Der Kampf gegen Schmierereien mit Porzellan-Malkunst funktioniert seit mehr als fünf Jahren. Die bezauberndste Art Graffiti zu bekämpfen.

Ludwigsburg - Es ist ein Moment wie im Märchen. Sei der Tag noch so grau, hier wird er bunt: Beim Vorbeifahren an einer Stützmauer in der Ludwigsburger Kurfürstenstraße und der Talallee bleibt der Blick an Vögeln mit filigranem Federwerk, Blüten und Schmetterlingen hängen. Auch gut fünf Jahre nach seiner Entstehung leuchtet das Kunstwerk auf 147 Metern von der Wand – und hat bisher Schmierfinke und Graffitisprayer abgehalten. Aus diesem Grund ist es einst entstanden.

 

147 Meter Barockkunst übertreffen 80 Meter Graffito

Es ist ein Werk, das in seiner Dimension das größte neu entdeckte Graffito in Ludwigsburg übertrifft. Eine 80 Meter lange ungebetene Wandmalerei in Grün, Gelb und Braun wurde in der Weststadt am Parkplatz der Lighthouse Church entdeckt, in einer abgelegenen Gegend, was ungewöhnlich ist. „Sprayer wollen, dass ihre Werke gesehen werden“, sagt Peter Widenhorn, Sprecher der Polizei Ludwigsburg. „Sie wollen Ruhm in der Szene erlangen.“ Und: „Wo eine Schmiererei ist, kommen oft andere dazu.“ Deshalb arbeitet die Polizei eng mit den technischen Diensten der Stadt zusammen. Die Philosophie: „Wir entfernen Schmierereien, die uns bekannt werden, innerhalb von 24 Stunden“, sagt der Fachbereichsleiter Hans-Jürgen Schroff. Dafür wurde ein Graffiti-Beauftragter angestellt, der im Jahr im Schnitt 1600 Stunden Wände reinigt und übermalt.

Dass in der Weststadt mehr Graffitis dazu kommen, befürchtet zwar auch der Pastor der Lighthouse Church, Karl-Heinz Günther. Aber „ich bin mir noch gar nicht so sicher, ob wir das Werk entfernen lassen“. Eigentlich fänden es nämlich die meisten Betrachter schöner als die graue Wand zuvor. Auf der Facebook-Seite „Ludwigsburg 07141“ kommentiert Alexandra Marzaro: „Find das super gut gemacht!!! Besser als diese mausgrauen Betonteile.“ Und Nicole Os meint: „Gebt den Sprayern mehr solcher Wände in Auftrag. So wäre die Stadt wenigstens schön bunt, die Sprayer hätten ihren Spaß und alles ist gut!“

Auch in der Unterführung unter der Keplerbrücke wirkt Barock-Kunst

In den 90er Jahren hatte die Stadt Ludwigsburg die Stützmauer in der Kurfürstenstraße und der Talallee für Graffiti-Künstler freigegeben. Über die Jahre sind deren Werke aber verwittert. Farbe und Mauerwerk platzen ab. Schmierereien kamen hinzu. So kam die Stadt auf die Idee, dem verwahrlosten Zustand etwas Schönes entgegenzusetzen – das einzigartige barocken Graffiti, das die ehemalige Porzellanmaler der Schlossmanufaktur, Stefan Scholpp und Heike Faber, umgesetzt haben. Aber nicht nur dort funktioniert es, mit zauberhaften und nahezu kitschigen Motiven Sprayer fernzuhalten. In der Unterführung unter der Keplerbrücke blühen zum Beispiel zu jeder Jahreszeit Rosen, Sonnenblumen und Iris auf dem Beton. Schmetterlinge flattern dazu umher. Nicht einmal ein ungewollter Schriftzug findet sich hier an den Wänden, die nachts einsam und uneinsichtig sind.

Mehr als 50 Prozent weniger Wandschmierereien

Generell seien illegale Graffiti und Wandschmierereien aber ein stark rückläufiges Problem in der Stadt, bilanziert der Polizeisprecher Widenhorn. Und wenn, seien Hauswände und Verteilerkästen betroffen. Im Jahr 2015 wurden noch 173 Fälle bei der Polizei gemeldet, im vergangenen Jahr waren es nur noch 82 – weniger als die Hälfte. Die Aufklärungsquote ist indes gering: 2016 lag sie bei 7,3 Prozent. Wird ein Sprayer erwischt, muss er sein Werk selbst entfernen. Womöglich hat jener Sprüher, der das 80 Meter lange Werk in der Weststadt an die Wand gebracht hat, aus diesem Grund kein sogenanntes Tag – also ein Künstler-Kürzel – hinterlassen.