Das Restaurant „11Eleven“ in Catania integriert minderjährige Flüchtlinge, die auf Sizilien ankommen. Das hat kulinarische Folgen – für Einheimische und Touristen.

Catania - Für viele lautet das elfte Gebot „Du sollst dich nicht erwischen lassen“. Der Schriftsteller Robert Gernhardt schlug auch mal „Du sollst nicht lärmen“ als Erweiterung der biblischen zehn Gebote vor. In Catania lautet das elfte Gebot: Du sollst nicht verschwenden – Weder Essen, noch das Talent junger Menschen, noch das Leben.

 

Das Restaurant „11Eleven“ in Sizilien ist nach diesem elften Gebot benannt. Das trendige Lokal liegt in der Altstadt von Catania in einem alten Theater nur wenige Meter vom prunkvollen Teatro Massimo Bellini entfernt. Hier bekommen Gäste leckeres Essen und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eine Chance. Es soll ein sicherer Ort sein, „wo man lernen kann, erwachsen werden kann, arbeiten kann“, sagt Roberto Paganini. Seine Frau Barbara Sidoti hat das Projekt mitbegründet, das im Oktober 2014 an den Start ging.

Yahya Bah ist mit 15 aus Gambia weggegangen

Yahya Bah ist heute 19 Jahre alt. Im Frühjahr 2013 war er mit 113 anderen Migranten in Libyen in ein Schlauchboot gestiegen. Drei Tage lang fuhren sie darin über das Mittelmeer, bis sie die italienische Küstenwache aufgegriffen und gerettet hat. Mit vier oder fünf Jahren musste Bah schon die Kühe hüten auf dem Feld des Vaters im Nordosten Gambias. Eine Schule hat er nie besucht. Als er nach Italien kam, konnte er weder lesen noch schreiben. Seine Mutter war eine Christin, sein Vater Muslim. „Vielleicht töte ich dich“, sagte der nach dem Tod der Mutter. Da beschloss Bah zu fliehen. Er war 15 Jahre alt.

Bah zählt zu den unbegleiteten Minderjährigen, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. 2013 waren es rund 5000. Im Jahr 2016 ist ihre Zahl auf rund 24 300 gestiegen, hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt (2015: 12 360). Viele dieser jungen Menschen verschwinden aus den Unterkünften, um sich auf eigene Faust zu Verwandten oder Freunden in anderen EU-Ländern durchzuschlagen oder um auf dem Schwarzmarkt Geld zu verdienen. Die Gefahr, dass sie in die Hände von Kriminellen fallen, ist sehr hoch.

Integration heißt, jemanden zum Essen einzuladen

Barbara Sidoti wollte etwas dagegen tun. Die Menschenrechtsaktivistin, die auch schon für die Vereinten Nationen gearbeitet hat, ist im Frühjahr 2014 in das Flüchtlings-Camp in Priolo bei Syrakus gekommen und hat die Vormundschaft für vier unbegleitete Minderjährige übernommen – unter ihnen Yahya Bah. Sie half ihnen vor allem beim Ausfüllen von Anträgen und den ganzen rechtlichen Vorgängen. Aber sie wollte mehr tun.

„Integration heißt in Italien: Wir laden jemanden zum Essen ein“, erzählt ihr Mann Roberto Paganini. Also haben sie die vier jungen Männer zu sich nach Hause mitgenommen. „Die Jungs wollten aber selber kochen.“ Also ist das Paar einkaufen gegangen. „Wir waren neugierig, was das nun werden würde, aber ich sage Ihnen: Dieses Huhn mit Reis war einfach richtig gut.“ Aus der ersten Einladung wurde schnell Gewohnheit, gemeinsames kochen half auch, die Sprachbarriere und die Scheu zu überwinden. „Wenn etwas fehlte, was sie aus ihrer Heimat kannten, suchten sie sich einfach im Gewürzregal etwas ähnliches zusammen“, erzählt Paganini. Entstanden ist eine afro-sizilianische Fusion-Küche, die nun auch im „11Eleven“ serviert wird.

Die Migranten haben Einfluss auf die Speisekarte

Die Idee zu dem „sozialen Restaurant“, wie Sidoti es nennt, entstand, als ein Freund anrief und um Hilfe bat. Ezio Canfarelli ist der Besitzer des kleinen Theaters in Catania, in dem auch eine Bar und ein Restaurant sind. Sein Koch war abgesprungen. Vier Monate später eröffnete Sidoti in dem Gebäude das „11Eleven“. Auf der immer wechselnden Speisekarte finden sich Kreationen wie Polenta mit geräuchertem Paprika oder die klassischen italienischen Antipasti – aber mit Kurkuma verfeinert. „Diese neue Welle von Migranten wird natürlich auch Einfluss auf unser Essen haben“, sagt Paganini. So sei es auf Sizilien aber schon immer gewesen.

Zwanzig junge Migranten haben schon im „11Eleven“ gearbeitet. Die meisten seien nun besser integriert, sprechen Italienisch, haben eine Vorstellung, was sie machen wollen. „Unser Traum ist es, ein Netzwerk solcher Restaurants über Italien und ganz Europa zu spannen“, sagt Paganini.

Yahya Bah hat im „11Eleven“ als Tellerwäscher angefangen, dann in der Küche gearbeitet und nun wird er im Service eingesetzt. Bah spricht italienisch und englisch und besucht eine Schule in Catania. „Und ich habe gelernt, Pasta zu kochen“, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht. „Es ist ein komplett anderes Leben“, sagt der 19-Jährige. Für ihn ist das „11Eleven“ weit mehr als nur ein Arbeitsplatz. „Hier treffen sich so viele unterschiedliche Menschen und tauschen sich aus. Ich fühle mich hier sehr zu Hause.“