Gerd Schneider packt in seinem Debütfilm ein heißes Eisen an: den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Schade nur, dass er die Strukturen dahinter nicht beleuchtet.

Stuttgart - Oliver, Jakob und Dominik sind wie Brüder. Ihre Familie ist eine katholische Ordensgemeinschaft. Unter deren Fittichen wollen sie sich für andere einsetzen, Missstände lindern und – die moderne Kirche gibt das her – ganz weltlich Karriere machen. Oliver (Jan Messutat) geht in die Bistumsverwaltung, Jakob (Sebastian Blomberg) arbeitet als Gefängnisseelsorger, Dominik (noch vom Stuttgarter Schauspiel bekannt: Kai Schumann) leitet eine Gemeinde und kümmert sich um schwierige Teenager. Das Priesterdasein scheint sie zu erfüllen. Die Einsamkeit, die sich am Ende eines Arbeitstags in den kargen Dienstwohnungen breitmacht, nehmen sie in Kauf. Doch dann taucht während des Gottesdienstes die Kripo in der Kirche auf und nimmt Dominik in Gewahrsam.

 

In seinem Debüt „Verfehlung“ fasst der aus Stuttgart stammende Regisseur und Drehbuchautor Gerd Schneider ein heißes Eisen an: sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche. Zwar konstruiert er einen fiktiven Fall, stößt aber doch hinein in die öffentliche Debatte über die realen Verbrechen von Klerikern.

Kredit für den Theologen

Kredit für den Theologen

Bei solchen Themen lastet schnell der Anspruch auf Filmemachern, Anwälte der Opfer zu sein. Damit wächst die Gefahr, dass die filmische Auseinandersetzung zu banal oder zu sensationswütig oder gar zu einer Mischung aus beidem gerät. Das muss nicht sein. Christoph Röhl, der in seinem Fernsehspiel „Die Auserwählten“ die Missbrauchsserie an der Odenwaldschule verarbeitet hat, bekam sogar von ehemaligen Schülern des Internats positive Rückmeldungen. Und auch Gerd Schneider hat man vorab viel Kredit gegeben. Als studierter Theologe und ehemaliger Priesteramtskandidat schien er prädestiniert für die filmische Aufklärungsarbeit zu sein.

Seine Figuren legt Schneider als Grundtypen an. Im Zentrum der in Stuttgart gedrehten Geschichte steht nicht Dominik, der Täter, sondern dessen bester Freund Jakob. Aus Loyalität schenkt Jakob den halbherzigen Beteuerungen von Dominik, er habe sich nicht an Jungen vergangen, Glauben. Als Jakob aber Zweifel überkommen, versucht er, das Richtige zu tun. Sein Antipode ist Oliver, der Dominiks Verbrechen als lässliche Sünde hinnimmt und vor allem das Ansehen der Kirche schützen will. „Eine Mutter schlägt man nicht“, ermahnt er Jakob, als der ihm ins Gewissen redet, die Sache nicht weiter zu vertuschen.

Bloß niemandem unrecht tun

Anhand dieses Dreiecksverhältnisses versucht Schneider, Umgangsweisen mit moralischer und juristischer Schuld darzustellen. Seine Figuren entwickeln sich dabei jedoch nicht zu plastischen, mit individuellen Motiven ausgestatteten Charakteren, sondern zu Schablonen. Fast scheint es, als wolle die Regie keine Risiken eingehen und ja niemandem unrecht tun.

Durch Jakobs Augen zeigt Schneider, wie die Jungen und deren Familien leiden und wie das Vertrauen in die Geistlichen nachhaltig zerstört wird. Auf der anderen Seite versucht er, die Täterrolle aufzubrechen und differenziert zu betrachten. Das ist zwar fair, wird aber doch problematisch, weil der Regisseur dabei Dominiks Selbstwahrnehmung fast ungebrochen gelten lässt. Dominik sieht sich als einsamen, die Jungen aufrichtig Liebenden. Diese Wahrnehmungsverzerrung reflektiert weder die Figur selbst noch sein Regisseur.

Der Zwang zum Zölibat

Eine Leserin von „epd film“ äußerte ihre Wut über diese Darstellung, nachzulesen in der Online-Ausgabe des Magazins: „Wer hat etwas davon, Missbraucherpriester auf fast schon rührende Weise als nach Zuneigung dürstende, emotionale Mängelwesen darzustellen? Und die Protagonisten aussehen zu lassen wie frisch den Vatikan-Pirelli-Kalendern entsprungen, gemacht für Leute, die auf hübsche Männer stehen?“

Zölibat und strikte Sexualmoral

In „Verfehlung“ geht es vor allem um einen Einzeltäter. Das System Kirche mit seinem Zwang zum Zölibat und seinen sexualfeindlichen Moralvorschriften stellt der Film nicht in Frage. Pedro Almodóvar bewies in „La Mala Educación – Schlechte Erziehung“ (2004) mehr Mut und setzte sich furios mit der systematischen Gewalt innerhalb der Kirche auseinander – und mit der Frage künstlerischer Aufarbeitung. „Schlechte Erziehung“ gelingt, weil der Regisseur seine Erzählung nicht auf bestimmte Aspekte begrenzt, sondern im Gegenteil alles für möglich hält. So viel freien Geist wagt „Verfehlung“ leider nicht.

Verfehlung. Deutschland 2015. Regie: Gerd Schneider. Mit Sebastian Blomberg, Kai Schumann, Jan Messutat, Valerie Koch. 95 Minuten. Ab 12 Jahren.