Es kommen immer mehr junge unbegleitete Flüchtlinge nach Stuttgart. Das Jugendamt sucht WG-Zimmer und Wohnungen für die Jugendlichen – und zwar für die selbstständigen, die sich besonders um ihre Integration bemühen. Im Fall von Omar aus Gambia hat das schon geklappt.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Einerseits sind Omar, Katharina Beck und Anita Serdjuk eine ganz normale Wohngemeinschaft im Stuttgarter Westen: Sie kochen zusammen, gehen auch mal miteinander aus, schauen sich gemeinsam einen Film an. Andererseits sind sie aber auch (noch) einzigartig in Stuttgart: Denn Omar ist über das Jugendamt in die Wohngemeinschaft gekommen, er ist ein sogenannter UMF, ein minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling. Und die WG im Stuttgarter Westen ist bisher die erste dieser Art. Außerdem gibt es noch eine Eigentümerin in Untertürkheim, die einem minderjährigen unbegleiteten Flüchtling eine kleine Wohnung vermietet.

 

Das Jugendamt hofft, dass die Beispiele Schule machen und sich noch mehr Wohngemeinschaften und noch mehr Vermieter finden, die an minderjährige Flüchtlinge vermieten. „Wir betreuen die Jugendlichen weiter, die Vermieter haben nicht die Verantwortung – und wenn es je Schwierigkeiten gäbe, würden die Jugendlichen wieder in Wohngruppen untergebracht“, sagt die zuständige Bereichsleiterin im Jugendamt, Waltraud Stuntebeck. Für Flüchtlingskinder, die alleine geflüchtet sind, sucht sie außerdem Pflegefamilien.

Wohnangebot für 257 Jugendliche benötigt

Denn die Wohnraumnot ist groß. Zwar hat das Jugendamt weitere Notunterkünfte zugewiesen bekommen, aber diese seien nicht für die dauerhafte Unterbringung von Jugendlichen geeignet und die vorhandenen Plätze in betreuten Wohngruppen reichten nicht aus, so Waltraud Stuntebeck. Die Stadt hat aktuell 50 der 95 eigenen Wohngruppenplätze mit Flüchtlingen belegt, außerdem leben 28 junge Flüchtlinge in betreuten städtischen Wohnungen. „Wir gehen davon aus, dass 257 Jugendliche in Stuttgart bleiben, für die wir Wohngruppen brauchen“, sagt Waltraud Stuntebeck. Momentan gelingt der Auszug aus den überfüllten Notunterkünften nur selten. Bisher hat das Jugendamt in diesem Jahr 613 junge Flüchtlinge aufgenommen (Stand 30. September). Zum Vergleich: im gesamten Vorjahr waren es 260, im Jahr 2005 sogar nur 31. In der Unterkunft an der Kernerstraße schlafen sie zu dritt oder zu viert in den Zimmern, im Aufenthaltsraum stehen inzwischen Doppelstockbetten. Die Stadt hat auch vor diesem Hintergrund vor, in der Tranche 5 der Flüchtlingsunterbringung einen eigenen Systembau für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge am Klingenbach im Stuttgarter Osten zu bauen – und zwar auf einem Lehrerparkplatz.

Über Facebook zueinander gefunden

„Wir hoffen sehr auf private Vermietungen“, sagt auch die Sozialpädagogin Soudabeh Ahmadifard-Titze, die sich um die Vermittlung im Fall von Omar gekümmert hat. Er sei ausgewählt worden, weil er besonders selbstständig sei und sehr beliebt mit seiner offenen Art. „Nur die Selbstständigen kommen dafür in Frage, wir würden nicht jeden auswählen“, sagt Soudabeh Ahmadifard-Titze. Auch an der Schule läuft es gut für Omar, er besucht gemeinsam mit anderen UMFs eine Klasse und ist dabei, seinen Hauptschulabschluss zu machen.

Der Kontakt zu Anita Serdjuk und Katharina Beck kam über das soziale Netzwerk Facebook zustande. Dort gibt es die Seite „Refugees, welcome to Stuttgart“, die unkompliziert Bedarf vor Ort meldet. Dort wird zum Beispiel gepostet, wenn in einer Unterkunft ein Kinderwagen benötigt wird oder wenn es irgendwo an warmer Kleidung fehlt. Vor einigen Monaten entdeckte die Sozialpädagogin Anita Serdjuk auf der Seite, dass Wohnungen und WG-Zimmer für junge Flüchtlinge gesucht werden. Da sie ohnehin überlegt hatten, ein Zimmer der 100-Quadratmeter-Wohnung zu vermieten, meldete sie sich. Als Omar sich das Zimmer anguckte, war er total begeistert. „Ich habe mich wirklich sehr gefreut“, sagt er. Am 17. August ist er eingezogen. „Es läuft gut, es passt alles“, sagen Anita Serdjuk und Katharina Beck.

Tofuwurst hat dem Jugendlichen nicht geschmeckt

Morgens gehen alle drei früh aus dem Haus – und wenn Omar, der inzwischen 18 Jahre alt ist, abends mal spät kommt, sagt er den beiden Bescheid, obwohl er das gar nicht müsste. Ein bis zweimal die Woche trifft er zudem seine Sozialarbeiterin.

Omar gefällt das WG-Leben. Im Schnitt kochen die drei einmal die Woche gemeinsam, sodass die Frauen sich in gambischer Küche inzwischen ganz gut auskennen und auch Omar etwas kennen gelernt hat, was ihm zuvor fremd war: Kässpätzle (die findet er lecker) und Tofuwurst (die mag er nicht). Manchmal erzählt Omar über Gambia oder sie hören zusammen im Internet Nachrichten aus dem afrikanischen Land. Nur über die drei Monate lange Flucht will der junge Mann nicht reden. „Das ist zu schwer für mich“, sagt er.