Angehende Sonderpädagogen arbeiten an einem Projekt, auf das Behinderte in Stuttgart schon länger warten – an einem barrierefreien Stadtplan.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Mit gängigen Stadtplänen können Leute mit einer geistigen Behinderung oft nicht viel anfangen. Die Karten sind oft bis zur Unkenntlichkeit mit Zeichen und Symbolen überfrachtet. Hier gilt es abzuspecken, und sich auf wesentliche Infos zu beschränken. An diese Arbeit haben sich vier Lehramtsanwärter gemacht. Sie besuchen das Seminar für Sonderpädagogik an der Rosenbergstraße 49, wo die Eleven derzeit an 21 Projekten arbeiten, von denen der Stadtplan nur eines ist. Sie befassen sich mit Themen wie inklusiver Bildung, Zugang zur Gesellschaft und Formen der Kooperation. Beim Stadtplan geht es um die Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung am Alltagsleben.

 

Bilder ersetzen Schrift

„Viele von ihnen können nicht lesen. Sie orientieren sich an Bildern“, erklärt Hannah Weller. Schrift würde in ihrem Plan möglichst durch Piktogramme ersetzt. Zur Orientierung dienten ferner Fotos markanter Gebäude. Auf ihrem gebastelten Papierplan haben die Schüler die Frontansichten des Neuen und Alten Schlosses oder der Staatsgalerie geklebt. Tatsächlich aber stellen sie sich ihren Plan als interaktive Smartphone-App vor. „Wenn ich mich verlaufen habe, kann mir die App sagen, wo ich mich gerade befinde“, erläutert Nils Wessel. Dank GPS ist ja das Handy darüber stets im Bilde. Friederike Dambach hat bei Schulausflügen im Zuge ihrer pädagogischen Ausbildung die Erfahrung gemacht, dass ständig nach einer Toilette gefragt werde. So fanden auch die öffentlichen WCs Eingang in die App ebenso wie beliebte Geschäfte, Kaufhäuser, Kinos, Kneipen oder Cafés. „Es geht darum, dass die Menschen selber ihre Freizeit gestalten können und allein irgendwohin kommen“, erklärt Dambach. Das Stadtplanprojekt der vier Lehramtsanwärter ist eine Übung. Ob es je realisiert wird, ist offen.

Umso wichtiger war es den angehenden Sonderpädagogen zu erfahren, wie es denn in der Realität so aussieht: Was hat die Landeshauptstadt in Sachen barrierefreier Stadtplan zu bieten? Bislang herzlich wenig, wie sie erfuhren. Allerdings berichtete der Beauftragten der Stadt für die Belange von Menschen mit Behinderung, Walter Tattermusch, dass der „barrierefreien Stadtplan“ längst auf der Agenda steht. Betroffene fordern von der Sozialverwaltung und dem Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung seit Längerem und wiederholt einen solchen Plan. Denn bislang existiert bloß die kleine Broschüre „Stuttgart barrierefrei – Kunst und Kultur barrierefrei erleben“, in der wichtige Bereiche wie Arztpraxen, Restaurants oder Clubs fehlen.

150 Städte sind schon weiter

Deutschlandweit existieren bereits rund 150 Stadt- und Reiseführer für Menschen mit Behinderung, davon 28 in einer Online-Version. In Stuttgart wurden erste Vorarbeiten und Recherchen für einen barrierefreien Plan geleistet. Bei den Beratungen zum Haushaltsplan fiel der Stadtplan allerdings vor zwei Jahren durch – zu viele inhaltliche Fragen waren noch offen. Bei den bevorstehenden Haushaltberatungen kommt der Stadtplan erneut aufs Tapet. Die Verwaltung schlägt dem Gemeinderat zur Abstimmung vor, sowohl für dessen Erarbeitung als auch für die Pflege eines Online-Stadtführers Menschen mit Behinderung und deren Verbände fortlaufend einzubinden. Es solle daher ein Beirat für Menschen mit Behinderung gegründet werden, der bei den weiteren Überlegungen zum Online-Stadtführer beteiligt wird.

Das Zentrum für selbstbestimmtes Leben/Aktive Behinderte in Stuttgart mit Sitz im Stuttgarter Westen blickt mit zunehmender Ungeduld auf dieses Projekt. „Stuttgart barrierefrei – Stadtplan für Menschen mit Behinderungen: Wir warten auf die Umsetzung!“, heißt es auf der Internetseite. Die menschenrechtlich verbriefte Teilhabe Behinderter am gesellschaftlichen Leben sei eingeschränkt. „Deshalb appellieren wir an die Stadt Stuttgart, ihrer Verantwortung gegenüber Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden.“