Der vertrauliche Schriftverkehr in einem Münchner Prozess gegen zehn türkische Oppositionelle soll an Übersetzungsbüros in die Türkei weitergereicht worden sein. Die Verteidiger beantragen eine Aussetzung des Verfahrens.

München - Im Münchner Prozess gegen zehn türkische Oppositionelle sind offenbar einige der streng vertraulichen Briefe zwischen Verteidigern und Angeklagten in die Türkei gelangt. Diesen Vorwurf erheben die Anwälte der zehn kurdisch- und türkischstämmige Männer und Frauen, die sich seit Juni vor dem Oberlandesgericht wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verantworten müssen. Da die Weitergabe der sogenannten Verteidigerpost das Gericht zu verantworten habe, haben die Anwälte eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Aufklärung des Vorganges beantragt.

 

Einschränkungen aus RAF-Zeiten

In Terrorismusverfahren unterliegt die Arbeit der Verteidiger erheblichen Einschränkungen, die noch aus der Zeit der RAF-Prozesse stammen. So sind Anwälte und Angeklagte bei Gesprächen durch eine Glasscheibe getrennt. Zudem wird der – in anderen Verfahren absolut geschützte – Schriftverkehr zwischen ihnen, die Verteidigerpost, von einem Kontrollrichter mitgelesen. In dem Münchner Prozess ist nun herausgekommen, dass der eingesetzte Kontrollrichter die überwiegend in türkischer Sprache verfasste Verteidigerpost in externen Büros ins Deutsche übersetzen ließ. Darunter befanden sich auch unvereidigte, also nicht zur Verschwiegenheit verpflichtete Dolmetscher. Nachforschungen der Anwälte ergaben zudem, dass in den Büros mitunter Kopien der vertraulichen Schriftstücke aufbewahrt wurden. Und es stellte sich heraus, dass ein Teil der Verteidigerpost offensichtlich von den beauftragten Dolmetschern an besonders billige Übersetzungsbüros in der Türkei weitergeleitet worden ist.

Damit bestehe die Gefahr, dass die Sicherheitsbehörden in der Türkei Zugriff auf die streng vertrauliche Kommunikation erhalten haben, sagt der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle, der in dem Münchner Prozess einen Angeklagten vertritt. „Dann lässt sich aber auch nicht ausschließen, dass Ankara Informationen aus der Verteidigerpost auch an deutsche Behörden weitergibt“, sagt er. Kritik am Gericht äußerte auch die Berliner Rechtsanwältin Antonia von der Behrens: „Aus Kostengründen werden elementare rechtsstaatliche Prinzipien über Bord geworfen“, sagte sie. Ein faires Verfahren sei nun nicht mehr möglich. Zusammen mit ihren Verteidigerkollegen fordert sie neben der Aussetzung des Verfahrens auch eine Aufhebung des Kontrollrichtereinsatzes.

Ermittlungsergebnisse aus der Türkei

In dem unter Juristen und Politikern umstrittenen Prozess wird den zehn Angeklagten,die seit Jahren in Deutschland im Exil leben und sich hierzulande nicht politisch betätigen, Mitgliedschaft in der türkischen kommunistischen Partei TKP/ML vorgeworfen, die einzig in der Türkei als terroristische Organisation eingestuft ist. In Deutschland ist sie hingegen nicht verboten und findet sich auch nicht auf internationalen Terrorlisten. Damit die deutsche Bundesanwaltschaft die Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verfolgen konnte, bedurfte es daher einer ausdrücklichen Strafverfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium. Das Verfahren gilt als juristisch heikel, stützt sich die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage doch im Wesentlichen auf Ermittlungsergebnisse der türkischen Behörden. Ob diese Erkenntnisse rechtsstaatswidrig zustande gekommen sind, etwa unter Anwendung von Folter oder durch politische Einflussnahme, wird in dem Münchner Prozess auch eine Rolle spielen.

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