Von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns sind in den neuen Bundesländern gut 40 Prozent der Betriebe betroffen – weitaus mehr als im Westen. Die Unternehmen reagieren mit Preiserhöhungen.

Stuttgart - Glaubt man dem Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo, dann bringt der Mindestlohn vor allem im Osten „erhebliche Einschnitte für kleine und mittlere Betriebe“. Denn hier seien aufgrund der tendenziell niedrigen Gehälter 43 Prozent der Firmen von den neuen Regelungen betroffen, im Altbundesgebiet nur 24 Prozent. Deshalb erwäge hier gut jedes vierte Unternehmen den Abbau von Personal. Doch selbst im Handwerk, das womöglich besonders betroffen ist, stimmt das nicht so pauschal. Nicht wenige Kleinbetriebe leben mit dem Mindestlohn sogar zufriedener, auch wenn sie diesen erst einmal erwirtschaften müssen.

 

Bereits 2011 hatte etwa Frank Schuster, Geschäftsführer der auf Bau und Natursteinrestaurierung spezialisierten Paul Schuster GmbH in Magdeburg, einen branchenweiten Mindestlohn für das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk gefordert. Schuster, der auch Landesinnungsmeister sowie Vizebundesinnungsmeister für dieses Gewerk ist, unterbrach zeitweilig sogar die laufende Tarifrunde mit der IG Bau, um einen Mindestlohn für die gesamte Branche zu erzwingen – also auch für jene Betriebe, die nicht einer Innung angehören. Denn andernfalls unterliefen diese schnell jene Lohnuntergrenzen, die der Tarifvertrag vorgibt, und verschafften sich unlautere Vorteile gegenüber tariftreuen Mitbewerbern. Zudem werde es mit Dumpinglöhnen immer schwerer, guten Berufsnachwuchs zu finden.

Bedeutet der Mindestlohn einen Rückschritt?

Zugleich sprach sich der Bauingenieur aber bis zuletzt gegen einen „politisch verordneten Mindestlohn“ aus. Immerhin gelang es ihm auch, diesem noch zuvorzukommen. Bereits seit Mai gilt für alle Steinmetzbetriebe und Bildhauereien in allen neuen Bundesländern ein verbindlicher Stundenlohn von 10,66 Euro. Zwar liegt dieser noch 59 Cent unter jenem Satz, den die Natursteinunternehmer ihren Gesellen etwa in Baden-Württemberg zahlen, aber da dieser ausgehandelte Mindestlohn nun Bestandteil der Kalkulation sei, entschärfe er auch jene bisherigen Wettbewerbsverzerrungen, freut sich Schuster.

Zugleich erwarten die Meisterbetriebe des Metiers, dass sich die Baubehörden bei Ausschreibungen und Vergaben auch künftig an jenen tariflich ausgehandelten Mindestlohn halten, statt im Bieterverfahren nun nur 8,50 Euro als Messlatte anzulegen. Denn sonst bedeute der staatlich verordnete Mindestlohn sogar einen Schritt zurück.

Der Backautomat ist der wahre Konkurrent

Auch das ostdeutsche Bäckerhandwerk gewinnt den 8,50 Euro vor allem Positives ab. Vor allem betrifft dies jene Backstuben, in denen noch wie zu alten Zeiten ab ein Uhr in der Früh per Hand der Teig geknetet wird. „Es wurde höchste Zeit, dass wir Bäcker mehr verdienen“, sagt etwa Clemens Bresan, Geschäftsführer von Bresan Backwaren im sächsischen Königswartha. In seinen zwölf Filialen hat er bereits 2014 die Preise leicht erhöht, um die Kunden an ein höheres Niveau zu gewöhnen.

Angst hat Bresan indes, dass die Kunden dann häufiger zum Backautomaten im Discounter wechseln. Doch auch manche jener Billigfilialen in Supermärkten oder Tankstellen bleibt dann wohl auf der Strecke. Balduin K., der in einer solchen bei Bautzen bisher nur „4,60 bis 5,20 Euro“ verdiente, nimmt notfalls sogar den Konkurs seines Arbeitgebers in Kauf. Denn es müsse endlich damit aufhören, sagt er, „dass über diese Dumpinglöhne unfähige ,Unternehmer‘ subventioniert werden“.

Im Taxigewerbe gibt es bereits Kündigungen

Beifall zum Mindestlohn kommt auch von Sybille Hain, die in Erfurt den Friseursalon Kopf Cult führt. Damit sei endlich Schluss mit jenen schwarzen Branchenschafen, die ihre Mitarbeiterinnen für manchmal 3,80 Euro die Stunde ausbeuteten, erregt sie sich. Manche hätten sogar die Preise erhöht und dies mit höheren Löhnen begründet, ohne ihr Personal auskömmlich zu bezahlen. So fordert die couragierte Meisterin, die sich in der Innung engagiert, mit Einführung des Mindestlohns auch „regelmäßige Überprüfungen“ dazu. Jene 8,50 Euro hält sie für einen gut aufgestellten Handwerksbetrieb indes für realistisch. Schon jetzt erhielten gute Friseurinnen bei ihr um die zehn Euro. Sie rechnet mit Preissteigerungen um zehn Prozent, was indes die „große Mehrheit der Kunden“ akzeptiere, so Sybille Hain.

Eine erste Kündigungswelle ereilt dagegen das Taxigewerbe. Die Taxigenossenschaft in Halle/Saale, die in ihren 90 Mitgliedsbetrieben bis jetzt 400 Chauffeure beschäftigt, will nach Angaben ihres Sprechers nun rund 130 Mitarbeitern kündigen. Noch wartet die Genossenschaft die Effekte der zugleich angeschobenen Preiserhöhung von rund 25 Prozent ab. Doch sollte dies in Größenordnungen „Fahrgäste verschrecken“, wäre das wohl das Aus für einzelne Fuhrbetriebe. Taxiunternehmer Wilfried Bandel hat seinen vier Angestellten bereits gekündigt. Er schaue mal noch, „wie sich die Einnahmen entwickeln“, sagt er. „Widerrufen kann ich die Kündigungen immer noch.“ Doch für sehr wahrscheinlich halte er dies nicht. Es wäre ein Tod auf Raten für seinen 50 Jahre alten Familienbetrieb, befürchtet der 63-Jährige.