Minna Wündrich war unter Hasko Weber eines der prägenden Gesichter des Stuttgarter Schauspiels. Noch immer trauern viele Zuschauer ihr nach. Nun spielt sie in Düsseldorf – wieder in einem räumlichen Provisorium.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Düsseldorf - Die Bühne des Düsseldorfer Schauspiels sieht an diesem Abend aus wie ein Wasserrohrbruch in einer Kita. Knöcheltief waten die Schauspieler durch das Wasser, mal suhlen sie sich im Nass, mal wird der Konflikt zu einer epischen Wasserschlacht. Das Bühnenbild besteht aus Krabbeltunneln, die mal als Burg, mal als Pferd fungieren. Düster ist Simon Solbergs Inszenierung des „Käthchen von Heilbronn“. In einem Moment sind Taschenlampen vor den Gesichtern der Schauspieler die einzige Lichtquelle, im nächsten blitzt eine ganze Lichtwand im Hintergrund der Bühne auf. Nebelschwadenbilder wabern durch die Luft, und im geordneten Chaos des Stücks zeigt Minna Wündrich, dass die Rolle des weiblichen Bösewichts Kunigunde dankbarer ist als die des unschuldigen Käthchens, das etwas zu naiv über die Bühne spaziert.

 

Heinrich von Kleists 1810 uraufgeführtes Stück ist in vielerlei Hinsicht vor allem aus Stuttgarter Sicht spannend. Zum einen ist der Regisseur Simon Solberg mit seiner Inszenierung des „Urgötz“ am Stuttgarter Schauspiel nachhaltig in Erinnerung geblieben. Mit dem Stück eröffnete er im Herbst 2013 die Intendanz von Armin Petras in Stuttgart. Zum anderen zeigt Minna Wündrich als Kunigunde, warum sie in ihrer Zeit in Stuttgart zu den beliebtesten Gesichtern im Ensemble von Intendant Hasko Weber, Petras Vorgänger, gehörte.

Auf Kurzurlaub in Stuttgart wird Minna Wündrich angehimmelt

Minna Wündrich spielte fünf Jahre lang in Stuttgart. Wenn die gebürtige Bremerin heute auf Kurzurlaub durch ihre schwäbische Wahlheimat spaziert, kann es passieren, dass die Schauspielerin auf der Straße erkannt wird. So geschehen in der vergangenen Woche, verbunden mit einem „Wir vermissen Sie!“, einer deutlichen Liebeserklärung von sonst eher zurückhaltenden schwäbischen Theater-Ultras.

Nach einer Zwischenstation in Bochum spielt Wündrich seit dieser Spielzeit am Schauspiel in Düsseldorf. Die Situation des dortigen Schauspielhauses ist zu vergleichen mit der Hasko-Weber-Ära in Stuttgart, denn auch in Düsseldorf spielen Wündrich und Co. derzeit an einer Interimsspielstätte. Das Schauspielhaus wird saniert, die Ausweichspielstätte am Hauptbahnhof, das Central, wirkt wie eine Mischung aus der Türlenstraße und dem Nord, mit dem Unterschied, dass die Lage am Düsseldorfer Bahnhof das Publikum einem deutlich raueren Kontext aussetzt.

Gegen die Kälte, gegen das Wasser: das Theater in Düsseldorf ist ein sehr körperliches

Vor der Aufführung des „Käthchen von Heilbronn“, das in Düsseldorf noch bis Mitte Januar gespielt wird, verwandelt sich die 33-jährige Wündrich in der Maske in die Kunigunde. Heinrich von Kleist stellt Kunigunde in seinem 1808 fertig gestellten Stück als eine Frau dar, die bei ihrer eigenen Schönheit nachhelfen muss. Dieses hochmoderne Thema der Selbstoptimierung wird in Düsseldorf bis in die Haarspitzen transportiert. Minna Wündrich kriegt jede Menge Haare auf das eigene Haupthaar toupiert.

Nach dem Stück tauschen sich zwei ihrer Kollegen im zugigen Abgang zum Parkhaus über ihre Gebrechen aus. Einer lobt, dass die Medikamente, die er gegen seine Rückenleiden verschrieben bekommen hat, aktuell auch gegen seine Bronchitis helfen. Das Theater in Düsseldorf ist in dieser Spielzeit bisher ein sehr körperliches. Vor der Wasserschlacht im Central spielte das Ensemble in einem Zelt am Ende der edlen Königsallee, und zwar in Neoprenunterwäsche, weil es kalt wird im Herbst.

