Der bekannte Lokaljournalist Thomas Borgmann hat im Muse-O in Gablenberg aus seinem Buch „Die Villa Reitzenstein. Macht und Mythos“ erzählt. Und natürlich auch von seinen Begegnungen mit dem einen oder anderen Ministerpräsidenten.

S-Ost - Ich erzähle lieber, statt zu lesen“, erklärt Thomas Borgmann den Besuchern im Gablenberger Muse-O. In seinem Buch „Die Villa Reitzenstein. Macht und Mythos“ komme er vom Hundertsten ins Tausendste. Da gebe er lieber eine Art Inhaltsangabe.

 

Das klingt trockener, als es ist. Borgmann, einer der renommiertesten Lokaljournalisten der Stadt, besticht nicht nur durch profunde Sachkenntnis. Er kann sein Wissen auch ausgesprochen lebendig wiedergeben. Immer wieder flicht er erläuternde Bemerkungen ein oder schmückt die chronologische Reise durch die Geschichte des Ministerpräsidenten-Sitzes mit passenden Anekdoten aus, ohne dabei den roten Faden aus dem Blick zu verlieren.

In der Petruskirche getauft

Dass sich am Freitagabend nur ein gutes Dutzend Zuhörer eingefunden hat, ist bedauerlich, kommt Borgmanns Vortragsweise letztlich aber sogar entgegen: Die Anwesenden versammeln sich um einen großen Tisch. Persönlicher kann eine Lesung nicht ausfallen. Vielleicht fühlt sich der langjährige Redakteur der Stuttgarter Zeitung auch von dieser Atmosphäre inspiriert, zunächst ein paar private Anmerkungen zu machen. Er sei fast ein Gablenberger, verrät er, schließlich sei er in der Petruskirche in unmittelbarer Nähe zum Muse-O getauft worden. Sein Großvater habe in der Apotheke am Ostendplatz gearbeitet.

Dann kommt Thomas Borgmann auf sein Buch zu sprechen: Ausschlaggebend für die intensive Beschäftigung mit der Historie der Villa sei gewesen, dass sie immer wieder als Herrensitz bezeichnet werde. Dabei war sie von 1913 an Wohnsitz der Erbauerin Helene von Reitzenstein, der zweiten Tochter des Stuttgarter DVA-Verlegers Eduard Hallberger und Witwe des württembergischen Offiziers und Kammerherrn Carl von Reitzenstein. Baronin war sie nur durch die Heirat geworden und sonderlich herrschaftlich hatte sich ihr Gatte auch nicht benommen. Selbst weitgehend mittellos, schmälerte er das Vermögen seiner Frau im Casino und starb schließlich am Roulette-Tisch.

Filbinger hat sich abgeseilt

Die Witwe beschloss zu bauen. Sie engagierte die Architekten Hugo Schlösser und Johann Weirether und ließ sie durch ganz Europa reisen, damit sie Inspiration sammeln konnten. Als sie heimkehrten eröffnete sie ihnen, sie sei neulich in Ludwigsburg gewesen: Monrepos solle nun als Vorbild für den Neubau dienen. „Prägten die Bewohner das Gebäude, oder prägte das Haus die Menschen?“ fragt Borgmann. Es ist wohl eher eine Wechselwirkung. Der spätere Reichstatthalter Wilhelm Murr organisierte von dem Bau aus die nationalsozialistische Gleichschaltung Württembergs. Schon 1937 ergänzte er die Anlage um Fluchttunnel, die er bei Kriegsende nutzte. Vorausgegangen war eine Zeit des Residierens. Unter anderem ließ Murr mehrfach ein ganzes Orchester anreisen, das privat für ihn aufspielen musste.

Natürlich kommen im Laufe des Abends auch die Ministerpräsidenten nicht zu kurz. Bergsteiger Hans Filbinger habe sich einmal fachmännisch vom Balkon abgeseilt, um sich in Szene zu setzen, so Borgmann. Lothar Späth seien die Räume zu düster gewesen. Mit Stefan Mappus hat sich der seit 2012 freischaffende Journalist eigens im Hinterzimmer einer Bäckerei in Pforzheim unterhalten, wo dieser gern seine Brötchen holt. „Ich habe seither nichts von ihm gehört“, schmunzelt er. „Das Kapitel scheint ihm nicht sonderlich gefallen zu haben.“ Umso positiver fallen die Reaktionen am Freitag aus – nach einem Abend voller Geschichte und Geschichten, der dem Motto der Veranstaltungsreihe „Text & Extra“ vollauf gerecht wurde.