Die Mobilitätsplattform Moovel hatte rund um den Auftritt von Woodkid im Hegelsaal der Liederhalle einen mustergültigen Hype kreiert. Und das Konzert des Künstlers konnte mithalten.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Freitag der 13., Valentinstag und Fasching: Stuttgart muss derzeit so einiges verkraften. Zum Zustand allgemeiner Aufregung passte der Auftritt des Künstlers Woodkid am Samstag im Hegelsaal der Liederhalle ganz vorzüglich. Die Mobilitätsplattform Moovel des Stuttgarter Autobauers Daimler hatte es in den Tagen vor dem Konzert geschafft, einen mustergültigen Hype zu kreieren. Karten für den Auftritt konnte man nicht kaufen, sondern nur gewinnen, indem man sich bei der Moovel-App registrierte. Den Ort des Konzerts erfuhren nur die glücklichen Gewinner der Karten.

 

Nun kann man vom Versuch Daimlers, sich durch einen der zeitgeistigsten Künstler dieser Tage ein wenig Streetcredibility bei der Zielgruppe zu besorgen, die Autos mittlerweile eher doofe findet, zurecht wenig halten. Bei aller Distanz zum gekauften Künstler muss man aber auch neidlos anerkennen, dass es sich bei der musikalischen Huldigung des Carsharings um das bisher beste Konzert des Jahres in Stuttgart gehandelt hat.

Selbst Valentinstag-Pärchen stören nicht

Der sakrale Grundton, die opulente Orchestrierung, die wirklich aufwendige Licht- und Videoshow – voll Laser, wie der abging, möchte man beinahe sagen –, die Interaktion von Woodkid mit dem Publikum, die eine Art Fortführung des Social-Media-Hypes mit analogen Mitteln war, all das sorgte für einen rundum gelungenen Konzertabend. Sieht man einmal von den vielen provozierend-romantisch knutschenden Valentinstag-Pärchen und der grotesk schlechten Gastronomie, scheinbar wurden in der Liederhalle zum ersten Mal Getränke verkauft und Pfand zurückgenommen, gnädig ab.

Beinahe konnte man bei der Zugabe Angst um die ehrwürdige Liederhalle haben: Dass Zweitausend Konzertbesucher gleichzeitig im Hegelsaal vor Freude springen und die Strahler ein gleißendes Licht zaubern, dass man mindestens bis auf die Schwäbische Alb hat sehen können, ist mit den Brandschutz- und Statikbestimmungen der Landeshauptstadt eigentlich nicht zu vereinbaren. Das Baurechtsamt hätte im Angesicht von Woodkids Show einen kollektiven Herzkasper bekommen.

Die Oberstudienrat-Gazette Die Zeit nennt Woodkid gewohnt bedeutungsschwanger „Des Zeitgeists Hauskomponist, der Blut und Eisen für die Großstadtjugend liefert“. Tatsächlich können sich alle Hipster, egal durch welchen Musikstil sozialisiert, auf Woodkid, bürgerlich Yoann Lemoine einigen. Die kraftvolle musikalische Inszenierung erinnerte stellenweise an einen Carl Orff, der im Zeitalter des Digitalen eine Modenschau für Dior orchestriert.

Woodkid kommt eigentlich aus der Werbung

Das mag daran liegen, dass Woodkid Dior tatsächlich zu einer Kollektion inspiriert hat. Der Künstler kommt ursprünglich aus der Werbung, hat sich als Regisseur von Musikvideos von Popstars wie Moby, Kate Perry oder Lana Del Rey hervorgetan, ehe er sich selbst als Musiker versuchte. Mit Iron lieferte er 2011 den Konsens-Hipster-Hit. Böse Zungen behaupten, dass er seitdem ein musikalisches Thema zigfach variiert und live in eine Lichtsprache taucht, die am besten mit 50 Shades of black'n'blue umschrieben ist. Farbe, nein danke, und wenn dann muss es monochrom sein.

Selbst wenn die Musik tatsächlich an Variation etwas vermissen lässt, musste man vor Woodkid in der Liederhalle den Hut oder zum Publikum besser passend die Beanie oder Truckercap ziehen: Hier wollte einer nicht nur ordentlich Euro vom Automobilkonzern absahnen, hier hatte einer Lust auf eine amtliche Darbietung mit – im wahrsten Sinne – Pauken und Trompeten, wurde Woodkid doch von drei Bläsern, zwei Percussionisten, einem Keyboarder und einem Multiinstrumentalisten verstärkt, der situativ Schlagwerk oder Tasten verstärkte.

Was springt für Daimler dabei raus?