Der Düsseldorfer Oberbürgermeister stellt sein Theater gleich ganz infrage

Im „Käthchen“ tragen die Darsteller Neoprensocken, weil es nass ist. Minna Wündrich erzählt, wie wenig sie an diesem Abend gespürt hat, ob das Stück beim Publikum ankommt. „Normalerweise merkt man das nach wenigen Minuten, an diesem Abend aber gar nicht“, verrät sie, was vielleicht am Nebel mit Sichtweiten unter drei Metern lag, der sich zwischen Publikum und Schauspielern ausgebreitet hatte. Die Bravo-Rufe und das Getrampel des Publikums nach dem Stück kamen also einigermaßen überraschend für das Ensemble. Dass die große Bühne des Centrals aber nur halb gefüllt war, ist den Schauspielern ganz sicher nicht verborgen geblieben.

Es ist derzeit viel zu lesen über die große Krise des Schauspiels in Deutschland. Armin Petras steht in Stuttgart in der Kritik, dem Intendanten Matthias Lilienthal geht es an den Münchner Kammerspielen nicht viel besser. In Düsseldorf hat der schwäbische Oberbürgermeister Thomas Geisel, geboren in Ellwangen im Ostalbkreis, gleich das ganze Haus infrage gestellt. Der geschwungene Bau von Bernhard Pfau am Gustaf-Gründgens-Platz müsse nach der Sanierung nicht zwingend wieder als Theater genutzt werden. Vielleicht stünde der Stadt an dieser Stelle ein Kongresszentrum viel besser, philosophierte Geisel. Das Schauspiel könne man sich auch woanders vorstellen. Für diese Haltung bekam Geisel Mitte November bei einer Diskussion in der Ausweichspielstätte Central jede Menge Buhrufe als Antwort des Publikums.

Minna Wündrich wünscht sich, dass das Schauspiel selbstbewusster auftritt

Minna Wündrich versucht derweil, nach der Käthchen-Vorstellung in einem koreanischen Lokal mit dem landestypischen Namen Finanzämtche die Krise des Schauspiels in etwas Positives umzudeuten, wobei sie grundsätzlich bezweifelt, ob man wirklich von der großen Krise sprechen könne. „Wenn es sein muss, soll man es eben Krise nennen, weil das ja auch impliziert, dass sich etwas im Umbruch befindet. In Zeiten, in denen Theatern das Geld gekürzt wird oder ganze Häuser schließen müssen, ist es gut, die Zukunftsfähigkeit von Theater zu diskutieren“, sagt Wündrich. „Wenn mehr Menschen den Theaterbegriff hinterfragen, ohne dabei ständig Angst haben zu müssen, dass das klassische Schauspielertheater von der Performance verdrängt wird, hilft die Diskussion vielleicht wirklich weiter.“

Wündrich macht die Auseinandersetzung dabei gar nicht am Streit um bestimmte Intendanten fest, sondern sieht den Grund eher im inhaltlichen Wandel des Theaters begründet. „Es gibt eine Erweiterung der Mittel. Weil die Mittel neu sind, sind sie noch nicht so lesbar. Das Schauspielertheater wird aber sicher nicht an den Rand gedrängt.“ Im Gegenteil, während in der jüngeren Vergangenheit oft der Regisseur wichtiger als der Autor war, seien heute die Schauspieler mündiger. „Wir sind keine Vasen mehr, die es zu füllen gilt, sondern selbstbewusster. Das ,Käthchen‘ haben wir im Diskurs erarbeitet. Es war meine Entscheidung, welche psychologische Entwicklung ich bei Kunigunde zeige.“

Mit dem neuen Selbstverständnis der Schauspieler würde Wündrich gerne die Diskussion ums Theater angehen. „Ist es nicht an der Zeit, dass das Schauspiel selbstbewusster auftritt? Früher haben wir uns am Film und an anderen Kunstgattungen bedient, heute nehmen wir eine Vorreiterrolle ein.“ So schnell wird aus einer Krise eine Chance in Düsseldorf.