Der Mercedes-Sportchef Toto Wolff hofft, dass es in der Formel-1-Saison 2015 nicht wieder zu Streitigkeiten zwischen den Piloten Hamilton und Rosberg kommt.

Sport: Dominik Ignée (doi)
Stuttgart - Am 15. März beginnt die neue Formel-1-Saison mit dem Großen Preis von Australien in Melbourne. Die Mercedes-Mannschaft um den Teamchef Toto Wolff möchte die Weltmeistertitel aus dem Vorjahr verteidigen. Auch wenn das kein Selbstläufer wird.
Herr Wolff, Sie und das Mercedes-Team haben ein extrem erfolgreiches Jahr 2014 hinter sich. Lust oder Last – wie geht man damit in die neue Saison?
2014 ist nicht zu wiederholen. Es war auch mit diesen Ergebnissen nicht zu rechnen. Wir haben mit 16 Erfolgen und elf Doppelsiegen einen neuen Rekord aufgestellt. Wenn einer davon ausgehen würde, dass wir das in diesem Jahr wieder schaffen, dem würde ich sagen: Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das würde ja auch voraussetzen, dass wir alles richtig gemacht haben. Und wenn du das glaubst, dann ist das der Beginn des Endes.
Was ist zu tun?
Wir versuchen, unsere Mentalität beizubehalten. Es muss immer ein Schuss Skepsis dabei sein. Alle Statistiken, die wir bei den Tests betreiben, gehen immer vom Worst-Case-Szenario aus, aber nie vom BestCase-Szenario.
Sie haben in den vergangenen drei Jahren 300 neue Leute eingestellt. Prüfen Sie da bei jedem Einzelnen, ob er den richtigen Spirit für Ihr Team mitbringt?
Alle neu Eingestellten auf der ersten und zweiten Ebene habe ich zumindest gesehen oder gesprochen. Wir haben eine gute Visibilität, wer bei den anderen Teams gute Arbeit macht. Bei den ersten Gesprächen mit dem möglichen neuen Kollegen spürt man sofort, ob die Chemie stimmt oder nicht. Ich hatte mal ein Gespräch mit einem wirklich guten Mann, aber da hat diese Chemie von Anfang an nicht gestimmt. Es gab keine Chance. Wahrscheinlich hat er es auch so gesehen.
Können Sie solche Personalentscheidungen völlig unabhängig vom Daimler-Konzern in Stuttgart treffen?
Wir funktionieren als Mittelständler. Der Vorstand in Stuttgart weiß, dass wir schnelle Entscheidungen treffen müssen. Wir haben an den Rennwochenenden in diesem Zirkus mit all unseren Lieferanten, Sponsoren, Kunden, Mitarbeitern, den Mitbewerbern und mit der Sporthoheit zu tun. All diese Wege sind kurz, das ist wichtig für schnelle Entscheidungen. Trotzdem haben wir die Verantwortung, dass wir diesen Weltkonzern vertreten und sein Schaufenster dekorieren. Da muss man schon ganz genau aufpassen, wie man sich positioniert und was man sagt. Wir sind als Tochter der Daimler AG an der Leine, aber man lässt uns an dieser Leine laufen.
Ist die Leine lang genug?
Sagen wir es so: Es ist notwendig, dass diese Leine da ist. Die Power des Konzerns im Rücken gibt uns Stärke. Wir müssen jedoch schnell und selbstständig agieren können. Es war von Anfang an so, dass der Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche zu mir gesagt hat: Ruft mich an, wenn ihr mich braucht. Und so leben wir es.
Und? Haben Sie angerufen?
Ein Beispiel: wir hatten mal ein Problem in der Kühlung, das die Leute in der Serienproduktion gekannt haben. Es war für unsere Mitarbeiter hier in England zunächst auch schwierig zu begreifen, dass wir Stuttgart mit einbeziehen müssen. Aber dann haben wir es gemacht, und das Problem war innerhalb von Tagen gelöst. Zurzeit ist ein Mitarbeiter aus Sindelfingen hier, der uns beim Designen einer Komponente für drei Monate unterstützt. Er ist nur einer, der uns hilft, da gibt es viele. Dieser Austausch ist unheimlich wichtig.