Inwieweit ein solches Konzert am Ende auch für die Automobilmarke messbaren Erfolg darstellt, ist eine Frage, die ähnlich spannend ist wie der Auftritt des Künstlers in der Liederhalle selbst. Zumal sich die Konzerte häufen, in denen sich Autofirmen Popkünstler vor die Karre, Pardon vor den Karren spannen. Das Ziel ist immer dasselbe: Besonders aktive Vertreter der digitalen Generation, im schrecklichen Marketingsprech „Influencer“ genannt, was ein wenig nach Grippe klingt, aber Persönlichkeiten meint, die Einfluss auf die Meinung der Allgemeinheit haben, sollen ihre Freunde und Follower von der Qualität einer Marke überzeugen. Vor wenigen Wochen trat der Hamburger Sänger Jan Delay in den Wagenhallen auf, um die frohe Fiat-Botschaft zu verkünden. Damals durften 500 Auserwählte dem nasalen Werk des Beginner-Frontmanns lauschen. Wie viele Konzertbesucher sich nach dem Delay-Auftritt einen italienischen Kleinwagen gekauft haben, ist nicht bekannt. Wer sich aber um Tickets bemüht hatte, bekommt seitdem immerhin aufschlussreiche Produktinformationen aus Turin.

„Die Fiat-Aktion fand ich nicht sehr glaubwürdig, wie gehören da Künstler und Marke zusammen? Bei Woodkid und Moovel passt es irgendwie besser“, sagte Jens Kenserski, Macher der Ludwigsburger Agentur Pulsmacher am Rande des Woodkid-Konzerts. Woodkid ist Werbers Liebling, klar, dass da viele Agenturmenschen im Publikum anzutreffen sind. Wie groß der Erfolg des Konzerts für die Mobilitätsplattform von Daimler am Ende ist, vermag auch Experte Kenserski nicht einzuschätzen.

Sicher ist: Der Großteil des Publikum war ohnehin schon Moovel-Kunde. Konzertbesucher Felix Löchel zum Beispiel bezeichnet sich selbst als Hardcore-Car2go-User. „Wir wollten uns ein Auto kaufen, haben dann aber wegen der neuen Carsharing-Möglichkeiten davon abgesehen, weil es für uns in der Stadt so einfach viel günstiger ist.“ Löchel arbeitet als Cutter, schneidet also Filme und Videos, und liebt Woodkid wegen seiner epischen Bildsprache, genauso wie Begleitung Isabella Hoffmann, die als Retuscheur in einer Agentur beschäftigt ist.

Peter Lang, der das Konzert mit seinem Partner Michael Kleiber besucht hat und für den Auftritt extra aus dem Südschwarzwald angereist war, hatte sich dagegen erst für Woodkid bei Moovel angemeldet. „Wir werden das Angebot jetzt mit Sicherheit einmal ausprobieren.“ Judith Sauter und Olga Hoffart waren schon vor Konzertbeginn von der Aktion sehr angetan – aus gutem Grunde, arbeiten beide doch bei Daimler. „Der Künstler passt perfekt zu dem Segment, das wir erobern wollen“, so Sauter. Ein Indie-Künstler, der Daimler-Arbeitsplätze sichern soll – auch das ist die Realität 2015.

Berliner Platz voll mit Car2go-Flotte

Am Samstagabend war die Eroberung auf jeden Fall geglückt: Zwischen 20 Uhr, dem angekündigten Konzertbeginn und dem Konzertende gegen 23 Uhr dürfte sich die gesamte Car2go-Flotte Stuttgarts auf den Berliner Platz konzentriert haben. Woodkid selbst begann sein Konzert übrigens erst um 21.20 Uhr – hatte er sich etwa von der Moovel-App leiten lassen und sich verfahren?

„Ich fände es überhaupt nicht gut, wenn die mit dieser Aktion Erfolg hätten, es ist jetzt schon schwer genug, ein Car2go zu bekommen“, sagte Axel Steinbeck, Betreiber des Clubs Schräglage, augenzwinkernd während des Konzerts. Steinbeck hatte kürzlich selbst die Band Deichkind in seinem Club auftreten lassen. Karten wurden nicht verkauft, sondern nur verlost. Der Gig wurde werbewirksam als „das kleinste Konzert der Welt“ verpackt. „Das ordentlich inszenierte Geheimkonzert generiert natürlich jede Menge Aufmerksamkeit.“

Kai Thomas Geiger, Blogger, Roman-Autor und Werbeprofi, fand den Auftritt musikalisch genial. „So ein Auftritt ist der Versuch, eine Marke spürbar zu machen. Es reicht heute halt nicht mehr, wenn sich der Kunde einfach in ein Car2go setzt.“ Wie nachhaltig eine solche Aktion ist, vermag auch Geiger nicht zu beurteilen: „Die Timelines von Facebook und Instagram waren am Samstag zwar voll mit Woodkid, allerdings hat kaum ein User den Hashtag Moovel verwendet, also den Bezug zum Veranstalter hergestellt.“

Sicher ist in jedem Fall: Moovel hat sich die Aktion einiges kosten lassen. Seit einigen Monaten drückt die Plattform aufs Gaspedal, um den Anschluss an die Generation Carsharing nicht zu verlieren. Weltmeister Sami Khedira durfte in einer Kampagne neben anderen Prominenten erklären, was ihn bewegt. Julia Schwarz, Sprecherin von Moovel, wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern, welche Agentur an der neuen Sichtbarkeit Schuld ist. Nach Informationen der StZ handelt es sich aber um den Branchenriesen AKQA mit Sitz in London und San Francisco.

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