Der Rechtswissenschaftler Hermann Reichold hält die häufige Missachtung des Gesetzes bei Minijobbern für ein Politikum.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)
Tübingen - Minijobber stehen ganz unten in der Hierarchie eines Unternehmens. Sie werden nur angerufen, wenn man sie braucht. Sie bekommen nur Geld, wenn sie auch gearbeitet haben, obwohl ihnen wie jedem Arbeitnehmer bezahlter Urlaub und Lohn im Krankheitsfall zustehen. Und ihnen droht blitzschnell die Kündigung, wenn sie sich wehren - die StZ hat in den vergangenen Wochen mehrmals über dieses Thema berichtet.

Hermann Reichold, Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, hält diese "massive Diskriminierung" der sozial schwachen Minijobber für nicht länger hinnehmbar. Bis jetzt beteuern Ministerien oder auch die Minijobzentrale in Essen gegenüber der StZ, sie seien nicht zuständig - es handle sich um Arbeitsrecht, und da müsse jeder Minijobber selbst um sein Recht kämpfen. Reichold, der selbst Experte für Arbeitsrecht ist, hält dies für ein falsches Argument: "Wenn einem so großen Anteil von Minijobbern gesetzlich verbürgte Rechte vorenthalten werden, dann darf man das nicht auf den Rücken des Einzelnen abladen - dann muss sich die Politik dieses Missbrauchs annehmen."

Auch große Firmen beugen das Gesetz


Reichold könnte sich zum Beispiel vorstellen, dass die Gewerbeaufsichtsämter einschreiten, wenn sie von einem Unternehmen erfahren, das sich nicht an das Gesetz für geringfügig Beschäftigte hält. Beim Thema Schwarzarbeit habe der Staat schließlich mit dem Zoll sogar eigens eine Verfolgungsbehörde geschaffen. Ganz zu vergleichen sind Schwarzarbeit und Missbrauch bei Minijobs zwar nicht - bei der Schwarzarbeit handelt es sich um Wirtschaftskriminalität, die dem Gemeinwesen schweren Schaden zufügt -, doch auffällig ist: dort, wo Sozialkassen und Finanzamt Einnahmen entgehen, hat der Staat ein klar höheres Interesse an der Aufklärung.

Dabei beugen beileibe nicht nur kleinere Firmen das Gesetz. So hatten die DRK-Kreisverbände Stuttgart, Böblingen und Nürtingen in den vergangenen Wochen eingeräumt, dass sie den Minijobbern in ihren Pflegeheimen bezahlten Urlaub vorenthalten und das Gehalt auch nicht weiterzahlen, wenn jemand krank geworden ist. Frieder Frischling, der Geschäftsführer des DRK Stuttgart, hat mittlerweile externen Rat ins Haus geholt, um eine saubere Umstellung zu gewährleisten. Das Problem sei jedoch, dass viele Minijobber auf Abruf arbeiteten - da sei es schwierig, Urlaubsansprüche oder Lohnansprüche im Krankheitsfall zu berechnen. "Wir wollen aber rückwirkend zum Jahresanfang alle Verträge umstellen - nur geht das nicht von heute auf morgen", so Frischling. Daneben hat die StZ mehrere Berichte von Minijobbern aus der Reinigungsbranche erhalten, die dafür bekannt ist, dass sie die Lohnkosten möglichst gering halten will.

Edeka weist die Vorwürfe zurück


In der Lebensmittelbranche ist der Preiskampf ebenfalls gnadenlos; auch dort arbeiten viele Minijobber wie Tagelöhner - ohne richtigen Vertrag und ohne Hoffnung, nach Gesetz bezahlt zu werden. Zumindest in Einzelfällen gehört auch die Supermarktkette Edeka dazu. So hat ein Minijobber in einem Edeka-Markt nie einen regulären Vertrag erhalten. Und er bekommt nur jene Stunden bezahlt, die er auch tatsächlich geleistet hat. "Wenn ich Urlaub haben will, muss ich die Stunden vorarbeiten - oder auf den Lohn verzichten", so der Minijobber. In einem anderen Fall hat Edeka es abgelehnt, Lohn im Krankheitsfall zu bezahlen, obwohl eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorlag. Die Bescheinigung sei zu spät eingetroffen, argumentierte Edeka, nachdem die Arbeitnehmerin den Mut hatte, vor Gericht zu gehen. Bei einem Schlichtungstermin hat der Richter fast den gesamten monierten Betrag der Minijobberin zugesprochen.

Grundsätzlich weist die Edeka Handelsgesellschaft Südwest in Offenburg die Vorwürfe zurück. Deren Sprecher Christhard Deutscher betont: "Für Märkte, die wir in Eigenregie betreiben, gibt es explizit Weisung an unsere Marktleiter, die gesetzlichen und tariflichen Regelungen einzuhalten." Deutscher geht deshalb davon aus, dass es sich um Einzelfälle handeln muss.

Auch die Betriebsratsvorsitzende von Edeka, Helga Immendörfer, sagt: "Es geht kein Vertrag über unseren Tisch, der nicht korrekt ist." Sie könne sich die Sache nur so erklären, dass einzelne Marktleiter gegen die Vorgabe der Zentrale handelten. Daneben existieren im Südwesten rund 1000 inhabergeführte Edeka-Märkte, auf die die Zentrale in Offenburg nur bedingt Einfluss hat. Auch in solchen Märkten wird zum Teil gegen das Gesetz verstoßen. Ein Minijobber, der in einem der Märkte arbeitet, schrieb an die StZ: "Ich habe meinen Chef nie darauf angesprochen, dass ich gewisse Rechte habe, da er teils cholerisch reagiert."

Die StZ berichtet weiter zum Thema Minijob. Bitte berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen - per E-Mail an lokales@stz.zgs.de