Während der Tito-Herrschaft liquidierten jugoslawische Agenten drei Dutzend Exil-Kroaten in Deutschland. Die Blutspur führt auch durch Stuttgart.

Stuttgart/München - Nach einigen Krügen Hofbräu ist Franjo Goreta mutig genug zu töten. Es ist der 30. August 1966, als der Exil-Kroate im Keller der Stuttgarter Brauerei in der Königstraße seinem Zechkumpan tief in die Augen schaut und spricht: „Ich bringe dich mit deiner eigenen Pistole um, du Hurensohn!“ Goreta schießt das komplette Magazin einer Beretta leer und bläst dem jugoslawischen Konsul Savo Milovanovic das Lebenslicht aus. Dabei fühlt sich der Gastarbeiter genau so, wie es sein Gegenüber zuvor von ihm verlangte: „Du musst kaltblütig sein wie ein Jäger.“ Allerdings wollte Milovanovic, Mitarbeiter des jugoslawischen Geheimdienstes und Goretas Führungsoffizier, die Aufforderung so verstanden wissen, dass Goreta mit der ihm übergebenen Waffe drei Landsleute der Kroatischen Revolutionären Bruderschaft erschießen sollte. Nun muss er selbst dran glauben.

 

Dem tödlichen Anschlag auf den Konsul schließt sich die wohl längste unaufgeklärte Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte an: Jugoslawische Agenten spionieren laut Ermittlungsakten und Gerichtsurteilen bis in die 80er Jahre hinein die Organisationen von Exil-Kroaten in der Bundesrepublik aus und liquidieren im Auftrag des Geheimdiensts etwa drei Dutzend Landsleute. Die Blutspur führt auch durch Stuttgart, wo wie in Berlin, Frankfurt und München viele Exil-Kroaten leben, die gegen das kommunistische, von Serben dominierte Regime in ihrer Heimat agieren. Ihr Ziel ist, ein unabhängiges Kroatien aus dem Vielvölkerstaat herauszubrechen.

Die Aktionen der rund 10 000 politischen Emigranten missfallen dem jugoslawischen Sicherheitsapparat. In den Geheimdiensten der Teilrepublik Kroatien (SDS) und des Bundesstaates (SDB) kümmern sich Abteilungen um „feindliche Emigration“. Sie schleusen Spitzel in die Exilorganisationen ein und „überzeugen“ Mitglieder durch Gewaltandrohung, Erpressung und Entlohnung, Verrat zu üben.

Spektakuläre Schießerei

Mit mehr als 30 000 Jugoslawen sei Baden-Württemberg zum „Texas der Kroaten und Serben geworden“, schreibt „Die Zeit“ 1966. In der Stuttgarter Liederhalle kam es zuvor zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, in Meersburg am Bodensee wurde Milovanovic‘ Vorgänger als Konsul ebenfalls von einem Kroaten niedergestreckt. In Karlsruhe liefern sich Serben und Kroaten am 18. August 1966 eine spektakuläre Schießerei. Zwölf Tage später wird Konsul Savo Milovanovic von Franjo Goreta in Stuttgart niedergestreckt. Der damalige CDU-Innenminister Hans Filbinger schlussfolgert, der Mord könne durchaus einen politischen Hintergrund haben.

Heute steht fest, dass Politiker des Bundesstaats Jugoslawien und dessen Teilrepubliken Liquidierungen angeordnet haben. Bis zu seinem Tod 1980 wurde jedes Todesurteil von Staatspräsident Josip Broz Tito persönlich unterzeichnet. Sein Innenminister Franjo Herljevic gab 1978 offen zu: „Wenn die Leute nicht ausgeliefert werden, dann kidnappen und liquidieren wir sie.“

