Handwerklich gebrautes Bier statt Konzern-Massenware: der Siegeszug der Craft-Bier-Bewegung mischt die Bier-Branche auf. Zu Besuch in einer Mini-Brauerei im Stuttgarter Heusteigviertel.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Der deutsche Biermarkt wird derzeit revolutioniert, und kaum einer bekommt es mit. Die Revolution geht ausgerechnet von einem Land aus, das lange Jahre berüchtigt war für dünne Plörren und geschmacksfreie Pseudo-Biere: die USA. Von dort schwappt ein Trend nach Deutschland, bei dem Biergenießer leuchtende Augen bekommen: die Craft-Bier-Bewegung. Dabei geht es um eine Abkehr von der Massenware der Konzerne und um eine Hinwendung zum handwerklich gebrautem Bier in kleinen Mengen (englisch Craft für Handwerk). Oder, um es etwas überspitzter zu formulieren: „Lieber weniger Segelschiff und mehr Konzentration auf die Rohstoffe“, sagt Werner Dinkelaker von der Brauerei Schönbuch in Böblingen. Dinkelaker ist ein Bier-Verrückter. In seinem Bierblog taucht er tief ein in die Materie. „Die Craft-Bier-Bewegung ist in den USA entstanden, weil dort drei Firmen 90 Prozent des Biermarkes dominiert haben“, sagt Dinkelaker. Dieser Eintönigkeit des Angebots wollten kleine Brauereien etwas entgegensetzen. Mit Erfolg: Die Zahl der Micro Breweries stieg in den USA laut dem Fachmagazin Mixology zwischen Ende 2011 und Juni 2013 von 970 auf 2500. Es gibt immer mehr kleine Brauereien, die mit verschiedensten Sorten experimentieren.

 

Wie ein Böblinger Brauer Pale Ale aus New York adaptiert

Der Klassiker dieses schönen neuen Experimentierens ist die Sorte India Pale Ale (IPA) mit seinem dominanten Hopfen-Geschmack. Die schöne, neue Hopfen-Welt hat es längst auch nach Deutschland geschafft – dank Bier-Verrückten wie Werner Dinkelaker. Dinkelaker besuchte einen der Vorreiter auf dem amerikanischen Markt, die inzwischen beinahe kultisch verehrte Brooklyn Brewery in New York. Begeistert kam er zurück nach Hause. „Wir haben das Rezept der New Yorker adaptiert und für Stuttgart weiterentwickelt“, erklärt Werner Dinkelaker. „Ich bin ganz verliebt in den Geruch, in die Zitrus-Noten dieses Bieres“, sagt er.

Von seinem Pale Ale hat Schönbuch 2013 immerhin 1000 Hektoliter verkauft. Im Vergleich zu den Absatzzahlen der Großen der Branche ist das eine kleine Zahl. Noch, denn die Nachfrage wird größer.

Die Innovationen gehen auch in Deutschland von den so genannten Bonsai-Brauereien aus. Die großen Konzerne haben dafür keine Zeit, sie sind zu beschäftigt mit Preisabsprachen und der Bewerbung ihrer austauschbaren Fernsehbiere. Auch Hofbräu und Dinkelacker halten sich im Bereich der Craft-Biere vornehm zurück. Will man in Stuttgart in den Genuss hier produzierter Charakterbiere kommen, muss man einen Hinterhof am Österreichischen Platz besuchen. Hier trifft man auf Daniel Bleicher, der 2010 seine Cast-Brauerei gegründet hat. „Ca“ steht für California, „St“ für Stuttgart. Das Schild mit den Öffnungszeiten an der Eingangstür ist handgeschrieben, die Brauerei ist winzig. Bei Regen weht der Duft von Dinkelacker hierher. Die Azubis der beiden großen Stuttgarter Brauereien besuchen Bleicher mit immer größerer Neugierde.

Im Heusteigviertel wird im Hinterhof Spannendes gebraut

Werner Dinkelaker nennt Bleicher den „Hopfenstopfer vom Heusteigviertel“. 2013 hat er rund 120 Hektoliter Bier gebraut, dieses Jahr sollen es deutlich mehr werden. Der 34-Jährige fühlt sich wohl in seiner Nische. „Auch wenn vielen Stuttgartern mein Bier geschmacklich zu wuchtig ist“, sagt Bleicher. Und tatsächlich, ein Pale Ale ist kein Bier gegen den schnellen Durst, es fordert die Geschmacksnerven.

Seit zwei Jahren braut Bleicher für sechs Kreative aus dem Lehenviertel das Zacke-Bier, ein fruchtiges Helles. Das Zacke ist schneller ausverkauft, als man gucken kann. Die letzte Ladung war innerhalb von drei Tagen vergriffen. Wie erklärt sich Bleicher den Siegeszug der Mikro-Brauereien? „Der Trend geht in allen Lebensmittelbereichen zum Regionalen. Da passt ein kleines Bier von hier perfekt rein“, sagt er. Gerne würde er mit seiner Brauerei den nächsten Schritt machen, in Lokalen wie dem Maulwurf oder dem Schlesinger präsent sein, dazu in ausgewählten Supermärkten: Mit dem Vertrieb tut er sich als Ein-Mann-Brauerei aber schwer. „Ich würde gerne einen Brauer einstellen, um wieder mehr rauszukommen“, sagt Bleicher.

Mit der Finanzierung hapert es noch. „Von der Bank Geld zu bekommen ist schwierig, vielleicht versuche ich es mit Crowdfunding“, berichtet Bleicher. Nicht nur Banken reagierten auf den Siegeszug der Mikro-Brauerein skeptisch. In Deutschland werde immer schnell sehr ängstlich nach dem Reinheitsgebot gefragt.

Die Craft-Bier-Bewegung braut nach dem Reinheitsgebot

Eine Angst, die Werner Dinkelaker ausräumen kann. „Die Craft-Bier-Bewegung ist 100 Prozent mit dem Reinheitsgebot kompatibel“, erklärt der Schönbuch-Chef. „Wir haben über 100 verschiedene Hopfen-Sorten, mit denen man ganz wilde und leckere Sachen machen kann.“ Werner Dinkelaker definiert den Craft-Begriff ohnehin etwas breiter: „Für mich ist jeder Brauer, der seinen Lieferanten nicht knechtet, und immer bestrebt ist, ein noch geileres Bier zu machen, ein Craft-Brewer.“

Eben wie Daniel Bleicher. Der träumt von einem Double IPA, „das richtig bitter ist und fast schon nach Leder schmeckt. So etwas liebe ich.“ Vom Trend der Barrel Aged Biere, die ähnlich wie Weine im Eichenfass gelagert werden, hält er dagegen nichts: „Das schmeckt mir zu sehr nach Holz.“ Der gebürtige Stuttgarter schwärmt stattdessen von Hopfen, der nach Maracuja duftet. Daniel Bleicher weiß schon ganz genau, mit welchen Sorten er als nächstes experimentieren will. „Das verrate ich aber noch nicht.“ Sonst macht vielleicht eine weitere Hinterhof-Brauerei in Stuttgart auf und stößt mit Bleichers Idee die nächste Bierrevolution an.