Auf seiner ersten großen Auslandsreise zeigt Sigmar Gabriel, dass er mehr sein will als Energieminister. In China wirbt er für die Energiewende – und für deutsche Nobelmarken.

Peking - Es ist ein spontaner Einfall. „Darf ich mal reingucken“, fragt der deutsche Minister seinen Gastgeber. Die Firmenleitung des chinesischen Autobauers Haval ist hocherfreut. Natürlich darf das deutsche Regierungsmitglied den Geländewagen von innen anschauen. Sigmar Gabriel steigt in das Auto des aufstrebenden Herstellers aus dem Riesenreich, der seinen Stand direkt gegenüber der Ausstellungsfläche von Mercedes-Benz aufgebaut hat. In dem Gedränge auf der Pekinger Automesse bleiben die Besucher stehen, um mit ihren Handykameras den Moment festzuhalten. Dass ein deutscher Minister in einen chinesischen Mittelklassewagen steigt, passiert schließlich nicht jeden Tag. Gabriel scherzt mit seinem Begleiter aus der chinesischen Delegation und lächelt in die Kameras.

 

Das ist eine typische Szene für den Wirtschaftsminister. Gabriel besucht auf der Pekinger Ausstellung auch die deutschen Autohersteller Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW. Doch nur ein einziges Mal setzt er sich hinters Lenkrad: Diese Ehre wird allein dem in Europa unbekannten Hersteller aus China zuteil. Den deutschen Herstellern verweigert der Minister solche Auftritte. Immerhin nimmt er sich an diesem Mittwochmorgen für die drei Oberklasse-Hersteller aus Deutschland viel Zeit in dem dichten Programm. Mehr als eine Stunde verbringt er mit den Automanagern. Als er am Stand von BMW zuerst an eine Luxuskarosse mit dem Namen „Vision Future Luxury“ geführt wird, die es bis jetzt nur als Konzeptauto gibt, bleibt der Minister nur kurz stehen. Vor den PS-starken Wagen aus Deutschland lässt er einige Bemerkungen fallen. Er fragt beispielsweise, wie viel Sprit das Auto verbraucht. Bei den Elektromobilen, die jeder Hersteller im Programm hat, hält sich Gabriel dagegen längere Zeit auf. Doch auch in Fernost träumen die meisten Chinesen von einer konventionellen Limousine oder einem Geländewagen. Diese Modelle ziehen die Besucher an. Daran ändert auch der Smog in vielen chinesischen Großstädten wenig.

Erst die deutsche Energiewende, dann die Automesse

Für den Wirtschaftsminister bedeutet die Automesse einen abrupten Wechsel. Vor wenigen Stunden hat er noch über die Energiewende in Deutschland gesprochen, jetzt steht er vor teuren Premiummodellen. Als der Gast das Messegelände betritt, ist er beeindruckt. „Das ist imposant hier“, sagt der Vizekanzler, als er auf die Menschenmengen blickt. Die Automesse in Peking zählt zu den vier großen Ausstellungen auf der Welt. Für Gabriel ist der Termin mit den Autobossen keine neue Erfahrung.

Handys und Kameras werden gezückt: großer Andrang auf der Auto China 2014 Foto: dpa
Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hat er als früherer niedersächsischer Ministerpräsident eine Autoshow in Shanghai eröffnet. Damals war Gabriel qua Amt Aufsichtsratsmitglied des VW-Konzerns. Aus dieser Zeit weiß der frühere Länderchef auch, wie man Delegationen ins Ausland führt. Gabriel zeigt darin große Sicherheit.

Auch der Minister staunt, was ihm die Automanager berichten. Der chinesische BMW-Statthalter Karsten Engel erzählt, dass der Konzern bis 2020 mit einem jährlichen Wachstum von mehr als zehn Prozent rechnet. Auch an anderen Ständen hört man Superlative. In China werden im Jahr rund 18 Millionen Neuwagen verkauft, allein VW steuert in diesem Jahr rund 3,5 Millionen Fahrzeuge bei. „Dieser Markt ist fantastisch“, sagt der Daimler-Vorstand Hubertus Troska. Doch die rasante Nachfrage führt zu immer größeren Umweltproblemen. Im Januar versteigerte die Pekinger Stadtverwaltung 18 000 Zulassungen für Autos. Dafür gingen 1,8 Millionen Bewerbungen ein. Die Autoindustrie hofft trotz der Reglementierungen weiterhin auf gute Geschäfte. Der Minister erfährt, dass die Nachfrage nicht mehr nur aus den Großstädten kommt, sondern auch aus kleineren Städten des Nordens und Westens. Allein BMW will in China 10 000 Mitarbeiter für den Verkauf neu einstellen. Das sind gigantische Zahlen. Gabriel ist überzeugt. dass sich dieses Wachstum nicht lange durchhalten lässt. Auf der Automesse sagt er das nicht. 30 Stunden zuvor klingt das noch etwas anders.

Zwei Minister unter sich

Ein fensterloser Raum, im Untergeschoss eines Pekinger Luxushotels: hier trifft sich der Wirtschafts- und Energieminister morgens um sieben mit dem chinesischen Minister für die Reformkommission, Xu Shaoshi. Die Politiker sitzen an einem Tisch mit den Standarten beider Länder. 40 Minuten sprechen sie über die Neuausrichtung der Energiepolitik. „Wir müssen die Industrialisierung der nächsten 50 Jahre mit anderen Mitteln schaffen als in der Vergangenheit“, sagt der deutsche Gast nach dem Gespräch. Die Minister verabreden, bis zu den Regierungskonsultationen im Herbst zu konkreten Absprachen in der Energie- und Handelspolitik zu kommen.

