Bei der Räumungsaktion im Schlossgarten sollen laut Polizei 100 Menschen verletzt worden sein. Parkschützer berichten von viel mehr Verletzten.

Stuttgart - Für Stuttgart 21 werden in der Nacht zum Freitag die ersten Bäume gefällt. Dies kündigte Polizeipräsident Siegfried Stumpf am Donnerstag in Stuttgart an. Die ersten Fällarbeiten sollen bis Samstag dauern. Danach werde das Baulager durch einen Zaun abgesperrt.

Mit einem Großaufgebot hatte die Polizei am Donnerstagvormittag damit begonnen, den Schlossgarten abzusperren. Entlang der Außenzonen werden Absperrgitter in Richtung Hauptbahnhof aufgebaut. Auch die Bundespolizei und Beamte aus anderen Bundesländern seien im Einsatz, teilte das Polizeipräsidium Stuttgart mit. Parkschützer kündigten massive Proteste und Widerstandsaktionen an. Die Atmosphäre ist aufgeheizt, es sei zu Rangeleien gekommen, berichteten Augenzeugen. Außerdem hat die Polizei Wasserwerfer eingesetzt. Schüler, die für den heutigen Donnerstag zu einer Kundgebung aufgerufen hatten, versammelten sich in der Nähe des Biergartens im mittleren Schlossgarten und bildeten eine Sitzblockade. Eine Reiterstaffel umkreiste die Schüler.

"Dann kann die Polizei auch mal hinlangen"


Nach Angaben eines Sprechers der Parkschützer versammelten sich mindestens 3000 bis 4000 Menschen im Schlosspark, die Polizei sprach von 1000 bis 2000. Ein Polizeisprecher erklärte, die Beamten versuchten, "eine Gitterlinie" aufzustellen, um die Bauarbeiten zu sichern. Die Zufahrt werde von "Hunderten von Menschen" blockiert, die zum Teil auch Polizisten bedrängten. Die Beamten müssten jetzt mit sehr vielen Kräften den Weg frei räumen. Dafür seien Wasserwerfer und Polizeireiter im Einsatz. Ob dabei auch Schlagstöcke verwendet wurden, konnte er nicht sagen. "Es wird unmittelbarer Zwang angewandt", sagte er lediglich. Der Sprecher verteidigte das Vorgehen der Polizei. Wenn die Demonstranten sich nicht rechtlich einwandfrei verhielten, "dann kann die Polizei auch mal hinlangen", betonte er.

Nach Angaben der Parkschützer setzte die Polizei auch Reizgas ein. Mindestens 50 Demonstranten, darunter Kinder und ein Baby, seien dadurch an den Augen verletzt worden, sagte ein Sprecher der Parkschützer. Bis zum frühen Nachmittag seien zudem neun Nasenbrüche durch Polizeigewalt gegen Demonstranten gezählt worden. "Die schlagen richtig zu, mit Schlagstöcken, aber auch mit der Faust." Der Sprecher fügte hinzu: "Das sind wirklich bürgerkriegsähnliche Zustände." Die Demonstranten verhielten sich aber weiterhin friedlich. Nach seinen Informationen sei der Protest bislang gewaltfrei geblieben.

Demonstranten betonierten sich ein


Im Bereich des Biergartens ein Versorgungszentrum für verletzte und ausgekühlte Demonstranten eingerichtet worden. Augenärzte behandeln diejenigen, die vom Reizgas getroffen worden sind. Außerdem liegen Decken bereit. Nach wie vor hat die Polizei Wasserwerfer im Einsatz. Mehrere Hundert Demonstranten seien wegen Augenverletzungen behandelt worden, teilten die Projektgegner mit. Die Krankenhäuser in Stuttgart seien überlastet. Insgesamt hätten bis zum späten Nachmittag etwa 1000 Menschen Augenverletzungen erlitten. Hinzu kämen etliche Prellungen, Platzwunden, Verletzungen an Bändern und andere Verletzungen. Bei einer minderjährigen Demonstrantin sei eine Gehirnerschütterung festgestellt worden. Die Polizei sei mit Reizgas, Schlagstöcken und Tritten gegen die "friedlichen" Demonstranten vorgegangen. Die Polizei spricht hingegen von 90 Verletzten. Zehn davon müssten stationär behandelt werden.

"Die Polizei ist extrem aggressiv", kritisierte eine Sprecherin der Demonstranten. Ein Polizeisprecher sagte, er könne zur Zahl der Verletzten keine Angaben machen. Er mahnte aber zur Vorsicht im Umgang mit den Zahlen der Demonstranten. Eine Ende der Proteste war zunächst nicht abzusehen. Zwei Demonstranten hätten sich nach Angaben der Projektgegner in Röhren einbetonieren lassen, drei Menschen seien in Metallrohren um einen Baum angekettet, um die geplanten Baumfällarbeiten zu verhindern. Um die Menschen in Stuttgart zu unterstützen, hätten gleichzeitig fünf Demonstranten den Balkon der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin besetzt. Mit einem Transparent gegen "Stuttgart 21" forderten Sie auch die Politiker in Berlin zu aktivem Einsatz für die Bürger in Stuttgart auf.

Werner Wölfle: "Es ist unverantwortlich"


Der Grünen-Politiker Werner Wölfle, der Kabarettist Peter Grohmann und andere prominente Stuttgart-21-Gegner sind vor Ort, um die Situation zu beobachten. "Es ist unverantwortlich, dass der Polizeieinsatz am gleichen Tag stattfindet, wie die Schülerdemo", sagte Wölfle. "Rambo zeigt sein Gesicht". Aus Sicht derer, die an einem Dialog interessiert sind, sei es besonders bitter, dass gleich die erste Möglichkeit, die Baumfällarbeiten vorzubereiten, genutzt würde.

Etwa 200 vorwiegend junge Demonstranten kletterten auf zwei Lkw der Polizei, die mit Absperrgittern beladen waren. Die Polizei forderte sie auf, die Fahrzeuge zu verlassen und setzte Wasserwerfer ein. Vereinzelt machte die Polizei auch von Reizgas Gebrauch, am Rande des Geländes werden den betroffenen Demonstranten die Augen ausgewaschen. Immer wieder hindern Demonstranten die Lkw der Polizei am Durchkommen.

Der Landtag ist ebenfalls abgesperrt. "Wir sind nur für die Sicherung des Geländes zuständig", hieß es bei der Polizei. Weitere Angaben zur Situation vor Ort machte der Sprecher nicht. Autofahrer sollten sich auf Behinderungen in der Innenstadt einstellen. Aus dem Projektbüro von Stuttgart 21 war zunächst keine Stellungnahme zur Vorbereitung der Baumfällarbeiten zu bekommen.