Bauchkrämpfe und Durchfall – die Zahl der Menschen mit Darmproblemen hat zugenommen. Viele erkranken bereits im Kindesalter. Eine Suche nach den Ursachen und was Betroffene unbedingt vermeiden sollten.

Stuttgart - Starke Bauchkrämpfe, blutige Durchfälle, unzählig viele Toilettengänge pro Tag – chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind schmerzhaft und rauben den Betroffenen Lebensqualität. In Deutschland leiden mehr als 500 000 Menschen an Morbus Crohn und an Colitis ulcerosa. „Besonders stark zugenommen hat die Zahl der Menschen, die bereits im frühen Kindesalter erkranken“, sagt Samuel Huber, Professor für Molekulare Immunologie und Gastroenterologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Und das weltweit.

 

In Kanada beispielsweise wurde in einer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie gezeigt, dass Kinder, die auf dem Land aufwachsen, seltener einen entzündeten Darm haben als Stadtkinder. Das Erkrankungsrisiko war für sie um etwa zehn Prozent niedriger als bei Kindern aus der Stadt. „Vermutlich hängt dies mit Umwelteinflüssen zusammen, die sich auf die Bakteriengemeinschaft und das Immunsystem im Darm auswirken“, so Huber.

Nahrungszusätze in Lebensmitteln können zu Auslösern werden

Bei CED spielen mehrere Komponenten eine Rolle, die sich gegenseitig beeinflussen. Es sind genetische Faktoren, immunologische Faktoren, Mikrobiom und Umweltfaktoren wie Ernährung, Medikamente oder ein ausgeprägtes Hygienebewusstsein. Und auch, wie häufig ein Kind mit Umwelteinflüssen in Kontakt gekommen ist. Selbst Nahrungszusätze in Lebensmitteln und bestimmte Nanopartikel können zu Auslösern werden: Eine von dem Gastroenterologen Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich mit Mäusen durchgeführte Untersuchung lieferte beispielsweise Hinweise, dass ultrawinzige Titandioxidpartikel (E171) in der Nahrung Darmentzündungen fördern können. „Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand sind auch Bakterien im Darm, also das Mikrobiom, von zentraler Bedeutung“, berichtet der Hamburger CED-Experte.

Darmbakterien von Betroffenen unterscheiden sich von denen Gesunder

Das Mikrobiom von Menschen, die an CED leiden, ist weniger variantenreich und setzt sich auch aus anderen Bakterien zusammen, als das bei gesunden Menschen der Fall ist. Diese Unterschiedlichkeit können sogar betroffene Mütter an ihre Kindern weitergeben: So zeigte eine amerikanische Meconium-Studie kürzlich, dass das Darmmikrobiom von Babys, deren Mütter eine CED hatten, nach der Geburt vorübergehend verändert war. Studienautorin Joana Torres von der Icahn School of Medicine: „Diese Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms des Neugeborenen könnten sein künftiges Erkrankungsrisiko beeinflussen.“

Schleimschicht ist bei Kranken durchlässig geworden

Bei Gesunden schützt der Schleim auf den Darmschleimhautzellen vor Erkrankungen. Er ist ein Reservoir körpereigener Antibiotika, der sogenannten Defensine. Diese Defensine regulieren die Zusammensetzung der Darmflora und verhindern gleichzeitig, dass Mikroorganismen in die Darmschleimhaut eindringen können und eine Entzündung auslösen. Dadurch bleibt der Darm gesund.

Doch bei einer CED ist die Schleimschicht durchlässiger als normal. „Ist die Defensinmenge zu klein, ist kein ausreichender Schutz gegen Bakterien am Übergang der Außenwelt zum Dickdarm vorhanden“, sagt der Gastroenterologe und klinische Pharmakologe Jan Wehkamp vom Universitätsklinikum Tübingen. Daher die empfindlichen Überreaktionen – die allerdings bei Colitis ulcerosa und auch Morbus Crohn schubweise verlaufen.

Was Betroffenen unbedingt vermeiden sollten

Rauchen fördert Erkrankungsschübe

Colitis ulcerosa tritt hauptsächlich im Dickdarm auf. Die Entzündung beginnt zumeist in dessen 20 Zentimeter langem Endstück, dem sogenannten Enddarm. Bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten wandert die Entzündung jedoch dann den Dickdarm entlang.

Die chronischen Entzündungen der Darmschleimhaut sind bei Colitis ulcerosa oberflächlich und führen zu Geschwüren und Blutungen. Es kommt zu blutigen Durchfällen und infolgedessen zu Blutarmut. Das Risiko für entzündungsbedingte Beschwerden an den Augen, in den Gelenken und an der Haut sowie für Darmkrebs ist erhöht. „Deshalb ist eine frühzeitige und konsequente Therapie wichtig. So ist es möglich, das Darmkrebsrisiko klein zu halten“, sagt Huber. Rauchen hat bei Colitis ulcerosa keinen negativen Einfluss auf das Erkrankungsgeschehen. Ganz anders bei Morbus Crohn. Dort fördert es Erkrankungsschübe. Morbus Crohn kann im gesamten Darm auftreten, am häufigsten im letzten Dünndarm- und im ersten Dickdarmabschnitt, aber auch im Magen und in der Speiseröhre. Ist die Entzündung im Dickdarm lokalisiert, ist es manchmal schwierig, zwischen den beiden Formen der CED zu unterscheiden.

Früh angesetzte Therapien verringern das Darmkrebsrisiko

Bei Morbus Crohn können alle Schichten der Darmwand entzündet sein. Bei Colitis ulcerosa tritt sie dagegen nur oberflächlich auf. „Meistens ermöglichen eine Biopsie und Untersuchung des entnommenen Gewebes sowie eine endoskopische Untersuchung die Diagnose“, sagt Huber. Auch bei Morbus Crohn ist es sehr wichtig, frühzeitig die Entzündung zu bekämpfen: nicht nur, weil auch bei dieser Krankheit das Darmkrebsrisiko erhöht ist, sondern auch, weil sich Fisteln und Darmverengungen bilden können.

Nicht alle vertragen die Medikamenten-Therapien

Zwar sind chronisch entzündliche Erkrankungen nicht heilbar, aber die Therapien sind heutzutage so gut, „dass die meisten Betroffenen weitgehend beschwerdefrei werden“, sagt der Hamburger Experte Huber. Zu verdanken ist dies Medikamenten, die auf das Immunsystem einwirken. Es handelt sich dabei um zielgerichtete Antikörper, die durch ihr Eingreifen Symptome wie Bauchschmerzen und Durchfälle lindern. Allerdings erzielen diese nicht bei allen die gewünschten Erfolge: „Bei einem Teil der Patienten kann keine langfristige Remission erreicht werden“, so Huber. Remission bedeutet das vorübergehende oder dauerhafte Nachlassen von Symptomen. Diese Patienten würden an den wiederkehrenden Schüben der Erkrankung und an den Nebenwirkungen der Therapien, insbesondere an Infektionen, leiden. Daher ist die Erforschung neuer Therapiemöglichkeiten so wichtig, sagt der CED-Experte.