Auf seiner ersten großen Auslandsreise zeigt Gabriel, dass er mehr sein will als Energieminister. Rund 50 Firmenvertreter gehören der Delegation an, die meisten sind Mittelständler. Die ganz großen Namen aus der Industrie fehlen, die werden im Juli mit der Kanzlerin nach China reisen. Doch das stört Gabriel nicht. Der Wirtschaftsminister zeigt, dass er Deutschland gut im Ausland verkaufen kann. Immer wieder sucht er das Gespräch mit den Geschäftsleuten. Die Manager sind zufrieden. Stets warnt er aber vor zu hohen Erwartungen an die Visite. „Neuerungen brauchen Zeit“, sagt er zu den Mitreisenden. Die Bundesregierung setzt aber darauf, dass sich in den deutsch-chinesischen Beziehungen in diesem Jahr einiges bewegt, da wichtige Treffen anstehen. In einem solchen Jahr könne einiges in Bewegung geraten.

Gabriels Versuch, als Wirtschaftsminister anzukommen

Gleich am ersten Tag wird der Wirtschafts- und Arbeitsminister mit „Herr Kanzler“ angesprochen – ein Übersetzungsfehler des Dolmetschers. Der SPD-Parteichef nimmt das mit Humor. Scherzhaft berichtet er, er reise gern nach Polen, wenn er wegen schlechter Umfragewerte für die Sozialdemokraten einmal niedergeschlagen sei. In Polen würden Politiker häufig mit einer höheren Rangstufe angesprochen. Auch wenn Gabriel über sich schmunzeln kann, gibt es keine Zweifel an seinen Ambitionen: Für ihn ist die Reise nach China der Versuch, als Wirtschaftsminister anzukommen. Stolz ist er darauf, dass er einen Termin mit Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bekommen hat. Dafür waren nur 20 Minuten vorgesehen, es wird daraus fast eine Stunde. Das zeugt von gegenseitiger Achtung.

Bisher ist der Niedersachse vor allem als Minister für die Energiewende in Erscheinung getreten. Das ändert sich jetzt mit der Chinareise. Dass er als Wirtschaftsminister ins Ausland reise, sei normales Geschäft, versichert Gabriel. Nach zwei Tagen im Ausland wirkt der Minister so, als habe er das immer schon gemacht. Dabei ist es kein leichter Balanceakt. Auch Gabriel gibt keine Antworten darauf, wie Klimaschutz und wilde Industrialisierung in China zusammenpassen. Dieses Spannungsverhältnis übergeht Gabriel einfach. Den Besuch auf der Automesse bezeichnet er als wichtiges Signal. Wer dem Riesenreich vorschreiben wolle, welche Autos es kaufen solle, handele imperialistisch, meint er. Peking lasse sich nichts vorschreiben.

Den Rollenwechsel meistert Gabriel mühelos

Die Reise bedeutet einen ständigen Wechsel vom Umweltpolitiker zum Vertreter deutscher Standortinteressen. Der Rollenwechsel bereitet Gabriel kaum Mühe. Bei den Unternehmen kommt Gabriels Vielseitigkeit an. Schließlich sind die Verkäufer von Umwelttechnologie ebenso in der Delegation vertreten wie die Repräsentanten der Automobilindustrie. Spürbar ist aber, dass einige Firmenchefs dem Minister noch misstrauisch begegnen. Als er am ersten Tag das erste Mal zu ihnen spricht, erhält er nur dünnen Applaus. Ein erfahrener Firmenchef sagt, die Forderungen der SPD im Wahlkampf nach Steuererhöhungen seien nicht vergessen. Dennoch sind die Geschäftsleute vom neuen Minister auf der Reise angetan. Der Firmenpatriarch Martin Herrenknecht aus Baden, dessen Firma Bagger für Tunnelbohrungen baut, äußert sich anerkennend: „Gabriel legt sich ins Zeug.“ Auch der Ulmer Unternehmer Alexander Kulitz hebt hervor, dass der Minister offen für die Belange der Unternehmer sei. Positiv sei, dass Gabriel zuhören könne.

Dass er unter Beobachtung steht, weiß Gabriel. Nicht nur die Wirtschaftsleute machen sich ein Bild. Auf der Reise sind auch drei Ex-Bundesminister mit von der Partie: der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping von der SPD, und die CSU-Politiker und Ex-Minister Peter Ramsauer und Michael Glos. Scharping und Glos sind als Berater für Unternehmen tätig, Ramsauer ist Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bundestag. Der glücklose Wirtschaftsminister Glos hatte mit dem damaligen Umweltminister Gabriel in der ersten großen Koalition von 2005 bis 2009 viel zu tun. Das Wirtschaftsministerium warnte damals vor den hohen Kosten für erneuerbare Energien, Gabriel wehrte dies seinerzeit ab. Heute fordert auch Gabriel ein stärkeres Kostenbewusstsein bei den erneuerbaren Energien. Das sei die typische Rollenverteilung zwischen Ministerien, sagt Glos. Gabriel traut er einiges zu: „Was er macht, macht er geschickt“, lautet das Urteil eines seiner Vorgänger.

Glos weiß aber auch, dass die Bewährungsprobe noch bevorsteht. Mit der industriefreundlichen Umsetzung der Energiewende hat Gabriel bei der Wirtschaft Sympathien gewonnen. Doch das ist allenfalls ein Anfangserfolg. Wie rasch sich das Blatt wieder wenden kann, haben viele Wirtschaftsminister erfahren müssen. Dass manche Medien den Wirtschaftsminister schon als „roten Ludwig Erhard“ sehen, amüsiert den alten Fahrensmann Glos. Das klinge alles schön, meint der Franke. Er hält es aber mit dem Altkanzler Helmut Kohl. „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“