Kardinal Keith O’Brien sollte Großbritannien bei den Papstwahlen vertreten – daraus wird nichts: Das Kirchoberhaupt soll sich jungen Priestern gegenüber „unangemessen“ verhalten haben.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Rom - Kardinal Keith O’Brien freute sich auf seine Reise nach Rom. Stolz hielt er vorige Woche seinen Stimmzettel für die Papstwahl in die Kameras. Am Montag blies der Würdenträger die Reise überraschend ab – und erklärte seinen sofortigen Rücktritt als Oberhaupt der schottischen Katholiken. Ihm wird „unangemessenes“ Verhalten gegenüber jungen Priestern vorgeworfen. Aus Großbritannien wird deshalb lediglich Westminsters Kardinal Cormac Murphy-O’Connor zur Papstwahl anreisen. Murphy-O’Connor darf allerdings nicht mit abstimmen, weil er die achtzig bereits überschritten hat. Mit diesem Blitzabgang schockte der ranghöchste katholische Geistliche der Britischen Inseln seine Schäflein. Als am Sonntag die Londoner Zeitung „Observer“ in der Vergangenheit des 74-Jährigen rührte, und schwere Vorwürfe gegen den Kardinal ans Tageslicht förderte, hatte O’Brien noch alles abgestritten. Zur Messe in der St.-Mary’s-Kathedrale von Edinburgh aber war er, zur Überraschung seiner Gemeinde, dann allerdings nicht erschienen. Und am Montag gab er seinen sofortigen Rücktritt bekannt und ließ die Welt wissen, dass er nicht zum Konklave reisen werde. „Ich will nicht, dass die Medien in Rom sich mit mir beschäftigen, anstatt mit Papst Benedikt XVI. und seinem Nachfolger“, sagt er. Zwar wollte der Kardinal auch gestern zu den Anschuldigungen gegen ihn nicht direkt Stellung nehmen, sagte aber, er „bitte all die um Verzeihung, gegen die ich mich versündigt habe, denen ich zu nahe getreten bin.“ Zu nahe getreten war Keith O’Brien als Seminarleiter und später als Bischof mindestens vier seiner Seminaristen in den achtziger Jahren – so man der Darstellung der Betreffenden Glauben schenkt. Die vier hatten beim Vatikan Klage gegen den Kardinal eingelegt. Drei von ihnen waren noch amtierende Priester. Der Vierte von ihnen hatte seine Priesterwürde bereits 1985 niedergelegt – aus Protest gegen O’Briens Ernennung zum Bischof, wie er heute sagt. In Kirchenkreisen war damals gemunkelt worden, er habe heiraten wollen und deswegen sein Amt abgegeben. Alle vier warfen dem Kardinal vor, ihnen seinerzeit sexuelle Avancen gemacht und sie zu Intimitäten aufgefordert zu haben.

 

„Ungehöriges Verhalten“ vom Kirchenführer abverlangt

Als Inhaber einer klaren Machtposition habe O’Brien sich den jungen Seminaristen wiederholt genähert, war der Tenor der Klagen. Nach dem Abendgebet oder auch nach dem einen oder anderen Umtrunk habe der spätere Kirchenführer ihnen „ungehöriges Verhalten“ abverlangt. Zu einem „wochenlangen Kontakt“ sei es in seinem Falle gekommen, beteuerte einer der Priester. Im Vatikan wurde das vom Nuntius übermittelte Zeugnis offenbar ernst genommen. Die vier Männer, erklärte der Nuntius laut „Observer“ in einer Botschaft, hätten mit der Vorlage ihrer Deklaration großen Mut bewiesen. Der Skandal erregt besonders großes Aufsehen, weil O’Brien in der Vergangenheit leidenschaftlich gegen Homosexualität gewettert hatte. Unter anderem hatte er verkündet, gleichgeschlechtliche Partnerschaften seien „dem körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefinden abträglich“, und Homo-Ehen seien „eine groteske Untergrabung eines universell akzeptierten Menschenrechts“.

Papst Benedikt XVI. hatte sich in den vergangenen acht Jahren auf dem Heiligen Stuhl mit Missbrauchsfällen in vielen Ländern der Welt, darunter in Katholiken-Hochburgen wie Irland und Malta und auch in seiner Heimat Deutschland, auseinandersetzen müssen. Zuletzt waren Gerüchte aufgekommen, ein geheimer Bericht über das wahre Ausmaß der sogenannten Vatileaks-Affäre habe neue Ungeheuerlichkeiten aus dem Vatikan zu Tage gefördert – Sex, Korruption und homosexuelle Beziehungen. Aus jenem Vatikan, der für Joseph Ratzinger fast 40 Jahre lang das geistliche und private Zuhause zugleich gewesen ist. Dies soll sogar ein Grund für den Rücktritt Benedikts gewesen sein. Der Vatikan dementierte die Enthüllungen der Zeitung „La Republicca“ in ungewöhnlich scharfer Form.