Curtis Stigers, Sänger und Saxofonist aus den USA, hat die Pfade des Mainstream-Pops lange schon verlassen, sich in vielen Genres getummelt und zuletzt zu Frank ­Sinatra gefunden. An diesem Freitag wird er dessen Repertoire eine eigene Stimme geben beim Konzert mit der SWR Big Band in der Liederhalle.

Stuttgart - Seinen großen Hit kennt jeder. Curtis Stigers, Sänger und Saxofonist aus den USA, hat die Pfade des Mainstream-Pops lange schon verlassen, sich in vielen Genres getummelt und zuletzt zu Frank Sinatra gefunden - am Freitag wird er den Songs des großen Meisters seine eigene Stimme geben, im Konzert mit der SWR Bigband in der Liederhalle in Stuttgart.

 
Herr Stigers, ihre Hit-Single „I wonder why“ erkennt auch 25 Jahre später jeder Was hat Sie bewogen, eine ganz andere musikalische Richtung einzuschlagen?
Ich bin mit klassischer Musik aufgewachsen und mit Jazz. Auch an der Hochschule belegte ich Jazzkurse, sang und spielte Saxofon. Gleichzeitig trat ich mit Bands auf, die alles mögliche spielten, Blues und Soul, Pop und Punkrock. Ich habe mir all diese Stile angeeignet. Als mein erstes Album erschien, hatte ich gerade erst damit begonnen, eigene Songs zu schreiben. Das ging in Richtung Soulpop – und deshalb nahm das Label Arista mich in dieser Sparte unter Vertrag. Ich hoffte, sie würden auch Jazzalben mit mir aufnehmen, denn sie hatten gehört, wie ich Jazz spielte – aber sie wollten immer nur wieder das selbe. Als ich versuchte, künstlerische Kontrolle über meine Musik zu bekommen, musste ich meine Popkarriere regelrecht zerstören.
Sie haben auch den Titelsong der TV-Serie „Sons of Anarchy“, die von einer kriminellen Biker-Gang handelt – wieder eine ganz andere IRchtung . . .
Bob Thile, ein guter alter Freund von mir, war der musikalische Leiter der Serie. Er rief mich an und sagte: Ich habe einen Job für dich, ich brauche jemanden, der einen Text für diesen Titelsong schreibt. Ich schickte ihm eine Aufnahme davon zu. Verwendet wurde dann nicht nur meinen Text, sondern auch meine Stimme, meine Aufnahme. Das war etwas wie ein kleiner Karriereausflug; der Song klingt ja nicht wirklich wie die Musik, die ich sonst so mache. Aber so war es immer: Ich gehöre in keine Schublade, ich gehöre auf die Bühne, ich muss Musik machen, ganz gleich nach welcher Musik mir gerade ist.
Wie gefiel Ihnen persönlich die Serie „Sons of Anarchy“?
Ich habe durchgehalten bis zur zweiten Hälfte der zweiten Staffel - und dann wurde es mir zu düster. Vielleicht versuche ich es noch einmal und sehe mir den Rest an... Die Schauspieler fand ich außergewöhnlich und die Geschichte auch. Eine großartige Serie, nur zu brutal für mich. Aber sie hat viele Fans - und viele Menschen, die sie sonst niemals gehört hätten, hörten so meine Musik. Dafür bin ich dankbar.
Nun singen Sie mit der SWR Bigband die Songs, die Frank Sinatra sang - wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Mit der SWR Bigband habe ich schon vor etwa zweieinhalb Jahren ein Konzert gegeben, außerhalb Stuttgarts, auf einem Bigband-Festival. Ich habe die Zusammenarbeit sehr genossen; die SWR Bigband besteht aus hervorragenden Musikern. Nun erscheint ein neues Album von mir, das ich live mit der Danish Radio Bigband aufgenommen habe. Der SWR fragte mich, ob ich auf Tournee gehen wollte, in genau dem Augenblick, in dem das Album erscheinen sollte.Was mir an Europa wirklich gut gefällt, ist, dass viele Bigbands hier mit staatlichen Mitteln gefördert werden. In den Vereinigten Staaten müssen Künstler hart um Unterstützung kämpfen - in Europa bekommen sie sie. Ich finde das sehr klug. Ich wünschte, bei uns wäre es ebenso. Die Künste zu unterstützen heißt die Menschlichkeit, den Intellekt zu unterstützen. Ich glaube, dass Musik etwas ungeheuer wichtiges ist - durch sie entstehen bessere Bürger, bessere Denker, bessere Arbeiter. Und die SWR Bigband ist eine Band, die wirklich swingt!
Um bei den Vereinigten Staaten zu bleiben - was halten Sie von der Situation, die dort entstanden ist?
Ich bin ganz sicher kein Fan von Donald Trump. Wir leben in einer schrecklichen Zeit, einer Zeit, in der man aber auch aufstehen und seine Meinung laut sagen muss, auf der Straße. Wir müssen versuchen, jede Art von Extremismus einzudämmen. Wenn der rechte Extremismus uns heute entgegen schreit - dann müssen wir zurück schreien. Der erste Artikel unserer Verfassung garantiert uns Redefreiheit und wir müssen alles tun um zu verhindern, dass dieses Recht von unserer Regierung eingeschränkt wird.