Sie sagten einmal, auf lange Sicht würden Sie mit dem Formel-1-Team gerne schwarze Zahlen schreiben. Wie weit sind Sie davon noch entfernt?
Mit dem sportlichen Erfolg steigen auch die Einnahmen. Doch wir liefern im Hinblick auf das Marketing einen Gegenwert, der ein Vielfaches des Investments ist. Mein persönlicher Anspruch ist trotzdem, dass dieses Team autark ist und eine Existenzgrundlage als eigenständiges Unternehmen hat. Das heißt, schwarze Zahlen abzuliefern. In den letzten drei Jahren haben wir unser Sponsorship verdoppelt, waren sportlich erfolgreich und haben unsere Einnahmen erhöht. Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht nun auf.
Wird es den Moment geben, in dem Sie von der Konzernmutter unabhängig sind?
Den wird es nie geben, weil wir ihn gar nicht wollen. Die Unabhängigkeit kann höchstens eine finanzielle sein. Diese Power im Rücken zu haben ist wichtig für uns. Und im Hinblick auf Personal und Knowhow ist der Konzern ein wirklicher Wettbewerbsvorteil.
Übt der Konzern Druck aufs Team aus?
Ja, der Druck ist ständig da, jeden Tag. Aber den Druck legt man sich auch selbst auf. Der Druck aus Konzernsicht ist effizient zu sein, die Margen zu erhöhen, mehr Autos zu verkaufen. Ohne das wäre das Unternehmen nicht da, wo es ist. Und dieser Druck wird natürlich auch an uns weitergegeben. Es ist ja auch völlig klar: wenn wir als Rennteam die Marke nicht sportlich erfolgreich vertreten, dann ist das für sie schädlich.
Wo sehen Sie die Mercedes-Autos in der bevorstehenden Saison?
Wir wollen die Haltbarkeit unserer Leistungen bestätigt sehen. Wir hatten im letzten Jahr eine gute Performance im Auto, und ich bin optimistisch, dass wir diese Performance auch mitnehmen konnten. Alle Entwicklungen, die wir über den Winter gemacht haben, sind zufriedenstellend. Ich sage das aber, ohne die Entwicklungen der Konkurrenten gesehen zu haben. Die Testzeiten haben wenig Aussagekraft, weil unterschiedliche Reifen gefahren worden sind und weil wir nicht wissen, wie viel Ballast in den Autos waren. Das ist Glaskugelleserei, die ich lieber nicht machen möchte.
Was gilt für die ersten Wettfahrten?
Durchkommen, Rennen gewinnen und die Performance des Autos verbessern. Wenn das funktioniert, ist es natürlich das Ziel, die Meisterschaft zu gewinnen.
Und wer würde dann das Rennen machen? Lewis Hamilton oder Nico Rosberg?
Wir werden uns da auch in diesem Jahr wieder neutral verhalten. Auf die leichte Schulter nehmen wir die kommende Saison allerdings nicht, auch wenn es Leute gibt, die sagen: ,Ihr habt es ja sowieso wieder im Sack.‘ So dürfen wir nicht denken.
Sie mussten zwischen Hamilton und Rosberg oft vermitteln, eingreifen, mahnen. Man denke nur an den Streit in Spa, als Rosberg in das Auto des Kollegen raste.
Nach Spa hatten wir die Situation, dass wir beiden Piloten gesagt haben: ‚Was wollt ihr? Sollen wir ständig hinter euch herlaufen und Kindermädchen spielen? Oder wollt ihr lieber, dass wir uns zusammen hinsetzen und am Auto arbeiten?‘ Lewis und Nico haben dann gesagt: ,Das wäre uns schon wichtiger.‘
Gab es auch eine Strafe für Rosberg?
Wir sind nicht in der Schule, wo man jemandem auf die Finger klopft. Es geht darum, das jeder weiß, wie viele Menschen hier an diesem Projekt arbeiten (1300 Teammitglieder, Anm. d. Redaktion), die sich die Nächte um die Ohren schlagen und ihre Familien vernachlässigen, um ein Auto zu bauen. Dann kann man nicht zulassen, dass es Alleingänge gibt. Das gilt nicht nur für die Fahrer, sondern auch für Ingenieure, die ihr eigenes Ding machen.