In Kirchheim am Neckar baut ein türkisch-islamischer Kulturverein eine neue Moschee. Das ist in Zeiten zunehmender Islamfeindlichkeit nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung. Warum läuft das Projekt dennoch recht reibungslos?

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Kirchheim/Neckar - Yakup Çiftçi steht auf einem Gerüst in neun Meter Höhe. Es ist Samstagmorgen, eigentlich hätte der Stuckateur aus Lauffen heute frei. Dass er dennoch im Einsatz ist, scheint ihn nicht sonderlich unglücklich zu stimmen. In seine Arbeit versunken werkelt er vor sich hin. Er streckt sich, um mit dem Spachtel die Fugen der Kuppel zu erreichen. Aus zwölf Teilen besteht sie. Wenn er sie verputzt hat, kann der Kalliograf kommen, um sie auszuschmücken. Und Çiftçis Kinder können sagen, ihr Vater habe an der neuen Moschee mitgebaut. Darauf ist er sichtlich stolz. Mitmachen ist für ihn wie auch für den Elektriker Ehrensache. Und wenn Özkan Öztürk ruft, noch ein bisschen mehr.

 

Öztürk ist Vorsitzender des türkisch-islamischen Kulturvereins Kirchheim am Neckar. Er bringt gerade das größte Projekt der Vereinsgeschichte über die Bühne: den Bau einer neuen Moschee. „Schwäbisch-schlicht“ sei sie, sagt der 52-Jährige. Die Höhe des Minaretts ist für Öztürk dabei keine Glaubensfrage. Dass der Ruf des Muezzins zu hören sein wird, stand nie zur Debatte. Und dass man die Kuppel der Moschee nicht sieht, wenn man direkt vor ihr steht, gibt der Bebauungsplan so vor.

Sei’s drum. Özkan Öztürk philosophiert nicht darüber, ob der Islam zu Kirchheim am Neckar oder gar zu Deutschland gehört. Er war zehn, als er nach Deutschland kam. Seit nunmehr gut vier Jahrzehnten wohnt der Facharbeiter gleich um die Ecke in Bönnigheim, spricht schwäbischer als manch anderer Zugezogene und ist, seit es den türkisch-islamischen Kulturverein gibt, im Vorstand mit dabei, im Moment als dessen Erster Vorsitzender.

Zentrum der muslimischen Einwanderer

Kirchheim liegt mit einem Ausländeranteil von 22,3 Prozent an der Spitze in der Region Stuttgart. Eine Moschee zu bauen, das ist auch hier in Zeiten zunehmender Islamfeindlichkeit sowohl eine finanzielle als auch eine gesellschaftliche Herausforderung. In dem Städtchen werden diese Herausforderungen offenbar recht problemlos bewältigt. „Das hat auch mit vielen glücklichen Umständen zu tun“, sagt Uwe Seibold, der hier seit 1999 Bürgermeister ist. So hielt der Freiburger Islamwissenschaftler Ulrich Rebstock in seiner Heimatstadt Kirchheim Vorträge, um darüber aufzuklären, wie Muslime wirklich ticken. Fundierte Fakten sind das beste Mittel gegen Vorurteile.

Dass Kirchheim zum Zentrum der muslimischen Einwanderer im Norden des Landkreises Ludwigsburg wurde, liegt daran, dass der Kulturverein in der Gemeinde 1989 eine alte Schreinerei gekauft und zu einer Moschee umgebaut hatte. Und dass es hier von je her viele Migranten gibt. In 70er und 80er Jahren sind sie nach Kirchheim gekommen, weil in dem Ort die Wohnungen deutlich billiger waren als in Ludwigsburg oder Bietigheim.

Doch von all dem erzählt Özkan Öztürk, wenn überhaupt, eher beiläufig. Er steht in dem Rohbau, der gleich neben dem alten Moscheegebäude in den letzten zweieinhalb Jahren entstanden ist. An ziemlich zentraler Stelle, an der B 27 gelegen, nur ein paar Minuten vom Ortskern mit Rathaus und Kirche entfernt, entsteht in der gut 5400 Seelen großen Gemeinde die neue Moschee. Mit all den Aufregungen, die solch ein Neubau so mit sich bringt.