Zurück zur Musik. Was zieht einen Jazz-Sänger auch heute noch hin zu den Stücken, die Frank Sinatra sang?
Für Sinatra spricht sehr vieles. Was mich ansprach, inspirierte, wodurch ich lernte - das war zunächst einmal seine Stimme. Sinatras Stimme war ein fantastisches Instrument. Er hatte ein Gefühl für die Phrasierung und den Swing, mit dem er hinter keinem Saxofonisten oder Trompeter im Jazz zurückstand. Er konnte mit dem Rhythmus spielen und härter swingen als irgendjemand sonst. Sinatra war ein wirklich großer Jazz-Sänger. Und das, obwohl er ja eigentlich ein Pop-Sänger war. Aber er besaß das Können eines Jazzmusikers. Was ich an Sinatra aber mehr liebe als alles andere, das ist seine Gabe, eine Geschichte zu erzählen. Er schrieb ja keine eigenen Songs - und doch handelte jeder Song, den er sang, nur von ihm. Immer wenn ich einen Song singe, ganz gleich ob ich ihn geschrieben habe oder ein anderer, ob es ein Jazz-Song ist, ein Pop-Song, ein Soul-, ein Blues-Song - dann versuche ich ihn auf diese Weise zu singen: Als handele er nur von mir selbst.
Besser machen als Sinatra kann man es aber nicht. Bei Sinatra nimmt man es mit dem Meister auf. Wie geht man an Material heran, das so sehr, auf eine so deutliche Weise, einem anderen gehört?
Man bewegt sich dabei auf einem wirklich schmalen Grat. Als junger Sänger hätte ich das nicht getan. Für mich war es damals sehr wichtig, unabhängig und individuell zu sein. Ich wollte auch kein Album machen, auf dem ich Sinatra singe. Das ist einfach passiert, weil die Live-Aufnahme mit der Danish Radio Bigband so gut ankam. Wenn ich Sinatra singe, kann ich mich natürlich nicht dagegen wehren, von ihm beeinflusst zu werden, von seiner Art der Phrasierung, seinem Swing und davon, was er mit den Songs machte. Aber ich schrecke auch gar nicht davor zurück. Es sind die selben Arrangements, aber meine Stimme ist nicht wie Sinatras Stimme.
Mussten Sie nach der Stimme suchen, mit der Sie diese Songs singen würden?
Das war ziemlich einfach. Ich hatte diese Songs so oft gehört, ich kannte diese Arrangements so gut. Ich sang sie einfach so, wie ich singe. Ich habe ganz und gar nicht versucht, wie Frank Sinatra zu singen. Ich singe vielleicht etwas bluesiger als Sinatra, bin mehr beeinflusst vom Blues als er. Manchmal dachte ich mir: Vielleicht sollte ich hier einmal den Song mehr zu meinem eigenen machen. Diese Entscheidungen habe ich Zeile für Zeile, Song für Song getroffen. Und jedes Mal, wenn ich das Material nun singe, singe ich es ein wenig anders - ich bin Jazz-Sänger, ich mache nichts zwei Mal auf die selbe Weise. Aber als Jazz-Sänger muss man den Einfluss von Sinatra auch einfach zulassen - weil er so verdammt gut war.
Welche Songs werden Sie bei Ihrem Konzert in Stuttgart singen?
Sicher werde ich einige der Songs des Albums singen. Aber ich komme auch mit Bigband-Arramgements meiner eigenen Stücke. Ich habe Songs von Elvis Costello aufgenommen, von den Kinks, den Beatles, Willie Nelson und Steve Earle. Ich reharmonisiere Pop-Songs und verwandle sie in Jazz-Standarts. Ich mache das selbe, was Ella Fitzgerald, Sarah Vaugh, Frank Sinatra zu ihrer Zeit gemacht haben, nur mit den Songs meiner Zeit. Mit der SWR Bigband singe ich wahrscheinlich ein Stück von Steve Earle, der ja ein Country-Songwriter ist. Es soll ein sehr vielseitiger Abend werden.
Wie sehen Sie die Welt des Jazz heute, als Jazz-Sänger?
Die Welt des Jazz verändert sich ständig. Seit Menschen begonnen haben, Jazz zu spielen, war er niemals Mainstream. Er wird immer eine Nische bleiben, eine Musik, die manche Leute wirklich nicht hören möchten. Ich denke, der Jazz lebt und es geht ihm gut. Es gibt sehr viele Festivals, und überall auf der Welt gibt es großartige Jazz-Musiker, die immer noch versuchen, den Jazz weiter zu entwickeln, neue Spielweisen zu finden. Solange der Jazz nicht im Museum landet, wird er am Leben bleiben.
Nachdem Sie sich nun an Frank Sinatra herangewagt haben - haben Sie da noch Ziele als Jazz-Sänger?
Oh ja. Ich bin immer auf der Suche nach neuem. Gerade bin ich im Gespräch mit einem Orchester aus New York, Vince Giordano and The Nighthawks. Sie spielen die Musik der dreißiger und vierziger Jahre. Mit ihnen möchte ich ein Album aufnehmen, das für mich einen noch größeren Schritt in eine neue Richtung darstellen wird, als das Sinatra-Album. Ich möchte wirklich nicht zweimal das selbe mache. Ich möchte fortfahren, mein Publikum zu überraschen und zu verwirren.