Um die Missbrauchsfälle in den Kinderheimen der Brüdergemeinde aufzuarbeiten, sind nun die Wissenschaftler gefragt. Doch noch ehe diese ihre Arbeit aufnehmen, wird die Frage laut, ob es nicht doch eines Verantwortlichen für den Prozess bedarf.

Korntal-Münchingen - Eigentlich, so schien es, habe die Aufarbeitung des Missbrauchskandals in den Korntaler Kinderheimen eine Struktur. Doch nun wird hinter den Kulissen erneut darum gerungen, wie die Fälle von psychischer und physischer Gewalt aufzuarbeiten sind. Denn Detlev Zander hat offenbar Vorstellungen, die dem Konzept der Landshuter Wissenschaftlerin Mechthild Wolff widersprechen. Zander, selbst Missbrauchsopfer, hatte die Vorfälle vor bald zwei Jahren publik gemacht.

 

Seiner Meinung nach bedürfe es weiterhin einer gesamtverantwortlichen Person, vor der „die Brüdergemeinde Respekt hat“. Wolff sieht diese Notwendigkeit nicht. Doch Zander befürchtet, dass andernfalls „die Brüdergemeinde einzelne Bausteine des Projekts in die Hand nimmt“.

Wolff will die Gesamtverantwortung abgeben

Anlass für die Irritationen ist die Ankündigung Wolffs, die Gesamtverantwortung für den Aufarbeitungsprozess abzugeben. Sie erklärte damit das Aus der mit Vertretern der Betroffenen und der Brüdergemeinde besetzten Steuerungsgruppe, da diese ihre Aufgabe, das Gesamtprojekt zu konzipieren, erledigt habe. Zudem verwies sie darauf, sich auf die Verantwortung für den wissenschaftlichen Teilbereich konzentrieren zu wollen. So will sie die Unabhängigkeit der Wissenschaft sicherstellen, zumal mit der Brüdergemeinde auch über Anerkennungsleistungen diskutiert werden müsse.

Wissenschaftler und Juristen aus Köln, Berlin und Landshut sollen die Teilbereiche wie die historische Aufarbeitung, die juristische Bewertung und die Prävention mit den Betroffenen bearbeiten. Anders als Zander will Wolff diese Teilprojekte damit auch in die Verantwortung der Fachleute geben.

Detlev Zander hat sich in Hamburg informiert

Doch Zander interpretiert auch das Aus der Steuerungsgruppe völlig anders. Dieser Schnitt sei richtig gewesen, sagt er zwar. Nun aber werde für die Betroffenen die Verantwortung größer. „Der Spielraum ist größer. Aber man ist auch mehr gefordert“, stellt das ehemalige Mitglied des Gremiums fest. Er und seine Mitstreiter waren deshalb in den vergangenen Wochen nach Hamburg gereist, um sich über andere Aufarbeitungsprozesse zu informieren. Auch in der Nordkirche hatte es Missbrauchsfälle gegeben. Zander hatte dort das Gespräch mit dem Präventionsbeauftragten der Hamburger Kirchenkreise, Rainer Kluck, gesucht.

Zanders Schlussfolgerung: in Korntal müssen neue Gremien geschaffen und weitere Experten hinzugezogen werden, um den Gesamtprozess zu steuern. Geht es nach Mechthild Wolff ist das aber nicht nötig. Neben der klaren Abtrennung der wissenschaftlichen Aufarbeitung plädiert sie zwar weiterhin für einen Mediator, der die zerstrittenen Betroffenen zusammenbringen müsse. Aber „alle weiteren Themen, die Bestandteil des Aufarbeitungsprojekts sind, gehen in dem wissenschaftlichen Projekt auf und werden dort bearbeitet in Workshops, zu denen wir jeweils offen einladen werden“.

Es gab Friktionen unter den Betroffenen

Auch wegen der Friktionen der ehemaligen Heimkinder untereinander waren die Betroffenen-Vertreter in der Steuerungsgruppe zuletzt massiv von ihresgleichen kritisiert worden. „Frau Wolff hat immer eine Krisenintervention machen müssen“, sagt Zander rückblickend. Kritiker waren vor allem jene Betroffenen, die sich inzwischen in der Arbeitsgemeinschaft Heimopfer Korntal zusammengeschlossen haben.

„Es ist ruhig geworden“, sagt deren Sprecher Ulrich Scheuffele über den Streit. Dass auch zum Fortgang der Aufarbeitung nichts zu hören sei, wundert ihn. „Man hängt in der Luft.“ Das nächste Treffen der ehemaligen Steuerungsgruppenmitglieder ist für Februar vorgesehen. Geplant ist, Bilanz zu ziehen und die Strukturen für die weitere Aufarbeitung zu präziseren.