Die Höhe des Minaretts ist keine Glaubensfrage

Naturgemäß verfügt Özkan Öztürk über ein begrenztes Budget, weitere böse Überraschungen kann er nicht gebrauchen. Mit 1,6 Millionen Euro hat er anfangs für die neue Moschee gerechnet. Doch dann kam das Grundwasser und verteuerte den Neubau. Auf Pfählen und einer schweren Bodenplatte aus Beton steht das Gebäude nun, um gegen das Wasser abgedichtet zu sein. Die Volksbank hat sowohl den Nachschlag als auch die Anfangskosten finanziert. Aus Sicht der Bank ist die Moschee nichts anderes als ein Bauvorhaben auf Pump. Bei etwas über 1,8 Millionen Euro würden die Kosten jetzt liegen, sagt Öztürk. Durch Spenden – und nicht durch Geld aus dem Ausland – will die islamische Gemeinde die Schulden abtragen. Das zu betonen ist Öztürk wichtig.

An Adem Bilici, 36, war es, eine Lösung für das Wasser auf dem Grundstück zu finden. Er ist Architekt und kommt ebenfalls aus den Reihen des Kulturvereins. Er spricht unaufgeregt von seiner Geschichte, die nicht unbedingt darauf ausgelegt war, Moscheebaumeister zu werden. In Bönnigheim aufgewachsen, hat er als Hauptschüler erst Flaschner gelernt, dann eine Ausbildung zum Bauleiter gemacht und schließlich Architektur studiert. Während des Studiums war er im Jemen und hat mit Lehm gebaut, in seinem Jahrgang war er der Beste. Manche sehen in ihm ein Vorbild für Jugendliche der inzwischen dritten Migrantengeneration. Das behagt Adem Bilici so wenig wie das Etikett, er sei integriert. Das sind ihm zu viele Schubladen. Eigentlich wollte er sich mit der Eröffnung eines eigenen Architekturbüros noch etwas Zeit lassen. Aber als das Bauvorhaben näher rückte und klar wurde, dass er es sein würde, der den Kirchheimern ihre Moschee baut, entschloss er sich zu diesem Schritt. Schließlich war das ein Auftrag, den er nicht ablehnen konnte und wollte. Aber nebenbei, das war ihm auch klar, baut man keine Moschee. Schon gar nicht, wenn es die erste ist, die er nun von seinem Büro im Stuttgarter Westen plant.

Mit einer Breite von über 14 Metern und einer Länge von über 18 Metern steht der Bau für jedermann sichtbar an der Durchgangsstraße. „Introvertiert“ sei die Moschee, sagt Bilici. Die Kuppel sei zwar da, aber sie entfalte sich nur im Inneren. Von außen verdeckt die ein Meter hohe Dachumrandung den Blick. Bilici hat es sich nicht nehmen lassen, die hölzerne Unterkonstruktion für die Kuppel selbst anzufertigen. Die Fassade ist aus hellem Stein, die Fenster werden noch Lamellen bekommen. Nur das Minarett verrät, dass der Bau nicht etwa eine Stadtbücherei, sondern eine Moschee ist. 16 Meter ist es hoch. Bilici hätte es gerne drei Meter höher gehabt, für den Architekten hätten die Proportionen dann besser gepasst. Doch mehr hat der Bebauungsplan der Gemeinde nicht zugelassen. Der Gemeinderat wollte die Kirchheimer wohl nicht überfordern. Und nun ist es eben auch so gut. Eine Glaubensfrage ist die Höhe des Minaretts ebenso wie für Öztürk auch für Bilici nicht. Bauvorschriften sind sein tägliches Brot.

