Beim Musik- und Tanztheaterprojekt „Stimmen“ des Stuttgarter Kammerorchesters stehen mehr als 100 Kinder und Jugendliche auf der Bühne des Theaterhauses. Im Skohr-Labor kommen Schüler mit und ohne Behinderung und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zusammen.

Stuttgart - „Ihr spielt mit Wassertropfen, ganz poetisch.“ Adrian Turner zeigt, wie es geht: Bedächtig bewegt der freischaffende Choreograf seine Hand durch die Luft, als ob er Wasser durch seine Finger rinnen ließe. Die Schüler der Helene-Fernau-Horn-Schule, Ganztagesschule für sprachbehinderte Kinder und Jugendliche in Stuttgart, hören aufmerksam zu, manche tun es ihm nach. Am Bühnenrand des T2 im Theaterhaus wartet schon die nächste Gruppe, Schülerinnen der Walddorfschule Ludwigsburg und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

 

Turners Choreografie ist Teil des Musik- und Tanztheaterprojekts „Stimmen“, das am kommenden Samstag und Sonntag im Theaterhaus zu sehen ist. Entstanden ist es für das Skohr-Labor, der Jugendbildungssparte des Stuttgarter Kammerorchesters (SKO) in Zusammenarbeit mit Open Music und der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart. Beteiligt sind über 100 Kinder und Jugendliche aus Schulen in Stuttgart und der Region, sie gehen unter anderem auf die Waldorfschule Pforzheim oder in Stuttgart auf die Betty-Hirsch-Schule, Rosenschule und Rosensteinschule. Das Besondere: Erstmals haben Schüler mit und ohne Behinderung, mit und ohne Fluchthintergrund gemeinsam mit den professionellen Künstlern ein Tanztheater in einem offenen Prozess erarbeitet ¬– zur Symphonie „Stimmen“ des lettischen Komponisten Peteris Vasks und Improvisationen, die das SKO live auf der Bühne spielt.

Einige Jugendliche spielen auch selbst Instrumente

„Solch zeitgenössische Musik haben manche zum ersten Mal gehört“, weiß Adrian Turner. „Nun bewegen sie sich dazu. Das war große logistische Herausforderung!“ Er beschreibt, wie es im Oktober vergangenen Jahres losging, mit Workshops, die er, der Schauspieler Luis Hergón, die Violinistin Ulrike Stortz, der Pianist Jürgen Kruse sowie der Klarinettist Felix Behringer Workshops mit den Schülern in verschiedenen Gruppen durchführte. „Ich habe die Schritte vorgegeben, die diese dann unabhängig voneinander erarbeiteten“, erklärt Turner. Und heute im Theaterhaus kommen alle erstmals zu einer Gesamtprobe zusammen, die SKO-Musiker und die verschiedenen Schülergruppen. Manche von den Jugendlichen spielen auch selbst Instrumente und proben parallel in anderen Räumen. Alle würde auch einmal im Stück die eigene Stimme erheben, so heißt es.

Im T2 lobt derweil SKO-Leiter und Dirigent Matthias Foremny, was er sieht. „Toll, was ihr da erarbeitet habt.“ Es geht weiter: Dichter und schneller klingen die Läufe der Streicher, Assoziationen an die Natur kommen auf. Um Natur und Kultur geht es denn auch Vasks in seinen Werken, zudem um Freiheit, Gleichheit, Widerstand gegen menschenverachtenden Machtmissbrauch. „Mein Wunsch war es immer, mit meiner Musik die Welt ein wenig besser und glücklicher zu machen“, so sein Credo.

Für Abdullai ist Tanzen etwas Neues

„Sich gegenseitig begleiten spielt eine wichtige Rolle in der Produktion, es geht um Menschen und Menschlichkeit“, beschreibt Turner seinen Ansatz. Das Gros der Bürger habe seit Jahrhunderten Wurzeln in anderen Ländern, nun kämen die Flüchtlinge hinzu. „Eine Weltbühne! Das ist Teil unserer Zukunft.“ Auf eine solche in Deutschland hofft auch Abdullai aus Äthiopien. Vor einem Jahr ist der „fast“ 19-Jährige allein in Stuttgart angekommen. „Ich habe sofort ja gesagt, als meine Betreuerin fragte, ob ich mitmache. Als Hobby will ich weitertanzen, als Beruf nicht“, lacht er. In seiner Heimat trainierte er Kampfsport. „Tanz ist etwas Neues.“ Die sechs Schülerinnen der Ludwigsburger Waldorfschule schwärmen wiederum von einem Teambildungs-Wochenende im Schwarzwald. „Da konnten wir die Flüchtlinge besser kennenlernen“, so die 17-jährige Sophie. „Ich habe im Projekt gelernt, spontaner zu sein.“ Und der 14-jährige Andreas, Siebtklässler der Helene-Fernau-Horn-Schule, schätzt die Gemeinschaft. „Es ist toll mit anderen Menschen etwas auf die Beine zu stellen.“

Das soll im SKOhr-Labor weiterhin möglich sein. „Jedes Jahr soll es ein Projekt mit einem anderen Kunstschwerpunkt geben“, sagt Ulrike Stortz, die das Projekt mit Katharina Gerhard konzipierte und organisierte. „Nach Tanz planen wir das Thema Bildende Kunst, das Jahr darauf Film.“

„Stimmen“, SKOhr-Labor, Theaterhaus, Premiere 25. Juni, zudem 26. Juni, jeweils 18 Uhr. www.theaterhaus.de