Seit einem Monat gilt die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde und erzeugt mehr Unruhe denn je – auch im Südwesten. Schon jetzt zeichnen sich deutliche Vor- und Nachteile ab – insbesondere im Gastgewerbe und im Umgang mit Praktikanten.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Restaurantleiter hat, obwohl noch keine 40, schon viele Gastronomiebetriebe erlebt, seine Erfahrungen in einem Wendlinger Hotel-Restaurant haben ihn aber nachhaltig frustriert. Während seiner Zeit dort erhielten die Vollzeitkräfte einen Vertrag über etwa 110 Stunden im Monat und mit einem Stundenlohn ab 6,50 Euro – tatsächlich gearbeitet haben sie aber 200 Stunden und mehr.

 

In der Gastronomie kann ein Arbeitstag bis zu 18 Stunden dauern. Dass all die Überstunden von den Verträgen nicht abgedeckt werden, sei in der Branche „völlig normal“, sagt der studierte Betriebswirt. Vernünftige Zeiterfassungssysteme gebe es nicht. Vollends zur Farce wurde das Ganze durch die Anweisung des Wendlinger Hoteliers, die Dienstpläne – als Beweisstücke – zu schreddern. Der gesetzliche Mindestlohn müsste diese illegale Praxis künftig unterbinden, weil die zugehörige Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten den Kontrolleuren nun einen besseren Einblick gibt.

Die 8,50 Euro selbst werfen in Baden-Württemberg nicht so große Kostenprobleme auf. Denn hier fängt die tarifliche Lohnskala bei 9,61 Euro an – für tarifgebundene Betriebe wohlgemerkt. Dennoch fragt sich, ob weiterhin bei der Arbeitszeit getrickst wird. Professionelle Lohnbuchhaltungen werben damit, den Restaurants und Hotels beim Umgehen der „Gefahrenstelle“ Mindestlohn zu helfen. Mit der Aufzeichnungspflicht für die Betriebe wird dies schwieriger. Sie rückt das 20 Jahre alte Arbeitszeitgesetz mit der höchstzulässigen Schichtzeit von zehn Stunden am Tag mehr denn je in den Blickpunkt. „Das Arbeitszeitgesetz stellt unsere Mitglieder und Betriebe vielfach vor unlösbare Schwierigkeiten“, sagt Daniel Ohl vom Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Baden-Württemberg.

Mittagsservice wegen des Mindestlohns eingestellt

Nach seiner Darstellung wurden die Arbeitszeiten bisher monatlich erfasst, so dass Überstunden innerhalb dieses Zeitraums ausgeglichen werden konnten. Künftig ist Transparenz vonnöten. „Es ist sehr schwierig geworden, einen mittelständischen Gastronomiebetrieb gesetzeskonform zu führen“, gesteht Ohl und rügt: „In einer Branche, die von vielen Kleinbetrieben, extrem hohen Erwartungen der Gäste an die Servicebereitschaft und nicht planbaren Auslastungsschwankungen geprägt ist, macht man mit solchen kontrollierbaren Rigiditäten das Geschäft kaputt.“

Ein prominentes Beispiel ist Burg Staufeneck in Salach, Basis des sternegekrönten Kochs Rolf Straubinger. Dort wird der Mittagsservice wegen des Mindestlohns eingestellt. Außer sonntags sind Gourmetrestaurant und Bistro nur noch abends geöffnet.

Wissensbedarf zum Thema Mindestlohn ist groß

Der Dehoga Baden-Württemberg hat seit vorigen September 2000 der 12 500 Mitglieder in Seminaren auf den Mindestlohn vorbereitet. Der Wissensbedarf ist groß. Die Fixierung der politischen Debatte auf die Mindestlohnhöhe sei nicht hilfreich gewesen, sagt Ohl. Viele Befürworter hätten die Problematik der Arbeitszeiten nicht auf dem Schirm gehabt. „Der Verband dringt vehement auf eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, doch bislang gibt es aus dem Arbeitsministerium keine positiven Signale.“ Erst jüngst hat der Dehoga beim Staatssekretär eine Absage kassiert.

Davon tangiert ist auch das Veranstaltungsgeschäft: Großcaterer wie die Firma Rauschenberger, die Kundenpartys etwa für Autokonzerne veranstaltet. Dort leisten die Mitarbeiter bei Bedarf sehr viel, auch um ordentlich Geld zu verdienen. „Jede Minute“ würden diese Caterer bezahlen, versichert Ohl. Die 8,50 Euro seien da nicht das große Problem. Vielmehr müssten vor allem die Teamleiter bis zu 16 Stunden vor Ort sein. Daher könne man so ein Eventmanagement nicht in Schichten unterteilen.

Bekannt sind Tricks der Hotels bei den Zimmermädchen, die wiederum meist bei Reinigungsfirmen angestellt sind. „Wir raten unseren Mitgliedern dringend, nur Dienstleister zu beschäftigen, die sich an die Vorschriften halten“, sagt der Dehoga-Sprecher. Doch kann der Arbeitgeber die Soll-Zeit für das Herrichten eines Zimmers so stark reduzieren, dass die Frau praktisch viel länger für die ganze Etage benötigt als vertraglich vereinbart. Auch hier kann der Zoll künftig genauer überprüfen, was der Hotelier bisher nicht so exakt wissen wollte.

Unbezahlte Arbeitsstunden außerhalb der Öffnungszeiten

Beim Landesbezirk der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) halten sich die Anfragen noch in Grenzen. „Die Reaktionen aus Betrieben werden erst im Februar kommen, wenn die Lohnabrechnungen für Januar vorliegen“, sagt der Landesvorsitzende Uwe Hildebrandt. Für ihn ist der Bereich der 450-Euro-Jobs eine Grauzone, weil kaum zu überprüfen sei, wie viele Arbeitsstunden dahinterstehen.

Vom Mindestlohn profitieren müssten aus seiner Sicht auch viele Bäckereiverkäuferinnen – gerade auf dem Lande, wo viele Betriebe nicht tarifgebunden sind, weshalb sie deutlich weniger als 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Wobei wiederum für alle Bäckereiverkäuferinnen gilt, dass Vor- und Nacharbeiten außerhalb der Öffnungszeiten oft nicht bezahlt werden. „Wer den Mindestlohn unterbieten will, tut dies vor allem über die Arbeitszeit“, sagt Hildebrandt. „Daher ist die Nachweispflicht für uns von ganz entscheidender Bedeutung – darauf wird unsere Hauptaugenmerk liegen.“