Mit Innovationen will Siemens den Chinesen Paroli bieten. Der fehlende wissenschaftliche Nachwuchs bereitet Vorstandschef Löscher Sorge.

Stuttgart - Der Mann an der Schranke bibbert vor Kälte. „Hoffentlich funktioniert sie“, murmelt er in seinen dicken Schal hinein. Er muss den Gästen Parkplätze zuweisen. Es kommen viele Gäste an diesem Montagmorgen. Denn bei Siemens in Stuttgart herrscht eine Art Ausnahmezustand. Sicherheitspersonal tummelt sich in den Gängen der Niederlassung. Der gesamte Vorstand des Technologiekonzerns hat sich für zwei Tag in der Schwabenmetropole zum Quartalstreffen versammelt. Es ist das erste Treffen dieser Art in Stuttgart. Es wird dabei wohl über Strategie geredet, Zahlen werden gewälzt. Heute Vormittag stellt sich Siemens-Chef Peter Löscher den Fragen der Mitarbeiter.

 

Quartalsverlust bei Windenergie

Auch regenerative Energien dürften auf der Tagesordnung stehen. Viel Freude machen die Geschäfte derzeit wohl nicht. Der Münchner Technologiekonzern hat im ersten Geschäftsquartal in diesem Bereich erstmals einen Verlust von 48 Millionen Euro verbuchen müssen. Auch Bosch hat Sorgen mit dem Geschäft der Regenerativen – und im vergangenen Jahr auf die Solarsparte 500 Millionen Euro abgeschrieben. Entmutigen lässt sich Löscher davon aber nicht. „Siemens steht zur Windenergie“, versichert der Chef des Technologiekonzerns. Dabei verweist er auf die herausragende Stellung des Konzerns im Off-Shore-Bereich, also der Windkraft auf See. Selbst die zunehmende Konkurrenz aus China kann ihn nicht schrecken. „Wir können immer noch eines draufsetzen“, sagt er salopp. Innovationen meint er damit.

Meerwind Süd und Meerwind Ost heißen Projekte, die Siemens für sich ergattert hat. Es sind Aufträge für insgesamt 80 Windenergieanlagen, die 2013 in Betrieb genommen werden sollen. Bei der Elektromobilität kann der Konzern solche Erfolge noch nicht vermelden. Vor etwa fünf Jahren ist Siemens mit dem Verkauf von VDO aus dem Geschäft als Autozulieferer ausgestiegen. Jetzt steigt man quasi wieder ein. Siemens will Komponenten für Elektroautos bauen. So wollen die Münchner gemeinsam mit Volvo Motoren für Elektroautos bauen. Ende des Jahres sollen Testserien von 200 Fahrzeugen zunächst für die betriebsinterne Siemens-Flotte zur Verfügung stehen. Löscher ist offen für weitere Kooperationspartner. „Wir haben die weltweite Autoindustrie im Blick“, versichert er. Es gebe keine Ausschlusskriterien. Auch die Infrastruktur rund um das Elektroauto ist sein Thema – etwa Abrechnungssysteme, Antriebssysteme sowie die Steuerung von Autobatterien beim Befüllen und beim Entleeren. Löscher ist überzeugt von dem neuen Antrieb. Eine Prognose wagt er nicht. Er will sich nicht mal zu dem Ziel der Bundesregierung äußern, dass bis 2020 eine Million E-Autos auf deutschen Straßen fahren sollen. Nur so viel: „In 95 Prozent der Fälle wurden in der Vergangenheit Innovationsmärkte unterschätzt“, sagt er.

28 000 Entwickler in Deutschland

28 000 Forscher und Entwickler sind für Siemens weltweit tätig, knapp 12 000 davon in Deutschland und 1500 davon in Baden-Württemberg. 3,9 Milliarden Euro werden weltweit pro Jahr in Forschung und Entwicklung investiert. Die deutsche Energiewende ist ein Innovationsmotor, sagt der Siemens-Chef zuversichtlich voraus. Sie werde auch dem Industriestandort einen Schub verleihen. Nicht nur mit Wind und beim Auto, sondern auch in Gebäuden. Bei einem optimalen Zusammenspiel von Heizung, Klimagerät und Isolation könnten an einem Gebäude bis zu 40 Prozent Energie eingespart werden, rechnet Rudolf Martin Siegers, der Leiter von Siemens Deutschland vor.

Sorge bereitet Löscher allerdings der Nachschub an Fachkräften. Ende Januar hatte Siemens deutschlandweit 3400 offene Stellen. 80 Prozent davon entfielen auf Hochschulabsolventen, zum großen Teil auf Ingenieure. Löscher beklagt, dass immer noch zu wenig Frauen sich für einen technischen Beruf entscheiden. 21 Prozent der Beschäftigten bei Siemens in Deutschland sind weiblich, bei den Neueinstellungen liegt der Frauenanteil mit 24 Prozent auch nur knapp darüber. Auch bei Siemens hat die Mehrzahl der Frauen einen nicht-technischen Beruf.

Um die Not zu lindern, engagiert sich Siemens selbst stärker in der Ausbildung. So wurde an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim das Studienfach Energieeffizienz eingerichtet. Siemens, so ist zu hören, unterstützt diesen Studiengang in den nächsten drei Jahren mit zusammen drei Millionen Euro. 18 Studierende haben im Herbst die Ausbildung begonnen, 14 davon von den Münchnern.