Die Deutsche Welle und das Bayerische Fernsehen erinnern nun an diese Verbrechen. In „Mord in Titos Namen“ kommt auch Klaus von Dohnanyi (SPD) zu Wort. Der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt räumt ein, dass der zwischen 1969 und 1982 amtierenden sozialliberalen Koalition bewusst gewesen sei, was der jugoslawische Geheimdienst in Deutschland treibe. Die Taten seien aber nicht öffentlich thematisiert worden, um im Kalten Krieg die Führung des strategisch wichtigen Jugoslawien nicht zu verärgern. Das sei einerseits ein „dunkles Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte“, sagt von Dohnanyi – aber: „Es gibt Dinge in der Politik, die so sind, wie sie sind. Unser überragendes Interesse war, einen Weg zu finden, um in Europa Entspannung mit der Sowjetunion voranzutreiben.“ Ost und West standen sich waffenstarrend gegenüber, für die Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt hatte der Weg aus der Blockkonfrontation einen Namen: Josip Broz Tito.

Späte Chance auf Gerechtigkeit

Mord verjährt nicht. Und so bietet sich einige Jahrzehnte und drei Dutzend Attentate später doch noch die Chance auf Gerechtigkeit. Das Oberlandesgericht München verhandelt vom 17. Oktober an gegen zwei mutmaßliche Auftraggeber der Killerkommandos. Der 7. Strafsenat hat die Anklagen des Generalbundesanwalts gegen die hochrangigen Geheimdienstler und Politiker des Regimes, Zdravko Mustac und Josip Perkovic, wegen Beihilfe zum Mord an dem kroatischen Oppositionellen Stjepan Durekovic 1983 in Wolfratshausen zugelassen. Der Schriftsteller Durekovic war in einer Druckerei in einen Hinterhalt gelockt, durch Schüsse niedergestreckt und dann erschlagen worden. Die Warnungen seines Stuttgarter Freundes Petar Hinic hatte der bekannte Dissident ignoriert. Hinic, der sich als ausländischer Vertreter im Bezirksbeirat Zuffenhausen engagiert, wusste damals genau, wovon er sprach. Auch ihn, einen gemäßigten Verfechter der kroatischen Sache, hatten die Schergen des Geheimdiensts bedroht.

Die in München angeklagten Mustac und Perkovic waren jahrelang trotz internationaler Haftbefehle in ihrer Heimat unbehelligt geblieben. Erst der Beitritt Kroatiens zur EU 2013 und internationaler Druck zwang die kroatische Justiz, die Auslieferung anzuordnen. Zuvor hatte die Regierung aber erst ein Gesetz zurücknehmen müssen, das die Auslieferung mutmaßlicher Straftäter verhindert, wenn sie ihre Taten vor 2002 begangen haben. Die Münchner Staatsanwalt hofft, dass sich die beiden Ex-Geheimdienstler, um ihre eigene Haut zu retten, gesprächsbereit zeigen, Strukturen aufzeigen, politisch Verantwortliche benennen und damit zur Aufklärung weiterer Morde beitragen.

Mustac war von 1982 bis 1986 stellvertretender Minister im Innenministerium und damit politischer Leiter des kroatischen Sicherheitsdienstes SDS. Perkovic führte von 1979 bis 1986 die Abteilung II (feindliche Emigration) beim SDS. Danach übernahm er erst die Leitung des Geheimdienstes und wurde dann stellvertretender Verteidigungsminister.

Der Zeuge steht selbst unter Verdacht

Josip Perkovic leugnet eine Beteiligung an den Gewalttaten. Aber es gibt Belastungszeugen, die bereits gegen den ehemaligen Agentenchef ausgesagt haben und dies wohl wieder tun werden: etwa der 2008 wegen Beihilfe beim Durekovic-Mord zu lebenslänger Haft verurteilte Krunoslav P. Der Besitzer der Druckerei, in der die Bluttat stattfand, sagte, es sei Perkovic gewesen, der ihn angeworben und den Schlüssel für das Gebäude übernommen habe, um ihn an die Mörder weiterzugeben. Ein anderer Ex-Agent behauptet, Perkovic habe das Attentat von Jugoslawien aus organisiert.

