Mit einer Reihenuntersuchung rollen die Ermittler den Fall Aichele ein weiteres Mal auf. Die neue Spur, auf der die Hoffnung ruht, war 2008 entdeckt worden.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - In einem Kindergarten im Stadtteil Muckensturm beginnt die Polizei Ende April erneut mit der Suche nach dem Mörder von Anja Aichele. Dorthin hat sie rund 700 Männer einbestellt, die eine Speichelprobe für einen DNA-Abgleich mit einer Spur des Täters abgeben sollen. In dieser Woche hat sich Anja Aicheles Todestag zum 25. Mal gejährt. Am 27. März 1987 wurde die junge Frau ermordet, wenige Tage nach ihrem 17. Geburtstag. Noch immer steht die Polizei vor einem Rätsel, wer Anja Aichele damals erwürgt haben könnte. Mit der DNA-Reihenuntersuchung will sie nun die Ermittlungen weiterführen.

 

Es gibt eine mikroskopisch kleine Spur an den Asservaten, die bei der Polizei lagern. Zum Abgleich sind Männer einbestellt, die in der Tatzeit zwischen 16 und 60 Jahre alt waren und in der Nähe der Aicheles lebten. Denn aufgrund des Vorgehens des Täters glaubt die Polizei, dass er sich in der Gegend auskannte. Vermutlich griff er die Jugendliche auf dem Nachhauseweg auf. Er vergrub sie nach dem Mord in einem Gemüsebeet, wenige Meter neben dem Fußweg, der nach Muckensturm führt – Anjas Heimweg.

Neue Spur 2008 entdeckt

Sie war an jenem Freitagabend zum Jugendtreff der Luthergemeinde in Bad Cannstatt gegangen. Gegen 21.30 Uhr, so hatte sie es ihren Eltern angekündigt, wollte sie zurück sein. Als sie nicht kam, alarmierten die Eltern die Polizei. Erst am darauffolgenden Montag wurde die Leiche entdeckt – nachdem Suchhunde an der Stelle vorbeigegangen waren, ohne anzuschlagen. Die Polizei untersuchte das Erdreich, weil ein Gartenbesitzer einen Nachbarn gefragt hatte, ob er dort nach Würmern zum Angeln gegraben hätte. Dieses Gespräch bekam ein Polizeibeamter mit – und wurde hellhörig. So wurde die Leiche der Anja Aichele entdeckt. Der Täter blieb all die Jahre im Verborgenen.

Die neue Spur, auf der nun die Hoffnung ruht, war im Jahr 2008 entdeckt worden. Das Team des Biologen Werner Pflug im Landeskriminalamt filterte sie aus den sichergestellten Gegenständen vom Fundort der Toten heraus. Einen ersten Anlauf, damit den Täter zu suchen, unternahm die Polizei im vergangenen Frühjahr. Sie verglich die Spur mit dem Erbgut von mehr als 500 Männern, die nach der Tat befragt worden waren: Freunde, Nachbarn, Bekannte der Eltern. „Einige musste man nachdrücklich bitten, ihre Speichelprobe abzugeben“, sagt der Leiter des Arbeitsbereichs Tötungsdelikte, Steffen Gottmann. Die Suche blieb ergebnislos.

Speicheltest auf freiwilliger Basis

Doch die Ermittler machen weiter. „Das ist jetzt die Ultima Ratio – vielleicht auch unsere letzte Chance“, sagt Hauptkommissar Gottmann. Das Amtsgericht hat genehmigt, dass die Ermittler ein weiteres Mal Erbmaterial erheben, um es abzugleichen. „Das geht natürlich nur auf freiwilliger Basis.“ Zwingen darf die Polizei niemanden dazu, eine Probe abzugeben. „Wenn einer das aber nicht will, weil er kein Vertrauen hat, aber ein stichhaltiges Alibi vorweisen kann, ist das auch eine Möglichkeit“, sagt der Chef der Mordkommission. Wie im Fernsehkrimi, bei dem die Verweigerer des Speicheltest für die Reihenuntersuchung automatisch zu den Hauptverdächtigen zählen, sei es im wahren Leben aber nicht – auch wenn solch ein Verhalten natürlich die Neugier der Ermittler weckt. Auf keinen Fall würde eine Weigerung aber einen Verdacht begründen. „Da müssten noch weitere Verdachtsmomente hinzukommen“, sagt Gottmann.

Keine Verjährungsfrist bei Mord

Der Fall Aichele, an dem seinerzeit eine bis zu 60-köpfige Sonderkommission arbeitete, gehört zu den prominentesten der rund 60 seit dem Jahr 1945 in Stuttgart nicht geklärten Mordfälle. Da es beim schwersten aller Verbrechen keine Verjährungsfrist gibt, kann die Polizei immer weiter fahnden. „Irgendwann macht es natürlich keinen Sinn mehr“, sagt Gottmann. „Für die Angehörigen kann es natürlich beruhigend sein, zu wissen, dass der Täter gefasst wurde.“ Das kann den Hinterbliebenen auch helfen, wenn der Täter schon so alt ist, dass er nicht mehr haftfähig ist.

Der technische Fortschritt lässt die Ermittler immer wieder neue Ansätze verfolgen. Seit Mitte der 90er Jahre sind die Methoden zum DNA-Abgleich entwickelt und immer weiter verbessert worden. „Unsere Abteilung war von Anfang an daran beteiligt“, sagt Ulrich Heffner, Sprecher des Landeskriminalamts. Die immer weiter verfeinerten Methoden bieten nun neue Hoffnung für die Ermittlungen im Fall Aichele.