Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann spricht in Japan über Energiepolitik und Atomausstieg. In Fukushima lässt er sich über die Folgen des Reaktorunfalls informieren.

Tokio - Im Untergeschoss des schicken Gebäudekomplexes Roppongi Hills im Herzen Tokios strömten am Mittwoch junge Büroangestellte zu einer Sektverkostung. 50 Stockwerke darüber fasste Winfried Kretschmann, Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Baden-Württemberg, die drei ersten Tage seiner Japanreise auf einer halbstündigen Pressekonferenz zusammen. Das Topthema bei allen Gesprächen sei die Energiepolitik gewesen. „Mein Eindruck ist, dass japanische Politiker versuchen, Energiepolitik neu zu definieren und sich auf der Suche befinden“, sagte Kretschmann vor japanischen und deutschen Journalisten. „Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.“

 

In den Gesprächen mit japanischen Regierungsvertretern und Politikern habe Kretschmann mit seiner Delegation versucht, den deutschen Weg zu erklären und für Alternativen zur klassischen Stromgewinnung zu werben. „Grüne Energien sind nicht nur ein Weg, um aus einer Hochrisikotechnologie auszusteigen, sondern auch ein Wettbewerbsfaktor auf dem Weltmarkt“, sagte Kretschmann. Ihr Ausbau böte auch die Chance zur Wertschöpfung im eigenen Land. Zum deutschen Energiewandel sagte er: „Der Umstieg ist nicht umsonst zu haben, aber ich bin sicher, dass der Anstieg (der Strompreise) zu begrenzen ist“, sagte der 65-Jährige.

„Interessanter Gedankenaustausch“ in Fukushima

Auf seiner Agenda diese Woche standen Gespräche mit den Sprechern von Ober- und Unterhaus, einem Vizeumweltminister sowie dem Minister für Wiederaufbau, Takumi Nemoto. Am Rande der Tagung des Budgetausschusses des Parlaments habe er auch kurz Premierminister Shinzo Abe sprechen können. Im Rahmen der seit 20 Jahren andauernden Partnerschaft mit der Provinz Kanagawa bei Tokio traf sich Kretschmann mit seinem japanischen Kollegen Yuji Kuroiwa, der die Einladung nach Baden-Württemberg 2014 spontan annahm.

Sehr beeindruckt zeigte sich Kretschmann am Mittwoch vom Besuch der Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur Fukushima und dem „sehr interessanten Gedankenaustausch“ mit Evakuierten, Behördenvertretern und dem Provinzgouverneur Yuhei Sato. Er habe ihre „große Verunsicherung“ gespürt, wie es nun mit ihnen weitergehe. Weiterhin können mehr als 150 000 Menschen wegen der Verstrahlung nicht in ihre Heimat zurückkehren.

Appell des Gouverneurs, auch die positiven Seiten zu sehen

Gouverneur Sato sagte, er befürchte, dass die Region nur noch mit der Katastrophe assoziiert werde. Er appellierte, auch die positiven Entwicklungen dort zu sehen. Kretschmann zeigte sich „bewegt von der Tapferkeit und der Entschlossenheit“ der Behörden, Kommunen und der Zivilgesellschaft, das Problem zu lösen. Wie sehr ihn das Thema beschäftigt, verrät nicht zuletzt seine Aussprache von „Fukushima“. Wird das Wort in Deutschland auf „i“ betont, betonte Kretschmann wie in Japan üblich das zweite „u“. Die japanische Parlamentariergruppe „genpatsu zero“ (null Atomkraft) teilt Kretschmanns Einstellung zur Atomkraft. Sie hatte den Grünenpolitiker zum Gespräch gebeten. Unter den Teilnehmern war auch Naoto Kan, der damalige Premierminister, der mit den Folgen der Katastrophe umgehen musste. Er zählt inzwischen zu den stärksten Befürwortern des japanischen Atomausstiegs. Kretschmann lobte die „interessanten Gespräche „in offener und freundschaftlicher Atmosphäre“. Kretschmann ist seit Anfang der Woche in Japan unterwegs. Es ist der erste Besuch eines Bundesratspräsidenten seit 20 Jahren. „Es war an der Zeit, die Beziehungen zu vertiefen“, sagte Kretschmann.

Kretschmann hält sich in Japan in seiner Funktion als Bundesratspräsident mit einer 60-köpfigen Delegation aus Umwelt-, Wissenschafts- und Wirtschaftsvertretern auf. Zudem begleiten Kretschmann Europaminister Peter Friedrich (SPD), Umweltminister Franz Untersteller und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (beide Grüne). Am Donnerstag trifft Kretschmann den Sohn des japanischen Tennos, Naruhito, sowie Vertreter der japanischen Grünen. Am Freitag reist der Ministerpräsident weiter nach Südkorea.