Dieser wichtige Belastungszeuge heißt Vinko Sindicic. Der ehemalige Gastwirt aus der Ludwigstraße im Stuttgarter Westen war Agent des kroatischen Geheimdienstes mit besten Beziehungen zum deutschen Verfassungsschutz. Er saß 15 Jahre in Schottland wegen eines Mordversuchs am Vorsitzenden der dortigen Emigrantenorganisation in Haft. Ermittlungsbehörden verschiedener Staaten verdächtigen den heute 70-Jährigen, weitere Attentate verübt zu haben. Nachweisen konnte man ihm das aber nicht, weswegen er nur als Zeuge und nicht als Angeklagter vor Gericht steht.

Fest steht, dass es direkte Verbindungen zwischen Sindicic und Personen gab, die auf der Todesliste des jugoslawischen Geheimdienstes standen. So kannte er den im Untergrund lebenden Josip Senic gut, der 1972 im Hotel Klosterschänke in Wiesloch bei Heidelberg mit durchschnittener Kehle gefunden wurde. Sindicic war es auch, der mit dem Stuttgarter Gastwirt Stipe Sevo sowie dessen Frau und neunjähriger Tochter in den Italienurlaub gefahren war, aus dem die Familie in Särgen zurückkehrte: Vater, Mutter und Kind waren im Auto auf einem Feldweg erschossen worden. Eine Verkäuferin am Straßenrand bemerkte im Wagen einen Mann mit dunkler Brille. Die Beschreibung passte auf Sindicic, doch die italienische Polizei biss bei den jugoslawischen Behörden auf Granit und legte den Fall zu den Akten.

Attentat auf den Doppelagenten

Auch in Stuttgart gab es weitere Morde, etwa in der Heusteigstraße, wo ein Kroate am 6. Juni 1975 mit fünf Schüssen niedergestreckt wurde. Am 12. September 1967 kam der Exil-Kroate Marijan Simundic zu Tode, nachdem sich in der Gaststätte Juliska in der Silberburgstraße eine Einheimische an ihn herangemacht und auf einen Feldweg in Weilimdorf gelockt hatte. Während sie Zärtlichkeiten austauschten, öffnete sie ein Seitenfenster, durch das ihr Freund fünf Schüsse abfeuerte. Beide flüchteten nach Jugoslawien. Nach dem Tod des Mörders 1984 entschied sich die Stuttgarterin zur Rückkehr in die Heimat im Glauben, man habe sie vergessen. Sie wurde bei ihrer Ankunft verhaftet.

Und was geschah mit Franjo Goreta? Der Doppelagent, der seinen Auftraggeber im Hofbräukeller erschoss, wurde zu acht Jahren Haft verurteilt – und danach selbst zur Zielscheibe. 1977 misslang im Saarland das erste Attentat auf den Kroaten. Der Täter wurde von der Bundesregierung gegen einen in Belgrad willkürlich festgenommenen Deutschen ausgetauscht. 1980 überlebte Goreta einen Angriff zweier bewaffneter Männer. Goreta schoss zurück und verwundete einen flüchtenden Attentäter. Beide Angreifer und der Anstifter wurden zu Haftstrafen verurteilt.

„Es kann nicht hingenommen werden, dass auf unserem Boden Killeraufträge ausgeführt werden, die von fremden Regierungen zur Lösung ihrer innerstaatlichen Probleme veranlasst werden“, sagte der Vorsitzende Richter. Die Schelte gelte auch der Bundesregierung, schrieb der „Spiegel“ damals. Denn während im Gerichtssaal die Attentate beleuchtet wurden, taten die Politiker so, als gäbe es den Untergrundkrieg gar nicht: Am Starnberger See versicherten sich Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und sein jugoslawischer Kollege Josip Vrhovec, zwischen Bonn und Belgrad sei „keine einzige bilaterale Frage auf eine dramatische Weise offen“.

TV-Dokumentation:„Mord in Titos Namen“ von Philipp Grüll und Frank Hofmann wird am Dienstag, 30. September , 0.20 Uhr, in der ARD gesendet, im Bayerischen Fernsehen am Mittwoch, 15. Oktober, 21 Uhr und auf der Deutschen Welle unter www.dw.de am Donnerstag, 16. Oktober, 22.15 Uhr, Freitag, 17. Oktober, 10.15 Uhr