läuft das Hilfesystem zur Erziehung über“, sagte der Jugendamtschef Bruno Pfeifle nun im Jugendhilfeausschuss. „Wir finden für diese Kinder keine Heimplätze mehr – wir steuern auf eine kritische Entwicklung hin.“

 

Doch Pfeifle und seine Mitarbeiter haben keine Wahl. Denn der Gesetzgeber schreibt vor, dass unbegleitete minderjährige Ausländer (Umas), die hier einreisen, zu ihrem Schutz in Obhut genommen werden müssen. Und deren Zahl hat stark zugenommen: Allein in diesem Jahr wurden bis 30. November insgesamt 983 unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche in Stuttgart aufgenommen, davon kamen 934 in die Obhut des Jugendamts.

Jugendamt: Stuttgart hat Sogkraft für junge Flüchtlinge

Das sei viel mehr als jemals zuvor und auch deutlich mehr, als die Quote vorgebe, sagten Mitarbeiter des Jugendamts. Denn nach dem Schlüssel muss Stuttgart nur 5,68 Prozent der jungen Menschen aufnehmen, die Baden-Württemberg zugewiesen werden – das wären zum Stichtag 4. Dezember nur 472 gewesen. Doch das System der Umverteilung, das es seit 1. November gebe, habe sich erst einspielen müssen. Und: „Stuttgart hat eine große Sogkraft auf Umas“, so Barbara Kiefl vom Jugendamt.

Zu der vorläufigen Inobhutnahme der jungen Ausländer gehört ein umfangreiches Programm. Die Mitarbeiter des Jugendamts müssen sich nicht nur um deren Behördengänge kümmern – bei der Ausländerbehörde und Polizei zur erkennungsdienstlichen Behandlung und beim Gesundheitsamt. Sie müssen auch schätzen, ob die Einreisenden überhaupt minderjährig sind. Tatsächlich wurden von den 983 in Stuttgart aufgenommenen jungen Menschen 535 als minderjährig eingestuft, von ihnen wurden 184 in andere Städte und Landkreise umverteilt. Einige kamen auch bei Verwandten unter, mehr als 300 waren volljährig und 117 seien einfach weitergereist – wohin, weiß man nicht.

Bleiben 351, die minderjährig und zu versorgen sind – zum Stichtag 30. November. Es muss auch geklärt werden, welche Unterstützung sie brauchen und welche Aufenthaltsperspektive sie haben.

234 Jugendliche müssen mit 122 Heimplätzen klarkommen

Allerdings kümmern sich die Mitarbeiter bereits um 518 Bestandsfälle. Von ihnen befinden sich 234 in Inobhutnahme – das bedeutet, sie verteilen sich auf die 122 Heimplätze, die auch minderjährigen Stuttgartern offen stehen. Derzeit sind fast alle der zwölf Notaufnahmeheime überbelegt. Entspannung sollen die Standorte Leitzareal und Bürgerhospital bringen.

Den weiteren Zustrom vermag auch Pfeifle nicht zu schätzen: „Wir sind in großer Unsicherheit.“ Rechne man die Zahlen auf Basis des Jahres 2015 hoch, müsse man mit 1200 jungen Ausländern rechnen, die in Stuttgart ankommen, davon gut die Hälfte minderjährig. Rechne man aber auf Basis der letzten drei Monate hoch, komme man auf 2188 junge Ausländer, von denen 1182 minderjährig wären. Im Oktober wurden 70 neue Stellen für die Betreuung geschaffen, bis Januar seien sie besetzt. Doch nun würden mehr als 100 weitere Stellen nötig.

Viele Stuttgarter Familien nehmen Minderjährige auf

„Wir müssen unsere Kapazitäten neu ordnen“, sagte Lucas-Johannes Herzog von der Abteilung Erziehungshilfen. Man habe viele Angebote von privaten Vermietern bekommen – „auch von WGs – ein interessantes Setting“. Zudem hätten sich 14 Pflegefamilien bereitgefunden. Herzog lobte die Stuttgarter als „tolle Stadtgesellschaft“.