Zentraler Standort statt Gewerbegebiet

Auch der Schultes Uwe Seibold hält sich nicht mit staatstragenden Bekenntnissen auf. „Der Islam ist hier“, sagt er pragmatisch, „er ist Teil unserer Gesellschaft.“ Seibold hat den Bau der Moschee schon vor Jahren zur Chefsache gemacht und die Kirchheimer – muslimische wie christliche – 2010 auf einen langen Prozess der Bürgerbeteiligung und der Planung geschickt. Wohl wissend, dass die Angst vom Untergang der abendländischen Werte trotz der vielen Gespräche und seiner Politik der offenen Tür bleiben wird. Immerhin haben an die hundert Kirchheimer mitgemacht und dann am Ende mehrheitlich entschieden: Die Moschee kommt an den Standort, an dem sie jetzt gebaut wird – und nicht ins Gewerbegebiet. „Wenn man die Menschen in den Hinterhof drängt, dann sind sie auch im Hinterhof. Wenn wir sie ernst nehmen, werden sie auch ihre neue Heimat ernst nehmen“, sagt Seibold.

Aber genauso wenig macht er aus seiner Überzeugung, dass er es lieber sähe, der Islamunterricht würde in der Schule stattfinden, ein Geheimnis. Dass die Integration der verschiedenen Nationalitäten und der unterschiedlichen sozialen Gruppen eine der drängendsten Zukunftsaufgaben sei, habe er nach seinem Amtsantritt schnell erkannt, sagt Seibold. Das unterschwellige Grummeln derer, die nur die Alteingesessenen wirklich Kirchheimer nennen wollen und nicht die Angehörigen der zweiten oder der dritten Migrantengeneration, ist dennoch geblieben. „Muss das sein?“, fragen sie sich, wenn sie auf dem direkt neben der neuen Moschee liegenden Friedhof stehen und auf das Nachbargrundstück schauen.

In der Fronbergstraße grenzen Orient und Okzident unmittelbar aneinander. An Nachmittagen, an denen das muslimische Freitagsgebet und eine Beerdigung auf dieselbe Stunde fallen, werden die Parkplätze knapp. Das löst Unfrieden aus – nicht theologischer, sondern ganz praktischer Art. „Beerdigungen finden in Kirchheim immer um 13.30 Uhr statt“, erklärt Dirk Kubitschek, der evangelische Pfarrer am Ort. „Wenn die Außenanlagen fertig sind, werden wir unsere Parkplätze auch den Friedhofsbesuchern zur Verfügung stellen“, sagt Özkan Öztürk. Wo sich die Gelegenheit bietet, sucht er das Gespräch. Schon jetzt ist der Bau ein Haus, in das jeder reinschauen kann, der neugierig ist.

Die Parkplatzplatzprobleme seien lösbar, sagt Pfarrer Kubitschek. Für ihn sei entscheidend, was in der Moschee geschehe. Sein sehnlichster Wunsch: ein Imam, der nicht auf Türkisch, sondern auf Deutsch predigt. Diesem Gedanken kann auch Öztürk durchaus etwas abgewinnen, da man mit einem deutschsprachigen Praktikanten gute Erfahrungen gemacht habe. Er habe beim Ditib nachgefragt, der türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion, die alle fünf Jahre einen in der Türkei ausgebildeten Imam schicke: Es gebe zurzeit keinen deutschsprachigen. „Es wird noch eine Weile dauern, aber irgendwann wird er schon kommen“, sagt der Mann mit dem grauen kurzen Haaren und dem freundlichen Lächeln.

Im Moment hat Öztürk ganz praktische Sorgen: Der Estrich muss trocknen, der in der Türkei bestellte Kronleuchter dann geliefert werden, wenn der Maler fertig ist. In Deutschland angekommen ist er schon. Ginge es nach Öztürk, soll bis zum Beginn der Sommerschulferien alles fertig sein. Am 3. Oktober, dem Tag der offenen Moschee und der Deutschen Einheit, soll dann offizielle Eröffnung sein.