Welch ein Spektakel! Die neue Produktion am Stage Palladium zeigt Faust- und Liebeskämpfe von zart bis hart. Bei „Rocky“ fliegen dabei kraftvoll die Fäuste, veritable Boxkämpfe mit ordentlich Schmackes gehen über die Bühne.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Was verbindet Musical- mit Ballettvorstellungen? Nun ja, die meisten Männer, die mit Frauen liiert sind, gehen zumeist nur ihrer Liebsten zuliebe dorthin. Die Welt der großen Gefühle, der zarten Romanzen, der hochdramatischen Gesten und der schwingenden Tanzbeine begeistert doch Pi mal Daumen eher das feminine Gemüt.

 

In Stuttgart aber herrscht im SI-Zentrum künftig Gender-Gerechtigkeit: Bei „Rocky“ fliegen kraftvoll die Fäuste, veritable Boxkämpfe mit ordentlich Schmackes gehen über die Bühne, der Held darf zeigen, dass auch wortkarge Typen etwas wert sind – und zugleich wird wie nebenbei eine zarte junge Liebe zum Erblühen und mittels mehrerer großer Balladen stimmungsvoll zum Ausdruck gebracht. Mit anderen Worten: das Musical „Rocky“ bedient gleichermaßen Herz und Bauch der Zuschauer.

Die Geschichte eines kleinen erfolglosen Boxers

Apropos: das ist vielleicht die netteste Textidee im gut zweistündigen „Rocky“-Musical, einer originär deutschen Produktion, 2012 in Hamburg uraufgeführt und 2014 immerhin fünf Monate lang auch am Broadway erfolgreich: Als der nicht so richtig redegewandte Amateurboxer Rocky Balboa seiner reichlich schüchternen, um nicht zusagen: verklemmten Sandkastenliebe Adrian erklären will, warum sie beide eigentlich super zusammenpassen (was Adrian bis dahin nämlich nicht glaubt), greift er zu diesem Bild: „Du bist der Kopf und ich bin der Körper.“ Das ist hübsch, weil im Showbusiness die Rollen traditionell eigentlich anders verteilt sind: Die Mädels sollen schöne lange Beine haben, die Kerle bezwingen derweil durch Intelligenz und Erfahrung.

Die Geschichte des kleinen erfolglosen Boxers, der die zweifelhafte Chance bekommt, aus einem Showkampf gegen den amtierenden Weltmeister mit garantierten 150 000 Dollar Antrittsprämie nach Hause zu kommen, vermutlich aber auch mit einem irreparabel zermatschten Hirn, ist durch Sylvester Stallones Filme ja weithin bekannt. Erstaunlich aber, wie dicht, wie unterhaltsam, wie spannend sich diese Geschichte nun auf der Stuttgarter Musicalbühne entfaltet.

Bis in kleine Rollen hochklassig besetzt

Das liegt sicher am Bühnenbild, das sich wie am Schnürchen ebenso rasant wie imposant verändert und in Kombination mit Licht und Videos eindrucksvoll die Atmosphäre des wirtschaftlich in der Schwerstkrise darbenden Philadelphia der siebziger Jahre herbeizaubert. Das liegt aber vor allem an einem bis in kleine Rollen hochklassig besetzten Ensemble, das neben dem Musikalischen vor allem darstellerisch ungewöhnlich stark ist. Nikolas Heiber als Rocky ist von Anfang an die mit Muskeln bepackte, im Kern aber zum Knuddeln gute Seele, Lucy Scherer als Adrian ein zartes, scheues, im Laufe der Ereignisse zusehends – Hu! – wildes Reh. Während Gino Emnes als Muskelmeister Apollo Creed ordentlich Funk auf die Bühne bringt.

Den „Eye of the Tiger“ hört man zweimal, sonst bedient sich die Musik beim klassischen Musicalschmelz ebenso wie bei der Disco-Jukebox von ehedem. Wie überhaupt Kostüme und Atmo viel Schlaghosen-Retro-Charme ausstrahlen, ohne dass gleich wieder alles nur Abba-Abba wäre.

Das Ziel des Abends ist der große Kampf

Spannungstechnisch gibt es im zweiten Teil nach der Pause ein, zwei Hänger: etwas viel Beziehungskram und Kindheitsaufarbeitung. Da könnte mehr trainiert werden. Aber das Ziel des Abends ist ja der große Kampf zwischen Rocky und Apollo, zu dem sich der Boxring spektakulär ins Publikum hineinschiebt und der den Beobachter aus nächster Nähe staunen lässt, wie täuschend echt doch dieses Theaterblut aussieht, von den knackenden Kiefern und Nasen ganz zu schweigen. Nein, natürlich kann Rocky nicht gewinnen. Aber er kann 15 Runden lang ohne K. o. standhalten.

Fazit: „Rocky“ ist im besten Sinne ein Kracher und doch auch sehr stimmungsvoll. Zum Schwelgen, Kuscheln und Mitfiebern. Großes Musical-Popcorn-Kino.