Am Dienstag hat Winfried Kretschmann den Adel umschmeichelt, am Freitag lädt er die Auto-Bosse zum Strategie-Gipfel. Der Ministerpräsident inszeniert seine Politik perfekt. Überzieht er dabei? Ein Kommentar von Reiner Ruf.

Stuttgart - Für Winfried Kretschmann ist es eine Woche glanzvoller Höhepunkt: Dem Adelsgipfel folgt der Autogipfel – stets mit ihm an der Spitze. Dabei ist der Ministerpräsident nach eigenem Bekunden doch eigentlich ein Mittelgebirgswanderer. Wie er in breiten Latschen und bedeckt mit einen Strohhut stetig eine sanfte Landschaft durchmisst, das sind die ikonographischen Bilder, die im Gedächtnis bleiben werden. Sie zeigen einen Kretschmann, der beim Wandern zu sich selbst findet: botanisierend oder auch – vielleicht gedankenschwer, vielleicht gedankenleer – vor sich hin schweigend.

 

Der Regierungschef gehört zu den am sorgsamsten inszenierten Spitzenpolitikern der Republik. Dass er den Adel des Landes ins Neue Schloss einlädt, um – wie er mit unschuldigem Augenaufschlag beteuert – für den Erhalt der Schlösser zu danken, die ihren Bewohnern ja dazu dienen, einen überkommenen Standesunterschied darzustellen, mag glauben, wer will. Kretschmann umschmeichelt den Adel, weil er damit den gesellschaftlichen Resonanzraum für seine Partei erweitert. Die Realo-Grünen im Südwesten waren die ersten ihrer Art, die mit dem Fanschal am Hals in die Fußballstadien gingen und bei der Fasnacht mitmachten. Jetzt drängen sie auch in die Schlösser. Aktionen wie der Adelsempfang werfen allerdings die Frage auf, wie viel Anbiederung ans konservative Milieu die Partei erträgt.

Kein vergoldeter Porsche

Auch Kretschmanns Verhältnis zum Auto ist machtstrategisch motiviert – was in diesem Fall nicht als Vorwurf zu verstehen ist. Nach seinem Regierungsantritt hatte er lernen müssen, dass ein grundsätzliches Bekenntnis zum Auto im Südwesten die Vorbedingung für den Machterhalt ist. Anders als sein Vorvorgänger Günther Oettinger lässt sich Kretschmann jedoch – noch – nicht im vergoldeten Porsche ablichten. Ein Auftritt mit Daimler-Chef Dieter Zetsche und Bosch-Chef Volkmar Denner beim Autogipfel an diesem Freitag ist ihm freilich höchst willkommen. Mit den schönen Aufnahmen erreicht er gleich zwei Zielgruppen: seinen dilettierenden Parteifreunden jenseits der Landesgrenze führt er vor, wie man Politik macht, nämlich nah dran an den harten Themen. Und der Wählerschaft zuhause beweist er, dass ihm der Wandel in der Autoindustrie nicht egal ist. Schließlich geht es um Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Lebensqualität.

Dabei spielt keine Rolle, dass es nicht in der Hand der Landesregierung liegt, welches Auto mit welchem Antrieb die Zukunft prägen wird. Was die Politik vermag, das ist: Infrastruktur bereitstellen, etwa für Elektrotankstellen, und Rechtsvorschriften erlassen, zum Beispiel für das autonome Fahren. Deshalb ist der Autogipfel richtig, auch wenn Kretschmann das Ereignis nicht so nennen will, weil ein grüner Ministerpräsident keinen Autogipfel veranstalten mag, der schon bei bloßer Nennung im Kopf Feinstaubalarm auslöst. Irgendetwas mit Strategie und Dialog klingt doch viel beruhigender. Also Strategiedialog.

Inszenierung darf nicht zum Ritual verkommen

Egal. Inszenierung gehört zur Politik wie der Weihrauch zum Festgottesdienst. Sie darf halt nicht zum hohlen Ritual verkommen – und es sollte etwas dabei herauskommen. Erinnert sich noch jemand an Kanzlerin Merkels Zielvorgabe, bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen? Gesagt beim Elektroautogipfel 2013 in Berlin. Perdu.

Nach dem Autogipfel sollte der Ministerpräsident einen Nahverkehrsgipfel in Angriff nehmen. Am besten am Morgen zur Rushhour. Dort sieht er in den überfüllten Bahnen wenig Politiker, dafür die Leute, die sich in Stuttgart keine Wohnung leisten können und deshalb in die Peripherie ziehen, um von dort täglich wieder in Stadt zur Arbeit zu pendeln. Wenn sie nicht, Schreck lass nach, mit ihrem Euro-5-Diesel antuckern. Aber das, sagt Kretschmann, soll auf dem Autogipfel ja kein Thema sein.