Seit ein paar Jahren schon lässt sich ein regelrechter Roller-Boom beobachten. Mit den wendigen und platzsparenden Fahrzeugen sind nicht mehr bloß Fahranfänger und Menschen mit schmalem Portemonnaie unterwegs. Im vergangenen Jahr waren in Stuttgart fast 3200 Leichtkrafträder zugelassen. Hinzu kommen Mopeds, Mofas und Mokicks mit Versicherungskennzeichnen.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Der sonnig milde Herbst treibt sie alle noch einmal hinaus. Jeder dieser goldenen Tage, die sich so herrlich italienisch anfühlen, könnte der letzte sein in diesem Jahr. Dabei findet man unter den Leichtkraftradlenkern nicht bloß Schönwetterfahrer. Winterreifen für Mopeds belegen, dass es Hartgesottene gibt, die selbst Schneematsch nicht schrecken kann.

 

Seit ein paar Jahren schon lässt sich ein regelrechter Roller-Boom beobachten. Mit den wendigen und platzsparenden Fahrzeugen sind nicht mehr bloß Fahranfänger und Menschen mit schmalem Portemonnaie unterwegs. Im vergangenen Jahr waren in Stuttgart fast 3200 Leichtkrafträder zugelassen. Hinzu kommen Mopeds, Mofas und Mokicks mit Versicherungskennzeichnen. Seit einigen Jahren sei „ein Aufwärtstrend festzustellen“, heißt es beim Amt für öffentliche Ordnung. Die Württembergische Gemeindeversicherung (WGV), einer der größten Versicherer, bestätigt den Trend: Waren 2010 in der Stadt noch rund 3700 Kennzeichen unterwegs gewesen, waren es im vergangenen Jahr bereits um die 4700 – Tendenz steigend. „Unser gesamter Mofabestand ist deutschlandweit in diesen Jahren deutlich angestiegen“, sagt Angele Bezler, Abteilungsdirektorin bei der WGV. „Die sehr günstigen Mofabeiträge im jeweiligen Verkehrsjahr waren für die Mofakunden offensichtlich entscheidend“, ergänzt sie.

Praktisch & hip

Tatsächlich gibt es ein ganzes Bündel pragmatischer Gründe, weshalb Verkehrsteilnehmer zumindest zeitweilig umsatteln: Moped-Fahren ist günstig, erspart die leidige Parkplatzsuche und man kommt besser um die Staus in der Stadt herum. Eher irrational, gleichwohl mitentscheidend beim Kauf ist der Hipnessfaktor. Der Roller knattert auf der Vintage-Welle, und so überrascht es nicht, dass die meisten Gefährte, die durch die City kurven, alt sind oder alt aussehen.

Besonderer Beliebtheit erfreut sich die Vespa (italienisch „Wespe“) mit ihren markanten Formen: dickes Hinterteil, schmale Taille – daher der Name. Sie wird seit 1946 hergestellt. Die Ur-Vespa „98“ aus der Nachkriegszeit war simpel und sparsam. Trotzdem hatte der Blechroller bald sein Dolce-Vita-Image weg, wie alte Reklamebilder belegen. Gelegentlich erhielt er sogar Filmrollen. In „Ein Herz und eine Krone“ von 1953 fegen Audrey Hepburn und Gregory verliebt und unbeschwert auf einer Vespa durch Rom. Über die Jahrzehnte kamen weitere Typen und Modelle auf den Markt.

Jürgen Schinker hat die hiesige Roller-Szene seit etlichen Jahren im Blick – früher als Redakteur einer Motorradzeitschrift, dann als leitender Redakteur einer Rollerzeitschrift, heute als Roller-Fahrer und Mitglied der Stuttgarter Blechrollerfreunde. Der plötzliche Boom ist ihm nicht entgangen. „Der Life-Style-Aspekt spielt dabei sicher eine wichtige Rolle. Rollerfahren ist bei jungen Frauen und Männern mit Vollbart gerade angesagt.“ Andererseits ist Schinker überzeugt, dass auch Vernunft im Spiel ist: „Der Mensch sucht sich Lücken. Wenn man Hundert mal im Stau gestanden hat und gesehen hat, wie die Roller an einem vorbeizogen, denkt man schon mal darüber nach, umzusteigen.“

Kulante Ordnungshüter

Der 46-Jährige fährt immer mit dem Roller zu seiner Arbeitsstelle in der Innenstadt, egal wie kalt es ist. Er ist überzeugt, dass es den Stadtverkehr entlasten würde, stiegen mehr Leute um. „Um eine Person im Berufsverkehr von A nach B zu transportieren sind meiner Meinung nach keine eineinhalb Tonnen Stahl und Plastik nötig. 150 Kilo Roller reichen – was enorm ressourcenschonend ist.“

In 17 Jahren als Rollerfahrer habe er noch nie ein Knöllchen kassiert, sagt Schinker, obwohl er meistens auf dem Gehweg parke – was verboten ist. „Ich achte darauf, dass ich niemandem im Weg stehe und Leute mit Kinderwagen gut vorbeikommen.“ Genau so lautet offenbar auch die Kulanzformel der Stadt. „So lange keiner Anzeige wegen Behinderung erstattet, wird das Parken auf dem Gehweg geduldet“, sagt Jens Lauer von der Polizei Stuttgart. Dass die wenigen ausgewiesenen Zweiradparkplätze nicht ausreichen, liegt auf der Hand. Eine Kulanz-Ausnahme bildet allerdings der nagelneue Shared Space in der Tübinger Straße, den das Ordnungsamt wie seinen Augapfel hütet.

Wenig Großzügigkeit dürfen Rollerfahrer erwarten, die sich zwischen zwei Staukolonnen hindurchschlängeln. Sie überholen rechts und halten selten den Mindestabstand ein. Wer erwischt wird, muss mit einer Geldbuße von mindestens 30 Euro rechnen. Lauer rät vom Lavieren ab: „Das ist gefährlich, weil die Autofahrer nicht damit rechnen, dass plötzlich ein Roller vor ihnen auftaucht.“ Kleinkrafträder würden ohnehin gern übersehen. Ein Rollerfahrer müsse stets die Perspektive anderer Verkehrsteilnehmer mitbedenken, sagt Lauer. „Man ist halt der Schwächere.“ 90 Prozent der Unfälle in Stuttgart mit Motorrollern seien Personenschäden. Dagegen sind 90 Prozent der Autounfälle sind bloß Blechschäden. Allerdings ist die Zahl der Rollerunfälle insgesamt nicht sehr hoch. 2013 gab es 132 Unfälle. Tendenz: gleichbleibend.